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Kommerz statt Politik im Speisesaal

Immer mehr Hochschulen vergeben die Werberechte in der Mensa an Privatfirmen. Der Deal bringt oft nur wenig Geld – und hat doch weit reichende Folgen: Wer politische Plakate oder Flugblätter verteilen will, muss erst bei den Privaten vorsprechen

VON ANNE MÄRTENS

„Geschichte sollte nicht nur in Büchern stehen – Rettet den Palast.“ Das war auf den Plakaten und Flyern zu lesen, die Holger Busse in der Mensa der Technischen Universität Berlin verteilte. Der 25-jährige Architekturstudent kämpft gegen den anstehenden Abriss des Palasts der Republik. Das DDR-Bauwerk ist für ihn ein wichtiges Denkmal. Darauf wollte er die hungrigen Studenten in der Mensa aufmerksam machen. Doch nachdem Mitarbeiter des Studentenwerks die Info-Materialien entdeckt hatten, rissen sie die Plakate herunter und sammelten die Flyer von den Tischen wieder ein. Busse hatte vergessen, seine Aktion genehmigen zu lassen.

Die Genehmigungen erteilt „Campus direkt“, eine Vermarktungsfirma in Bayreuth. Das Unternehmen organisiert bundesweit für zwölf Studentenwerke sämtliche Werbeaktivitäten, auch an so wichtigen Uni-Standorten wie Hamburg, Münster oder Berlin. Werbung für Pornografie, Nikotin oder Alkoholika sind nicht erlaubt. Doch jenseits dieser Verbote ist die Firma bemüht, Wirtschaftsunternehmen für Reklame in den studentischen Speisesälen zu gewinnen.

Ein Werbetag in der Mensa der Technischen Universität Berlin kostet 220 Euro. 80 Prozent davon gehen an das Studentenwerk, 20 Prozent an die Vermarktungsfirma. Das Berliner Studentenwerk kann sich über mangelnde Werbekundschaft nicht beklagen. „Die Hauptstadt gehört zu den Premiumflächen“, weiß Tatjana Heinl, Geschäftsführerin bei „Campus direkt“. Sie ist stolz, die Berliner in dem hart umkämpften Markt unter Vertrag zu haben.

In den Räumlichkeiten der bundesweit 61 Studentenwerke tummeln sich täglich 2 Millionen Studierende – eine begehrte Zielgruppe für Krankenkassen, Handyanbieter oder Großbanken. Experten schätzen das Werbepotenzial auf 100 Millionen Euro, Tendenz steigend. Ein lukratives Geschäft für alle Beteiligten. Insgesamt buhlen gut ein Dutzend Vermarktungsfirmen um Verträge mit den öffentlichen Einrichtungen.

Doch die Vergabe der Werberechte an Fremdfirmen führt dazu, dass auch studentische Aktionen nur mit dem Segen dieser Unternehmen möglich sind. Für nichtkommerzielle Anliegen dürfen die Studenten zwar gratis werben, aber nur mit Genehmigung. Dabei gehe es nicht um eine inhaltliche Prüfung, betont Firmenchefin Heinl. „Wir kontrollieren lediglich, dass hinter den studentischen Aktionen keine kommerziellen Interessen stecken.“ Auch sei eine Koordination der Termine wichtig. Wenn an einem Tag zu viele Flyer verteilt werden würden, sei dies schädlich fürs Geschäft.

„Das grenzt ja fast schon an Zensur“, empört sich Cornelia Hirsch, bildungspolitische Sprecherin der Linkspartei im Bundestag. Wenn Studenten sogar ihre nichtkommerziellen Anliegen genehmigen lassen müssten, dann sei diese Entwicklung nicht mehr vertretbar.

An der Universität Hamburg registrieren die Studenten seit dem Abtritt der Werberechte im vorigen Jahr ein Vielfaches an Werbeaufkommen. „Physisch, psychisch und akustisch kann man sich dem gar nicht mehr entziehen“, beschwert sich Janna Schumacher vom AStA.

Beim zuständigen Studierendenwerk versteht man einerseits zwar, dass die Studenten genervt sind. Aber das Werk sei dringend auf zusätzliche Gelder angewiesen, nachdem das Land seine Zuschüsse um 50 Prozent gekürzt habe, wirbt die Leiterin um Verständnis. Ohne Werbung könnten die günstigen Mensapreise nicht mehr aufrechterhalten werden.

In Erlangen-Nürnberg dagegen betreibt das Studentenwerk die Mensawerbung in Eigenregie. Nur 5.000 Euro im Monat plus 10 Prozent Gewinnbeteiligung hätten die Vermarkter angeboten, sagt der Leiter der Versorgungsbetriebe, Mathias Meyer. „Die Angebote der Dienstleistungsfirmen sind lächerlich.“ So billig wollte sich Meyer das Recht auf freien Mensazugang dann doch nicht abkaufen lassen.

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