: Der Vorsitzende neuen Typs
Bei anderen Parteien nennt man es Generationenwechsel. Nicht so bei der PDS. Auf den 32-jährigen Stefan Liebich folgt heute der 31-jährige Klaus Lederer. Es ist der erste Alternative auf dem Chefsessel der Berliner Sozialisten. Ein Porträt
von UWE RADA
Mitten im Gespräch steht Klaus Lederer das Glück ins Gesicht geschrieben. „Die Wende“, sagt er ohne jedes Pathos, „war ein Segen für mich. Eine neue Welt, neue Möglichkeiten.“
Der Westen, für viele Mitglieder der PDS noch immer ein Buch mit sieben Siegeln, ist Klaus Lederer längst ein Zuhause. Was nicht ausschließt, dass die Möbel in diesem Zuhause einmal umgeräumt werden müssen. Schließlich ist der jugendlich wirkende 31-Jährige nicht nur einer, der vom Westen profitiert. Er ist auch der neue Vorsitzende des Berliner Landesverbands der Linkspartei.PDS.
Wieder also ein neuer Vorsitzender. Wieder ein Junger. Ein junger Reformer in den Fußstapfen von Petra Pau und Stefan Liebich. Während andere Parteien ihren Nachwuchs händeringend suchen, heben ihn die Genossen regelmäßig aufs Podest.
Und genauso regelmäßig versprechen die jungen Vorsitzenden, das Werk ihrer nur unwesentlich älteren Vorgänger fortzusetzen. „Mit spektakulären Bekanntmachungen über einen neuen Kurs kann ich nicht dienen“, war einer der ersten Sätze, die Klaus Lederer den Medien anvertraute, als ihn Stefan Liebich im Oktober als seinen Nachfolger vorschlug.
Sätze, die man sonst nur von Politikern kennt, die andere Sätze gar nicht mehr hervorbringen. Ist Klaus Lederer also auch so ein Parteisoldat, der nicht nur sein Leben, sondern auch seine Jugend der Partei opfert?
Klaus Lederer ist im Kapuzenshirt ins Café in Prenzlauer Berg gekommen. Schon bevor der Milchkaffee kommt, hat er eine Selbstgedrehte in der Hand. Unverwandt schaut er seinen Gegenüber an, mit einer Offenheit im Gesicht, die nichts vom Pokerface der Politikerklasse hat und auch nichts von jener latenten Gereiztheit im Umgang mit denen, die nicht die gleichen Codes und Zeichen teilen.
Sieht so der Landesvorsitzende einer Regierungspartei aus? Einer, der im politischen Geschäft auch mal auf den Tisch hauen muss? Der nicht nur Freunde um sich hat, sondern auch politische Gegner und Neider, darunter auch die in der eigenen Partei? Hat er sich das gut überlegt?
„Mein Vorteil ist“, macht sich Klaus Lederer selbst Mut, „dass ich neben der Politik auch noch einen Beruf haben werde.“ Zurzeit ist er Referendar beim Amtsgericht, seine Promotion in Jura hat er bereits abgeschlossen. „Das Letzte, was mir noch fehlt“, freut er sich, „ist die mündliche Prüfung, die findet im Februar statt.“ Das klingt nach Unabhängigkeit von der Droge Macht oder auch nur nach einem zweiten Boden, der immer noch da ist, wenn einer wie er in der Politik ins Bodenlose fallen sollte.
Aber warum nicht gleich ein Leben als Anwalt? Warum nicht das tun, wovon auch andere träumen? Warum nicht 30 Stunden in der Kanzlei und zwei Nachmittage die Woche beim Latte Macchiato im Café? Zeit genug, um all das zu lesen, was sich auftürmt auf dem Nachttisch? Leben und genießen, ist das im Prenzlauer Berg nicht angesagt?
„Ganz einfach“, scherzt Lederer, „als Anwalt müsste ich einen Anzug tragen.“ Dann sagt er: „Weil es eine politische Herausforderung ist, die ich vor mir habe. Weil ich zeigen will, dass man in einer Partei wie unserer trotz der Regierungsbeteiligung noch immer Politik machen kann.“
Das ist tatsächlich nichts spektakulär anderes, und dennoch sind es andere Töne, die Klaus Lederer anschlägt. Hat Liebich seine Partei mit dem Charme eines ehrlichen Maklers in die Koalition mit der SPD geführt, will Klaus Lederer mehr als nur geräuschlos regieren. Seine erste Bewährungsprobe hat er bestanden. Als es auch in Berlin darum ging, ein Kopftuchverbot für Musliminnen im öffentlichen Dienst auszusprechen, hielt Lederer als rechtspolitischer Sprecher seiner Fraktion dagegen. Innensenator Ehrhart Körting (SPD) musste klein beigeben.
