: „Die USA sind heute von Ostasien abhängig“
Vor 60 Jahren wurden Hiroschima und Nagasaki zerstört. Japan kapitulierte, die USA siegten. Doch politisch haben die USA den Krieg in Asien verloren. 2005 sieht man deutlich: Ihre Macht hat Grenzen. Auch wegen des Aufstiegs Chinas
taz: Herr Kolko, vor 60 Jahren legten die USA mit Atombomben Hiroschima und Nagasaki in Schutt und Asche. Militärisch nötig war dies nicht. Welche Motive hatten die USA?
Gabriel Kolko: Die Russen wussten, dass die USA an der Bombe bauten, wie es auch die Russen taten. Um Moskau zu beeindrucken, hätte die Bombe auf Hiroschima gereicht. So zeigte die zweite auf Nagasaki, wie die Amerikaner wirklich dachten. Es ging darum, dass sie die Bombe hatten und deshalb auch nutzten. Das war nicht politisch, sondern einfach dumm. Die Militärs waren daran gewöhnt, Menschen zu töten, sodass der Einsatz der Atombombe nur eine andere Art davon war, aus ihrer Sicht ökonomischer und effizienter.
Am 2. September 1945 endete der Zweite Weltkrieg mit der Kapitulation Japans. Was war, im Rückblick, signifikant für den Zweiten Weltkrieg?
Der Erste Weltkrieg war hauptsächlich ein europäischer Krieg, der Zweite dagegen war wirklich global. Sein wichtigstes Ergebnis war die Revolution in China. China, Vietnam und Nordkorea wurden kommunistisch, fast auch noch die Philippinen. Es lässt sich streiten, inwieweit die drei Staaten wirklich kommunistisch sind, Tatsache ist, dass sie vom Westen unabhängig wurden, antiamerikanisch sind und zum Teil großes Wirtschaftspotenzial haben. Die zentralen Veränderungen dieses Weltkriegs fanden in Asien statt. Im Vergleich mit Europa war Asien zwischen 1917 und 1939 relativ stabil, nach 1945 wurde es zur Hauptregion der Instabilität.
Keiner der großen Kriege endete so, wie es die Strategen erwartet hatten, schreiben Sie in Ihrem Buch „Das Jahrhundert der Kriege“. Wo irrten die Strategen beim Krieg im Pazifik?
Die Japaner erwarteten natürlich nicht, dass sie den Krieg verlieren. Japans Marine sah, dass ihr für einen langwierigen Krieg die Rohstoffe fehlten, deshalb verfolgte Japans Armee eine Strategie, möglichst viel möglichst schnell aus den eroberten asiatischen Staaten herauszuholen. Das war politisch völlig kontraproduktiv. So wurden zum Beispiel im eroberten Vietnam Reisfelder in Kautschukplantagen umgewandelt, sodass es nicht mehr genug Lebensmittel gab. Ohne diese Erfahrungen hätte es wahrscheinlich keine vietnamesische Revolution gegeben.
Im größeren Rahmen gilt dies auch für China. Die dortige Kommunistische Partei hatte 1927 58.000 Mitglieder. 1937 waren es 40.000, also weniger. Dann kamen die Japaner und mobilisierten indirekt die chinesischen Bauern. Dass China kommunistisch werden könnte, hatten Japans Strategen nie erwartet. Auch die USA nicht. Die glaubten, die Kuomintang würde gewinnen. Sonst hätten sie doch nie China einen ständigen Sitz mit Vetorecht im UN-Sicherheitsrat gegeben. Der war für die Kuomintang gedacht. So waren alle überrascht vom Ergebnis des Krieges in Asien.
Der Krieg beendete immerhin den japanischen Militarismus und Imperialismus, wogegen die USA schließlich kämpften.
Japan verlor den Krieg militärisch und politisch, die USA gewannen in Asien militärisch, verloren aber politisch. Denn das politische Ergebnis entsprach überhaupt den Erwartungen. Man hatte nicht damit gerechnet, dass die Kommunisten so eine große Region unter ihre Kontrolle bringen würden. Als Chinas Kommunisten 1949 die Macht übernahmen, war das für die USA ein Desaster. Damit hatten die Russen die Chinesen nominal zum Verbündeten. Was Japans Militarismus und Imperialismus angeht, so bereuen die USA inzwischen ihre damalige Politik. Heute sehen die USA Japan als Gegengewicht zu China. Unter Ministerpräsident Koizumi ist Japan wieder nationalistischer und militaristischer geworden. Abgesehen davon haben sich die Japaner mit der Beibehaltung des Kaisers auch einen Teil ihrer imperialistischen Tradition bewahrt. Legen sich die Japaner bald Atomwaffen zu, wäre ich nicht überrascht.
