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„Äh, Herr Doktor Best, ich hätte da mal ’ne Frage …“

Wenn Milky Way in Milch versinkt oder der Schwingkopf nicht schwingt, dann ist das ein Fall für die Produkt-Hotline. Was der „kritische Verbraucher“ da zu hören bekommt, ist oft noch dümmer als die Werbung selbst. Ein Erfahrungsbericht

VON MARKUS VÖLKER

Am Anfang ist der stete Tropfen auf den Kopf noch ganz lustig, nach einer Weile schon nervig – und wenn man seinem Takt allzu lange ausgesetzt ist, dann treibt er einen schließlich in den Wahnsinn. Mit der chinesischen Wasserfolter verhält es sich wie mit dem Wortgeklingel der werbetreibenden Industrie. Und da heißt es immer, der Verbraucher sei der säkulare Held unserer Zeit.

Aber wo, außer an der Kasse, kann er seine Heldentaten vollbringen? Reicht es denn aus, ab und an dem Konsum zu entsagen, sich in test oder Ökotest über die neuesten Zumutungen der Produktdesigner zu informieren? Reicht es, in den Bioladen zu gehen, „bewusst“ einzukaufen – was immer das auch heißen mag? Ist es damit getan? Wohl kaum. Damit sind nur Fluchtwege aus der schönen bunten Warenwelt aufgezeichnet. Selbst wenn man sich in die Nischen sauberen Konsums begibt, geht draußen das schmutzige Spiel weiter, die Tyrannei der Werbung, die Indoktrination durch absurde Versprechungen und hanebüchene Slogans.

Der Drachen, den unser Held bekämpfen könnte, ist die billige Effekthascherei der Werbung. Ein erster Schritt könnte es sein, die Anbieter zur Rede zu stellen. Das geht ganz einfach. Auf vielen Produkten haben sie eine Telefonnummer hinterlassen. Sie nennt sich Produkt-Hotline, Verbraucherberatung oder Verbraucher-„Information“.

Ich bin Verbraucher. Also rufe ich an. Ich versuche einfache Fragen zu stellen. Im Normalfall nutzt nicht der kritische Verbraucher diese Hotlines, allenfalls der so genannte Sustainer, also der eher unmündige Käufer, der den Werbern auf den Leim geht. Um ebendiesen Eindruck zu verstärken, rede ich am Telefon Dialekt. Wenn die mich an der Nase herumführen, warum sollte ich auf Tricks verzichten? Das Sächseln fällt mir nicht schwer. Ich bin im sächsischen Randgebiet aufgewachsen. Zuerst erkundige ich mich nach dem Befinden von Dr. Best.

Das ist der Herr im Arztkittel mit dem strengen Blick. Dr. Best ist so real wie der Hustinettenbär, dennoch soll der Artverwandte von „Robert T. Online“ Seriosität, Wissenschaftlichkeit und Autorität vermitteln. Ich erkläre Frau Jäger am Telefon, dass ich von Dr. Bests Bürsten Zahnfleischbluten bekommen hätte und auch die Zähne meiner Freundin von der Bleeching-Creme nicht weißer werden. Der Schwingkugelkopf an meiner Bürste habe völlig versagt, erläutere ich Frau Jäger. Die sagt: „Oh, da kann ich Ihnen auch nicht weiterhelfen, schicken Sie uns doch am besten eine E-Mail.“

„Das ist ein echter Zahnarzt!“

Als ich ihr eröffne, ich hätte keinen Internetzugang, unterdrückt sie ein Lachen. „Dann eben einen Brief an GSK, an GlaxoSmithKline.“ Dr. Best darf ich nicht sprechen. Ob es den überhaupt gebe, kann mir Frau Jäger nicht sagen. „Nee, ein Schauspieler ist das nicht, das ist schon ein echter Zahnarzt, glaube ich.“ Ich melde meine Zweifel an und schlage Dr. Markus Merk, einen republikweit bekannten Zahnarzt, als Werbepartner vor. Dr. Merk pfeift auch Fußballspiele. Frau Jäger hält nichts von meiner Offerte. „Das hat ja wohl nichts mit unseren Produkten zu tun.“ Ich hake nach. Den Tomatentest von Dr. Best hätte ich gemacht. Die Zahnbürste sei in die Tomate geflutscht. „Dann war sie wohl zu weich“, kontert Frau Jäger. „Hollandtomaten sind eben auch nicht mehr, was sie waren“, beende ich das Gespräch.

Nun muss das Geheimnis der Bakterie L. Casei Defensis geklärt werden. Der Bakterienstamm hat das Joghurtprodukt „Actimel“ der Firma Danone okkupiert, einen dieser Lifestyle-Joghurts, die nicht nur Kalorien spenden, sondern auch ein neues Körpergefühl. Ich will von der Danone-Verbraucherberaterin wissen, wie es denn sein könne, dass Bakterien, also Krankheitserreger, Gutes tun können.

