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Union will Kirchhof light

Kanzlerkandidatin Angela Merkel geht auf größtmögliche Distanz zu ihrem Schattenminister

BERLIN taz ■ Der freundlichen Hinweise aus der FDP bedurfte die Union am Sonntag gar nicht mehr. Schon das ganze Wochenende über waren Politiker von CDU und CSU von ihrem Steuerfachmann Paul Kirchhof abgerückt, der innerhalb zweier Wochen eine beispiellose Karriere vom Wundermann zum Beelzebub absolviert hat.

Zwar erklärte CDU-Generalsekretär Volker Kauder am Freitag noch leicht gequält auf die Frage, ob der frühere Verfassungsrichter denn nun Finanzminister einer möglichen schwarz-gelben Regierung werde: „Auf das Wort einer Bundeskanzlerin wird Verlass sein. Sie hat sich dazu erklärt.“ Zwar sagte Kanzlerkandidaten Angela Merkel auf einer Kundgebung in Koblenz, die Angriffe der SPD gegen den Schattenminister seien „eine unglaubliche Verleumdung“. Doch war es auch Merkel, die am Wochenende zurechtrückte, in der kommenden Wahlperiode stehe lediglich das Steuerkonzept der Union zur Debatte, mit progressiven Sätzen zwischen 12 und 39 Prozent. „Was darüber hinausgeht, steht jetzt nicht zur Abstimmung.“ Mehr an Distanz kann die CDU-Vorsitzende kaum zeigen, will sie Kirchhofs Berufung nicht ganz offen zur Fehlentscheidung erklären.

Politiker der zweiten Reihe wurden deutlicher. Der baden-württembergische Finanzminister Gerhard Stratthaus (CDU) erklärte Merkels Kompetenzkandidaten ganz offen für wenig praxistauglich. Ein Visionär wie Kirchhof werde sich als Finanzminister an die „Gepflogenheiten der Praxis“ gewöhnen müssen, so Stratthaus. „Das tägliche Geschäft eines Finanzministers ist sehr hart, vor allem die Auseinandersetzungen mit Interessengruppen, Parlamentariern und Kabinettskollegen, die immer mehr Geld fordern.“

Der Unions-Fraktionsvize Wolfgang Bosbach verlangte ebenfalls eine stärkere Abgrenzung seiner Partei von Kirchhofs Plänen für eine Radikalreform des deutschen Steuerrechts. „Es gibt großen Zuspruch für Herrn Kirchhof, es gibt aber auch Verunsicherung, weil nicht hinreichend klar ist, was gilt.“ Deswegen müsse die Union immer wieder deutlich machen, dass ihr Wahlprogramm gültig sei.

Gänzlich zufrieden mit dem Verlauf der Debatte zeigte sich allein die SPD, allen voran der Bundeskanzler. „Die Union robbt sich von Kirchhof weg“, stellte Gerhard Schröder zufrieden fest. Der Opposition sei die Berufung des Steuerfachmanns mittlerweile selbst „peinlich“. Paul Kirchhof sei mit seinen „absurden Vorstellungen“ eine „Bedrohung“ für viele Menschen. Er wolle über 80 Millionen Deutsche zu „Versuchskaninchen“ machen. Kurzum: „Dieser Mann lebt nicht in dieser Welt.“ Das hatte, mit etwas anderen Worten, auch der Stuttgarter CDU-Finanzminister gesagt. RALPH BOLLMANN

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