CDU/CSU-FRAKTION: DIE REIHEN GESCHLOSSEN, DIE DOLCHE VERBORGEN : Merkel gewinnt eine Wahl
Wer an das Gute in Politikern glaubt, mag es für einen Ausdruck von Solidarität und Treue halten, dass Angela Merkel jetzt wenigstens in der eigenen Fraktion einen spektakulären Sieg für sich verbuchen konnte. Mit 98,64 Prozent der Stimmen ist sie gestern zu deren Vorsitzender gewählt worden – deutlicher hätte die Zustimmung kaum ausfallen können. Das Signal an die Öffentlichkeit scheint unmissverständlich zu sein: Die Union schließt die Reihen hinter ihrer Kandidatin. Ob die sich darüber freuen sollte, ist eine andere Frage. Gerade wenn man jemandem den Rücken freihält, kann man nämlich besonders gut mit dem Dolch von hinten zustoßen.
Wer Angela Merkel beerben möchte, muss erst einmal stillhalten. Die Chancen der Kanzlerkandidatin, eine stabile Koalition im Bundestag hinzubekommen, stehen nach wie vor nicht gut, und sie dürften in den nächsten Tagen weiter sinken: wenn weitere Interviews gegeben, weitere Mauern hochgezogen und weitere Festlegungen getroffen worden sind. In dieser aufgeheizten Stimmung ist es allerdings auch für keinen der Rivalen verlockend, seinen Hut jetzt schon in den Ring zu werfen.
Die internen Gegner von Angela Merkel können gar nichts Besseres tun, als ihr einen klaren Verhandlungsauftrag zu erteilen – und dann genüsslich zu beobachten, wie sie den Karren vor die Wand fährt. Natürlich laufen sie Gefahr, dass die Rechnung nicht aufgeht. Vielleicht wird Angela Merkel doch zur Kanzlerin gewählt, und vielleicht übersteht sie sogar die Legislaturperiode. Dann stehen ihre Konkurrenten jedoch auch nicht schlechter da als jetzt. Sie haben gar keine andere Wahl, als darauf zu hoffen, dass die Kandidatin persönlich scheitert. Ohne Dolchstoß. Königsmörder sind selten populär, Königinnenmörder noch seltener.
Eine Wahl hat übrigens auch Angela Merkel nicht. Sie musste den Verhandlungsauftrag akzeptieren, sie musste sich zur Fraktionsvorsitzenden wählen lassen – sogar mit einem sehr viel schlechteren Ergebnis. Sonst wäre ihre Karriere schon jetzt beendet gewesen. Nun geht der Kampf wenigstens noch in die nächste Runde. BETTINA GAUS