„Bakterien sind nicht schlecht, man kann auch Kultur dazu sagen“, lautet die Antwort. „Kultur ist super“, finde ich: „Kultur ist immer gut, man kann nicht genug davon kriegen.“ Sie darauf: „Es gibt natürlich auch negative Bakterien, aber die sind nicht im Joghurt drin, sondern eher positive, die die negativen auslöschen.“ Aha. Actimel wirkt also praktisch wie pure Medizin. Das Zeug tunt meinen Körper, mehr noch, es kämpft gegen das Böse in mir, das ist natürlich „wissenschaftlich erwiesen“ und „klinisch geprüft“.

„Nein, das ist kein Abführmittel!“

Früher gab es ja nur den Joghurt, eine weiße Masse, von der man nicht viel wusste. Die Werbung hat ein Hightechprodukt aus dem amorphen Brei gemacht. Die Technisierung fing mit rechts und links drehenden Milchsäuren an. Im Joghurt muss es Schwindel erregend zugehen – ein einziger Kreisverkehr. „L. Casei dreht sich nicht“, sagt mir die freundliche junge Stimme am Telefon, was natürlich nicht heiße, dass die drehenden Säuren nicht auch in Actimel drin seien. „Es ist überwiegend rechts drehende Milchsäure enthalten, die lässt sich leichter verdauen“, sagt die Telefonfrau. Meine Darmflora werde nachhaltig auf Vordermann gebracht: „Die Darmflora ist der Kern Ihres Körpers“, erfahre ich. Ob Actimel bei all dem Bakterien- und Flora-Hokuspokus abführend wirke, will ich zum Schluss wissen. „Nein, das ist kein Abführmittel.“ Gut zu wissen.

Meine Feldforschung führt mich zur Firma L’Oreal Paris. Im Fernsehen habe ich gesehen, dass L’Oreal einen tollen neuen Wirkstoff gefunden hat, der Falten im Gesicht ausbügelt. Er heißt Boswelox. Das klingt wie ein neuartiger chemischer Kampfstoff eines Schwellenlandes, aber Frau Bieler kann meine Bedenken zerstreuen.

Nach eingehendem Studium („Bleiben Sie bitte dran“) irgendwelcher Unterlagen aus der Boswelox-Forschung sagt sie, Boswelox sei pflanzlichen Ursprungs. Um diese Behauptung zu untermauern, untersucht sie auch noch die Verpackung und den Beipackzettel. Aber da findet sich nichts über das Wundermittel Boswelox. „Naja, dann eben nicht.“

Auf jeden Fall werde der Wirkstoff der Decontract-Antifaltencreme „Bäumen aus trockenen Gebirgsgegenden“ entnommen. Aus der Rinde oder dem Harz. Die alten Ägypter hätten Boswelox als Weihrauch benutzt, sagt sie. „Also wird das Gesicht quasi beweihräuchert“, frage ich. „So ungefähr“, erwidert Frau Bieler. Sie hat es nicht leicht. Verbraucherberater müssen sich mit bis zu fünfzig Produkten auskennen. Sie betreibt gewöhnlich keine Aufklärung über Inhaltsstoffe und muss sich auch keinen skeptischen Fragen stellen, normalerweise schlüpft sie in die Rolle der Kosmetikerin, die, so nett sie das eben kann, ihre Ferndiagnosen stellt. „Also jetzt noch mal“, geht Frau Bieler in die Offensive: „Das ist ein pflanzliches Exakt.“ Extrakter geht es wirklich nicht.

„Mikromikroklein im Apfel drin!“

Ich habe noch allerlei Firmen angerufen. Ich habe mich über die Gewinnung von Fruchtwachsen aufklären lassen, die „mikromikroklein im Apfel“ drin sein sollen und mein Haar geschmeidig machen.

Ich habe mich nach dem Pantene-Amino-Pro-V-Effekt erkundigt und herausgefunden, dass mein Haar aus nicht drehenden Aminosäuren besteht.

Ich wollte von der Elmex-Forschung wissen, ob es unbedenklich ist, die Abendpasta auch morgens zu benutzen, und erhielt grünes Licht. Ich habe mich bei Milky Way in Amerika nach den Schwimmeigenschaften des Schokoriegels erkundigt und erhielt die leicht indignierte Antwort, die Süßigkeit schwimme selbstverständlich in Milch, auch nach der neuen Rezeptur. Ich wollte Mach3 (Gillette) nach dem ersten Hochgeschwindigkeitsrasierer befragen und wurde abgewiesen.

Hat es etwas genutzt, dass ich mal nachgefragt habe? Kaum.

Genugtuung verschafft immerhin die Erkenntnis, dass die Werbepropaganda nicht immer funktioniert. Manchmal tappen die Firmen in ihre eigenen Fallen – bei der Namensfindung von Autos zum Beispiel. Mitsubishi taufte einen Geländewagen auf den schönen Namen „Pajero“, doch darunter versteht man in Spanien dummerweise „Wichser“. Der VW Pinto war in Brasilien eine Lachnummer, weil Pinto auf Portugiesisch auch „Schwanz“ bedeutet. Und im französischen Sprachraum klingt selbst das harmlose Typenkürzel des Mazda MR2 irgendwie, naja, anrüchig.

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