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Archiv-Artikel

„Ein Nazi in Nürnberg?“

Mit einem WM-Ausschluss von Iran will EU-Spitzenpolitiker Daniel Cohn-Bendit „die Iraner vom Präsidenten abspalten“. Seine Minimalforderung: „WM-Einreiseverbot für Ahmadinedschad“

INTERVIEW PETER UNFRIED

taz: Herr Cohn-Bendit, Sie wollen den Iran von der Fußball-WM 2006 ausschließen, weil Präsident Mahmud Ahmadinedschad den Holocaust leugnet und zum vom Westen „erfundenen Märchen“ erklärt. Was soll das bringen?

Daniel Cohn-Bendit: Hören Sie, dass Politiker sagen, sie seien entsetzt und schockiert, das ist doch ein Ritual, aus dem nichts folgt. Dieser Mann ist der gewählte Präsident. Die Frage ist: Wie kriegen wir die Leute im Iran dazu, ihn fortzujagen?

Indem Sie den Menschen im Iran die WM wegnehmen?

Das Argument ist richtig, dass man damit die Menschen bestraft. Das ist immer ein Problem, auch bei einem Wirtschaftsembargo. Man muss aber sehen, dass Ahmadinedschad erst vor kurzem mit satter Mehrheit gewählt wurde. Nehmen Sie die Olympischen Spiele 1936, die man in Deutschland stattfinden ließ und nicht boykottierte. Was konnte das arme deutsche Volk dafür, dass Hitler da war?

Ahmadinedschad ist nicht Hitler.

Er spricht nur wie Hitler. Was er sagt, das sind Naziparolen. Es geht darum, den Iranern klar zu machen, dass nicht wir sie isolieren, sondern dass ihr Präsident sie von der Welt isoliert. Das ist der Gedanke, und den möchte ich diskutieren.

Für den grünen Parteikollegen Omid Nouripur ist Sport ein „Element der Moderne mit Potenzial für einen Protest gegen das Regime“ – und Ihr Vorschlag damit kontraproduktiv.

Das kann man so und so sehen. Jugoslawien wurde 1992 von der Fußball-EM ausgeschlossen. Als die Linke 1978 einen Boykott der WM in Argentinien forderte, wurde anders entschieden. Ich will, dass alle Leute, die jetzt sagen, dass das auf keinen Fall geht, nachdenken, was man eigentlich will. Und was kommen könnte.

Was denn?

Stellen Sie sich mal vor … wann spielt Iran sein erstes WM-Spiel?

Am 11. Juni, 18 Uhr, gegen Mexiko in Nürnberg.

Stellen Sie sich vor, Ahmadinedschad sagt, er will das Spiel besuchen – und das Reichsparteitagsgelände in Nürnberg. Was macht dann die Bundesregierung? Ihm einen Empfang bereiten wie 1967 dem Schah?

als der protestierende Student Benno Ohnesorg von einem deutschen Polizisten erschossen wurde, während die Jubelperser jubelten …

Die Negierung des Holocaust ist in Deutschland strafbar. Die Regierung müsste sagen: Wenn du kommst, wirst du verhaftet.

Was ist mit der diplomatischen Immunität?

Ahmadinedschad kann nicht zu Gast bei Freunden sein. Die Regierung muss in diesem Fall erklären, dass er nicht nach Deutschland einreisen darf. Das gilt auch bei Endspielteilnahme.

Die ist eh unwahrscheinlich.

Aber möglich. Ist nicht Griechenland Europameister geworden? Dann säße Ahmadinedschad neben Bundespräsident Köhler …

kommen wir etwa ins Endspiel?

… nein, als Gastgeber. Und Brasiliens Präsident Lula.

Paul Spiegel will lieber einen UN-Ausschluss geprüft haben.

Die UN kann nur aufgrund von Taten ausschließen.

Israel fordert den Stopp des iranischen Atomprogramms.

In der Atomfrage ist es noch komplizierter. Und da geht es um die Unabhängigkeit von Iran, da scharst du die Menschen um ihren Präsidenten.

Beim Fußball nicht?

In der Israel-Frage nicht. Das ist eine Überbau-Ideologie. So einfach ist es mit der Identifikation der Iraner mit den Palästinensern nicht. Das ist vielen Fußballfans fremd. Meine These ist: Damit kannst du sie von Ahmadinedschad abspalten.

Noch ein Gegenargument: Sie bestrafen die Fortschrittlichen im Iran, die Fußballer und Fußballinteressierten.

Das stimmt. Deswegen hoffe ich, dass sie sich zur Wehr setzen. Und zwar gegen Ahmadinedschad. Ein Impeachment des Präsidenten ist verfassungsrechtlich möglich, und damit ist der WM-Ausschluss hinfällig.

Was tun, wenn der Ausschluss nicht durchsetzbar ist?

Am besten wäre es, ein Fußballspiel Iran gegen Israel anzusetzen. Mit Hin- und Rückspiel. Die Iraner müssten in diesem Fall die Fahne, die Hymne und damit die Realität der israelischen Existenz fußballerisch und damit real anerkennen.

Sie sind besessen vom Thema Fußball?

Ich erkenne nur seine Relevanz für viele Menschen. Fußball ist die reale Welt.