In „Das Jahrhundert der Kriege“ behaupten Sie, dass die beiden Weltkriege die Fundamente der Gesellschaften erschütterten und so den Kommunismus in vielen Ländern erst möglich machten. Was hieß das für Asien?
Menschen sind meist nicht per se Revolutionäre. Lenins Macht war das Produkt des Ersten Weltkriegs. Der Zweite löschte in China die Mittelschicht aus, die Realeinkommen fielen bis 1943 um bis zu 90 Prozent. Die katastrophale Inflation trieb viele Leute zu den Kommunisten. Die Menschen waren keine Marxisten-Leninisten, sondern wollten, dass China wieder groß wird, sie waren Nationalisten. In Vietnam führten die Kommunisten den Sturm auf die Reislager an. Die Mobilisierung in China und Vietnam basierte auf nationaler Identität, die Kommunisten dort waren sehr nationalistisch. Chinas KP wuchs von 40.000 Mitgliedern 1937 auf 4,5 Millionen 1949. Die Kommunisten waren in China die führende Kraft gegen ausländische Interventionen, in dem Fall der Japaner. Die Kuomintang dagegen war völlig korrupt. Die Kommunisten standen für ein China, das produktiv und nationalistisch war. Dieser Nationalismus ist noch heute der Kern der kommunistischen Herrschaft in China. Gäbe es dort heute Wahlen, würden die Kommunisten wohl gewinnen, weil sie China wieder stark gemacht haben.
Markierte der Zweite Weltkrieg den Wechsel vom Kolonialismus zum Neokolonialismus? Schließlich leitete der Krieg die Unabhängigkeit vieler Staaten in Asien ein.
Die Amerikaner stießen 1945 in Asien in ein Vakuum vor, das die Japaner und die europäischen Kolonialmächte hinterließen. In dem Sinn war der gewachsene US-Einfluss in Europa und Asien ein Ergebnis von europäischem Wahnsinn und japanischer Niederlage. Spätestens Anfang der 70er-Jahre ging es mit der US-Hegemonie in Asien zu Ende. Da hatten die Asiaten ihre eigene Identität entwickelt und die USA in Vietnam militärisch wie wirtschaftlich verloren, während Asien sich allmählich entwickelte. Die Seato, das asiatische Gegenstück zur Nato, war bereits tot. Heute sind Japaner, Südkoreaner und Taiwaner recht unabhängig.
Aber Japan, Südkorea und Taiwan verlassen sich noch heute auf den Schutz des US-Militärs. Sind die USA nicht vielmehr noch die Hegemonialmacht in Asien, die zum eigenen Vorteil darauf achtet, dass dort keine Macht zu stark wird?
Die Chinesen sind keine militärische Bedrohung, denn sie wollen keinen Krieg, sondern Business. Die USA haben eine große Militärmaschinerie, aber auch eine riesiges Handelsdefizit, weshalb sie keine Hegemonialmacht im klassischen Sinne sind. Um ihr Defizit zu decken, müssen sie sich hauptsächlich in Asien Geld leihen. Die USA sind heute ein abhängiges Schuldnerland. Die Ostasiaten halten den US-Dollar am Leben. Lassen China, Japan oder Südkorea den Dollar fallen, sind die Amerikaner erledigt. Die USA sind trotz ihrer militärischen Macht auch sehr schwach.
Die USA sind also ein Papiertiger?
Sie sind längst nicht mehr so mächtig wie 1946. Sie werden die Lektionen aus dem Korea- und Vietnamkrieg noch lernen müssen – und auch die im Irak. Die USA machen viel Ärger, aber sie sollten nicht überbewertet werden. Die Macht der USA hat Grenzen, was sich wieder in Asien zeigen wird.
INTERVIEW: SVEN HANSEN