: Die Putin-Jugend macht wieder mobil
Der Führer der Organisation Naschi lässt junge Leute für den Kreml aufmarschieren und schätzt derbe Sprüche. Die russische Führung nutzt den autoritären und faschistoiden Verein als antidemokratische Kohorten, die den öffentlichen Raum besetzen
AUS MOSKAU KLAUS-HELGE DONATH
„Statt der 450 Idioten, die in der Duma sitzen, kommen 450 junge Leute“, prahlte Jungführer Wassili Jakemenko und prophezeite der herrschenden „Verlierer-Elite“ in Kremlnähe ein baldiges Ende. Der Funktionär der Jugendorganisation „Naschi“, zu deutsch die Unsrigen, schätzt derbe Sprüche und verstößt bewusst gegen die guten Sitten. Schließlich beleidigte der „Woschd“ (Führer) auch die von Präsident Wladimir Putin handverlesenen Abgeordneten der Kremlpartei „Vereinigtes Russland“.
Dergleichen Aufmüpfigkeit müsste eigentlich die Karriere kosten. Nicht so im Fall Jakemenko, den Wladimir Putin kürzlich als einzigen Vertreter russischer Jugendverbände zu einer Audienz in den Kreml bat. Um das Baltikum, Europa und innenpolitische Fragen sei es gegangen, brüstete sich der opportunistische Heißsporn anschließend. Der Kreml hielt sich gleichwohl bedeckt, wollte das Treffen weder bestätigen noch dementieren.
Dort weiß man, mit wem man es zu tun hat. Vor vier Jahren machte Jakemenko mit der Gründung der Jugendorganisation die „Zusammengehenden“ erstmals von sich reden. Zusammengehen mit Putin, versteht sich. Der Volksmund taufte den bunten Haufen, der sich um Putin-Devotionalien scharte, denn auch bald „Putinjugend“.
Die Popularitätswelle des Präsidenten, großzügige Finanzhilfen aus dem Kreml und von ihm nahe stehenden Unternehmen garantierten bei Massenveranstaltungen Erfolg. Aus dem ganzen Land karrten die Organisatoren Jugendliche kostenlos in die Hauptstadt und belohnten sie mit Kino- und Konzertbesuchen für die fähnchenschwenkende Unterstützung des Kreml.
Die aktiven Funktionäre vom Schlage Jakemenkos bevorzugen gleichwohl spektakuläre Aktionen. So bezichtigten sie den populären Schriftsteller Wladimir Sorokin der Pornografie, zerrten ihn vor den Kadi und entsorgten seine Bücher öffentlich in einer überdimensionalen Toilette. Im Tausch gegen Sorokins Werke verteilten sie Literatur aus den Federn patriotischer Weltkriegsautoren. Keine jugendlichen Utopien sind es, die der Verein verkörpert, sondern Saubermannhorizont und Kleingeist werden kultiviert.
Im April gaben sich die „Zusammengehenden“ einen griffigeren Namen: „Naschi“. In Abgrenzung zu den Fremden, den anderen, den Nichtrussen. Eine Dichotomie, die inzwischen die Öffentlichkeit wieder beherrscht und auf eine lange Geschichte russischer Xenophobie zurückreicht. Hinter der Angst vor Überfremdung lauert, so paradox es klingen mag, der russische Imperialismus: In dieser Lesart kommt er verharmlosend als ein Selbstverteidigungsreflex daher.
Die „Naschi“ geben sich modern und jugendlich, die Ideologie bleibt aber autoritär und faschistoid. „Naschism“ nennen Beobachter die Bewegung in Anlehnung an den „faschism“, den Faschismus.
Um solchen Angriffen zuvorzukommen, ging Jakemenko in die Offensive: Die „Naschi“ seien „antifaschistisch“, meinte der Jungführer und zieh bekannte Vertreter der demokratischen Restöffentlichkeit im Gegenzug, Träger faschistischen Gedankenguts zu sein. Unter ihnen Schachweltmeister Garri Kasparow, die ehemalige Präsidentschaftskandidatin Irina Chakamada, der unabhängige Abgeordnete Wladimir Ryschkow und der Chef der Jugendabteilung der demokratischen Partei „Jabloko“.
Durch die Organisation einer „Stafettenübergabe“ nach den Feierlichkeiten zum 60. Jahrestag des Siegs über den Faschismus stellte sich die „Naschi“ geschickt in die Kontinuität der antifaschistischen Frontkämpfergeneration. 50.000 Jugendliche brachte der Demagoge Jakemenko auf die Straße. Der Kreml war beeindruckt. Zwar nahmen die meisten Demonstranten weniger aus Überzeugung denn wegen der einmaligen Chance, sich kostenlos in Moskau vergnügen zu können, an der Veranstaltung teil. Doch im Kreml zählt die Masse, nicht, was die denkt.
Die Revolutionen in Georgien und der Ukraine, an denen die Jugend maßgeblich mitwirkte, versetzte Moskaus Geheimdienstelite in Alarmbereitschaft. Als antidemokratische Kohorten, die den öffentlichen Raum besetzen, bieten sich „Naschi“ geradewegs an. Kommissare nennen sich denn auch die leitenden Jungfunktionäre in den Regionen bewusst im Rückgriff auf die revolutionäre Elite der KPdSU nach der Oktoberrevolution.
Die jüngst zur Schau gestellte Radikalität gibt einigen Vertretern des Regimes dennoch zu denken. Sergei Mironow, der Vorsitzende des Föderationsrates, warnte vor den „ideologischen Wölfen“, die drohten, außer Kontrolle zu geraten. Jakemenko konterte umgehend. Der zweite Mann im Staat würde ohnehin bei der bevorstehenden „Revolution der Kader“ seinen Posten verlieren. Putin erwies ihm trotzdem seine Reverenz.
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