Aber auch sonst unterscheidet sich Lederer von Liebich. Kam der bisherige Vorsitzende als 28-Jähriger direkt aus dem Parteiapparat auf den Posten, fehlt Lederer der SED-Stallgeruch völlig. Das zeigt schon die Basisorganisation der PDS, der er 1992 beigetreten ist, die „BO Torpedokäfer“ in der Dunckerstraße in Prenzlauer Berg. Hinter dem geheimnisvollen Namen verbirgt sich eine Szenekneipe – benannt nach einem Buch des kommunistischen Abenteurers und Dissidenten Franz Jung –, in der sich eher die Oppositionellen von einst als die Parteigänger des realen Sozialismus treffen. Freimütig räumt Lederer auch ein: „Wäre ich nicht im Prenzlauer Berg gelandet, wäre ich auch nicht Mitglied der PDS geworden.“
Und noch etwas unterscheidet ihn, auch wenn er daraus keine Botschaft macht: Klaus Lederer ist schwul. Zwar antwortet er dem einen oder anderen Genossen auf die Frage nach Frau und Familie: ledig, keine Kinder. Wer genauer nachfragt, bekommt dennoch die richtige Antwort. Mehr nicht. „Vielleicht wäre das anders, wenn Klaus Wowereit sich nicht öffentlich geoutet hätte“, meint er. So aber kann er sagen, was er denkt: „Entscheidend ist nicht, ob einer schwul ist oder hetero. Entscheidend ist, was er politisch will.“
Was aber will Klaus Lederer politisch? Er bestellt den zweiten Milchkaffee, denkt nach. Es sind keine vorgefertigten Sätze, die aus seinem Mund kommen, eher hier und da gestreute Überlegungen, die signalisieren, ihn nicht nur an den Worten zu messen, sondern auch an seiner Biografie. Der Biografie eines 31-Jährigen, der zur Wende 15 Jahre alt war und damit mehr Jahre in der Bundesrepublik verbracht hat als in der ehemaligen DDR. Geboren 1974 in Schwerin, wuchs Lederer mit seinen Eltern in Frankfurt (Oder) auf. „Plattenbau im Neubaugebiet Neuberesinchen“, sagt er, „damals noch nicht verwahrlost, sondern streng kontrolliert, mit Besucherbuch und Hausgemeinschaftsleitung.“
Mathematiker wollte er werden oder Astrophysiker, jedenfalls etwas Naturwissenschaftliches und nicht nur etwas „Gesetzmäßiges“, wie man damals den unabänderlichen Gang der sozialistischen Dinge nannte.
Weil Klaus Lederer nicht nur weich ist und verletzlich, sondern auch willensstark und durchsetzungsfähig, war er bald auf der Frankfurter Gauß-Oberschule, einem Gymnasium mit mathematischem Schwerpunkt. Doch 1988 geschah das Unerwartete. „Meine Eltern teilten mir mit, dass sie nach Berlin ziehen werden. Ich wehrte mich, stritt, kämpfte dagegen an, es half nichts.“ So kam Lederer nach Hohenschönhausen – „wieder in eine Schlafstadt“, wie er sagt.
Doch Berlin war für den damals 14-Jährigen nicht nur die erste Niederlage im Leben, es war auch das erste Abenteuer. „Ohne Berlin“, sagt er heute, „wäre ich nie der, der ich bin.“
Berlin, das waren neben der Schule und der elterlichen Wohnung neue Freunde, Durch-die-Stadt-Ziehen, Musik machen und dann – natürlich – die Wende. „Damals ging das los mit der Politik. An der Schule gründeten wir einen runden Tisch, ich wurde Mitglied der Marxistischen Jugendorganisation Junge Linke, wo ich Benjamin Hoff und Steffen Zillich traf, die heute auch in der PDS-Fraktion sind.“
Danach ging alles ganz schnell: 1992 Eintritt in die PDS, da war Klaus Lederer 18 Jahre alt. Drei Jahre später Mitglied der Bezirksverordnetenversammlung Prenzlauer Berg. 2003 zog er ins Berliner Abgeordnetenhaus ein und wurde bald schon stellvertretender Vorsitzender seiner Partei. Und heute nun der vorläufige Höhepunkt: Landesvorsitzender.
