: Elementarinteressen
Seherfahrungen mit Lerneffekt: Ab Sonntag widmet 3sat dem US-amerikanischen Regisseur James Benning und seinen außergewöhnlichen Filmexperimenten eine Retrospektive
VON BERT REBHANDL
Zwölf Seen und ein Meer in Nordamerika sind die Hauptdarsteller in dem Filmexperiment „13 Lakes“ (Di., 22.55 Uhr). James Benning hat die Kamera jeweils so aufgestellt, dass der Horizont ziemlich genau durch die Bildmitte verläuft. Die obere Hälfte zeigt den Himmel, die untere das Wasser – in jeweils zehn Minuten langen, unbewegten Einstellungen. Zumeist ist die Natur mit sich allein in diesen Szenen, nur manchmal durchquert ein Schiff oder ein Speedboat das Bild. Benning konzentriert sich vollständig auf das Spiel der Wellen, auf das wandernde Sonnenlicht, auf das Farbenspektrum. Er produziert auf diese Weise eine Seherfahrung, die im zeitgenössischen Kino ganz einmalig ist.
Bennings Landschaftsmalerei mit der Kamera funktioniert meist entlang vorgegebener Parameter. Zu den „13 Lakes“ gibt es eine Entsprechung in dem Film „Ten Skies“ (So., 11.15 Uhr). Auch hier sind die Einstellungen zehn Minuten lang. Benning hat vom Garten seines Hauses in Kalifornien aus den Himmel gefilmt. Er beobachtet die Wolkenkonstellationen, die Farben der Tageszeit, das Wetter, in erster Linie aber den Himmel als ein Spektakel, das ohne Inszenierung auskommt. Es gibt vielleicht keinen anderen Filmemacher neben James Benning, bei dem der registrierende Blick der Kamera noch so in Ehren gehalten wird.
Wenn 3sat ihm an diesem Wochenende eine kleine Retrospektive widmet, so hat das auch damit zu tun, dass der WDR „Ten Skies“ und „13 Lakes“ koproduziert hat. Reinhard Wulf, Redakteur beim WDR, hat zudem einen Dokumentarfilm über Benning gedreht, in dem dieser Einzelgänger des Kinos eine verdiente Würdigung erhält: In „James Benning – Amerikanische Landschaften“ (So., 22.50 Uhr) hat Wulf die Dreharbeiten zu „13 Lakes“ verfolgt. Er reiste mit Benning durch Kalifornien, Arizona und Utah, sah ihm dabei zu, wie er seine Motive sucht, und entdeckte in den ausführlichen Interviewpassagen eine hochreflektierte Künstlerpersönlichkeit. „Ich habe mich immer als individuellen Künstler verstanden, der mit Film arbeitet – vielleicht als Filmkünstler. Ich mache alles allein, ohne jede Hilfe.“
1987 kam Benning nach Kalifornien, um am California Institute of the Arts zu unterrichten. Er lebt in Val Verde, einer Kleinstadt im Einzugsgebiet von Los Angeles, und nennt Robert Smithson und die Land Art als maßgebliche künstlerische Einflüsse. In Kalifornien entstanden auch Bennings bekannteste Filme. So protokolliert er in „Los“ die Stadt Los Angeles in 35 Einstellungen, in „El Valley Centro“ zeigte er die Besonderheiten der kalifornischen Landschaft, die an vielen Orten auf künstliche Bewässerung angewiesen ist.
Sein Interesse an den elementaren Erscheinungen der Natur ist erst allmählich aus einer politischen Beschäftigung mit Landschaft hervorgegangen. In „Four Corners“ begab er sich an den Punkt, an dem die Bundesstaaten Colorado, Arizona, New Mexico und Utah aneinander stoßen. Benning entwickelte von diesem Ort aus eine versponnene, kritische Subgeschichte der amerikanischen Pioniermythologie. „Ich habe eine große Hassliebe zu diesem Land – einem Land, das auf dem Genozid an den Indianern gründet. Ich glaube, dass die Filme meine Frustration ausdrücken, Amerikaner zu sein, und Zweifel daran, wohin das Land sich entwickelt hat.“
Angesichts der Tatsache, dass die älteren Filme von Benning in Deutschland nahezu unbekannt sind, ist es besonders verdienstvoll, dass 3sat auch einen Film aus den Siebzigerjahren sendet: „One Way Boogie Woogie“ (Mo., 23.15 Uhr) ist ein Denkmal für Bennings Heimstadt Milwaukee. Die 60 jeweils einminütigen Einstellungen des ursprünglichen Films zeigen in leuchtenden Farben eine untergehende Welt. Der Titel spielt auf das Gemälde „Broadway Boogie Woogie“ von Piet Mondrian an, an dessen Komposition der Film sich messen will. Benning bezieht seinen Titel auf die vielen Einbahnstraßenschilder, die in seinen Einstellungen auftauchen. Für die 3sat-Reihe hat er „One Way Boogie Woogie“ nun aktualisiert. Benning fuhr noch einmal nach Milwaukee und suchte die Drehorte von damals auf. Diese Methode wirft ein bezeichnendes Licht auf das gesamte Projekt von Benning: Er begreift das Bild nicht so sehr als einen Schnitt durch die Wirklichkeit, sondern als Schicht, in der andere Ebenen latent bleiben und bei genauem Hinsehen unvermuteter Sinn produziert wird.
„Es gibt viele gute, unterhaltsame Filme, die gefällig sind und vom Publikum geliebt werden. Ich habe aber kein Interesse, für ein angenehmes Erlebnis zu sorgen – dass man das Kino verlässt und nicht weiter nachdenkt. Ich fordere mehr. Ich hoffe aber, dass meine Bilder letztlich nicht mühselig sind, dass man vielmehr etwas lernt, wenn man meine Filme sieht – sowohl über mich als auch über sich selbst.“ Und sicher auch über die USA, dieses Land, das so über die Maßen reich an eindrucksvoller Natur und Geschichte ist.