Klaus Lederer bestellt ein vegetarisches Frühstück, dazu noch einen Kaffee, steckt die nächste Zigarette an. Über seine Biografie spricht er gern, das wird deutlich. Es ist eine Biografie, wie sie auch viele seines Alters aus dem Westen erzählen könnten. Aufgewachsen in der Provinz, erste Träume, erste Enttäuschungen, dann die große Stadt, die neue Freiheit, der Ohrring, das Kapuzenshirt. Hätte einer wie er nicht auch bei den Grünen landen können oder den Autonomen?
Lederer lacht. „Ja“, sagt er, „ich trinke lieber Rotwein als Bier, verbringe meinen Urlaub gern in Umbrien, ich höre Klassik, Jazz und Blues, ich fahre kein Auto, sondern BVG.“
Er blickt einen Moment auf, das Vegetarierfrühstück hat geschmeckt. „Wenn du so willst, gehöre ich zum Alternativflügel der PDS.“ Aber in Berlin, fährt Lederer fort, sei das längst nichts Besonderes mehr, da haben sich sich die Reformer in der Partei durchgesetzt, hier gehe es nicht zu wie in Mecklenburg-Vorpommern, wo die PDS zwar mitregiere, aber nicht wisse, warum. Und auch nicht wie in Sachsen, wo sich mit der PDS in Leipzig, Dresden und Chemnitz drei verschiedene Richtungen gegenüberstünden.
Langsam, in immer engeren Kreisen, nähert sich Klaus Lederer doch noch seiner politischen Botschaft, einer Botschaft, die man nennen könnte: Politik als Lernprozess. „Viele von uns haben verstanden, dass man der gesellschaftlichen Realität nicht ausweichen kann“, ist er überzeugt. „Das kannst du machen, wenn du in einer Bürgerinitiative hockst, aber nicht als Partei. Wer sich da der Realität verweigert, ist unwählbar.“
Zur Politik als Lernprozess gehört aber nicht nur die Einsicht in die Notwendigkeiten. Es gehört dazu auch die Suche nach dem Spielraum, der bleibt, wenn das Notwendige abgearbeitet ist. Es ist darum kein Zufall, dass Lederer die Themen Bürgerentscheid, Bürgerhaushalt und direkte Demokratie besonders am Herzen liegen. Es ist dieses Vertrauen in die Menschen, die die richtigen Entscheidungen treffen, die Lederer zum Gegenteil eines linken Populisten macht – einen, der dafür wirbt, es sich nicht zu leicht zu machen, und gleichzeitig dafür, sich einzumischen. Man kann das „neoliberal“ nennen, wie es die Wahlalternative Arbeit und soziale Gerechtigkeit (WASG) gern tut. Oder auch nur – modern.
„Zuhören, reden und überzeugen“, das ist, was sich Klaus Lederer auch als Landesvorsitzender vorgenommen hat. Mehr Zeit als sein Vorgänger will er in den Gremien und Basisorganisationen der PDS verbringen und seine Genossen ermuntern, auch über den Tellerrand des Tagesgeschäfts hinauszuschauen. „So verstehe ich Politik“, sagt Klaus Lederer, „als den Raum des Möglichen.“
Was er damit auch sagt: Mit der WASG, wie sie sich derzeit in Berlin präsentiert, ist eine solche Politik nicht möglich – geschweige denn eine gemeinsame Liste oder gar eine Fusion. Auf dem Landesparteitag der WASG hat er es den Delegierten gesagt, hat sogar Trotzki und Lenin zitiert – ohne Erfolg. „Ich verstehe bis heute nicht, warum die ins Abgeordnetenhaus wollen“, seufzt er und weiß, dass ihn das Thema verfolgen wird. Nicht einfach für einen, zu dessen Aufgabe es nun gehört, diplomatisch zu sein und jedes böse Wort zu vermeiden.
Draußen vor dem Café schlägt Lederer den Kragen seiner Jacke hoch. Er verabschiedet sich. Nicht ins Abgeordnetenhaus, sondern nach Hause, Akten studieren für die Prüfung im Februar. Nein, denke ich, so sieht kein Landesvorsitzender aus, zumindest keiner des alten Typs. Zum neuen Typ dagegen könnte gehören, einen Job so lange zu machen, solange er Spaß macht. Eines weiß Klaus Lederer nämlich ganz sicher, gleich am Anfang hat er es gesagt: „Ein Politrentner will ich nicht werden.“
In diesem Moment hatte er doch ein Pokerface aufgesetzt.