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Archiv-Artikel

Der Mensch, den er spielte

Harald Juhnke ist tot. Er war der einzige Entertainer, den Westdeutschland je hatte: Star der Kriegsjugend, Theater- und Filmdarsteller, Sänger, Womanizer, Punk-Zitat, Trinker. Ein Abschied

VON DETLEF KUHLBRODT

Traurig und wehmütig war dieser helle Tag. Harald Juhnke ist tot. Der Entertainer, der wie kein anderer für das alte ummauerte Westberlin stand, starb gestern Morgen im Alter von 75 Jahren. Die letzten drei Jahre hatte er geistig umnachtet in einem nahe bei Berlin liegenden Pflegeheim für Demenzkranke verbracht.

Juhnke war der Star der Kriegsjugend, derjenigen, die zwischen 1925 und Anfang der 30er-Jahre geboren wurden, die faschistisch sozialisiert wurden, den Krieg noch miterlebt hatten, ohne selbst schuldig zu sein; denen Zusammenbruch und Wiederaufbau biografisch vertraut sind. Späteren Generationen war Juhnke zwar auch, aber oft eher ironisch sympathisch. Das System Juhnke wurde gern zitiert, von Punks und Fußballfans („Es gibt nur ein’n Harald Juhnke“) lange bevor Rudi Völler besungen wurde.

Trinker und Womanizer

Der Mensch blieb aber immer etwas fremd; die Welt auch, die sich in den Liedern widerspiegelte, die er so gern sang: „Sekt oder Selters“ ging noch; „Barfuß oder Lackschuh“ war schon ziemlich weit weg, wie das Berlin vor 68, dessen Repräsentant er immer irgendwie blieb, als arrivierter Halbstarker der 50er-Jahre, als Trinker und auch Womanizer, über dessen Eskapaden die Boulevardzeitungen gern auf Seite eins berichteten. Ein paar Tage später gab’s am gleichen Ort die tränenvollen Entschuldigungen bei seiner Frau. Über Jahrzehnte hatten die Boulevardzeitungen in Sachen Juhnke unzählige Musterbeispiele von geldgeiler Schamlosigkeit geliefert. Mag sein, dass es eine unheilige Allianz im gegenseitigen Interesse war; den schwächeren Part in dieser Allianz hatte aber Juhnke.

Die Karriere des Schauspielers (Theater, zahllose Fernsehauftritte, 70 Kinofilme), des Trinkers (wohl alles) und Sinatra-begeisterten Sängers hatte 1948 im Haus der Kultur der Sowjetunion, dem heutigen Maxim-Gorki-Theater, begonnen. Dort hatte er sein Bühnendebüt in der Rolle eines jungen Offiziers gegeben. 1954 war er die Synchronstimme von Marlon Brando in „Die Faust im Nacken“.

1959 kam er erstmals wegen Alkohols in die Presse, als er sich betrunken mit acht Polizisten prügelte. Richtig berühmt wurde er dann im Fernsehen der 70er-Jahre. Er spielte in den Serien „Ein Mann für alle Fälle“ und „Ein Mann will nach oben“ und gewann die Herzen der Zuschauer an der Seite seiner langjährigen Partnerin Grit Böttcher in der Serie „Ein verrücktes Paar“. 1979 übernahm er die Moderation der ZDF-Sendung „Musik ist Trumpf“, als Nachfolger des verstorbenen Peter Frankenfeld. „Die einzige miese Kritik, die ich bekam, stand im Neuen Deutschland.“ („Die Kunst ein Mensch zu sein“)

Das Symbol Westberlins

In dieser Zeit werden die Alkoholprobleme des Entertainers immer deutlicher, doch er bleibt am Ball mit Serien wie „Leute wie du und ich“ (1981 bis 1984), der ZDF-Komödie „Es bleibt in der Familie“ (1981) und zahlreichen Theaterrollen. In der Nähe des Westberliner Zoos hängt er immer noch, seit Jahren, ganz groß, auf einem schon etwas grünlich verblassten Plakat, etwas Chinesisches essend, das Symbol des untergegangenen Westberlins.

Scheitern, wieder aufstehen, wieder scheitern, wieder aufstehen. Er war kein glücklicher Mensch, sicherlich. Er war auch kein Frank Sinatra, dessen Lieder er so gern sang. Man liebte ihn wegen seiner Mängel; man liebte den Menschen, den er spielte. Aber er konnte so elegant eine Showtreppe hinabsteigen wie sonst kein deutscher Entertainer. Ist nicht mehr entscheidend was los in dem architektonischen Ensemble, in dem Juhnkes Bild hängt. Man schaut in dieses Gesicht, diese lustige Nase, aber auch das lockere Grinsen des Nachkriegsschiebers, der er mal war, als es das Wort Teenager noch nicht gab. Juhnke war: ein großer Junge, der immer geliebt werden möchte; ein merkwürdiger älterer Herr, ein „alter Sack“ (Juhnke), ein der Welt abhanden gekommener Kranker im Heim.

Ab Mitte der 80er-Jahre führen seine Quartalssaufereien immer wieder zu abgesagten Tourneen und Fernsehauftritten. Wenn er aber auftrat, bekam er gute Kritiken. Nicht nur fürs schöne Unterhaltungsfernsehen mit Eddi Arendt, dem ehemaligen Edgar-Wallace-Butler, in der Serie „Harald und Eddi“ (ab 1987), sondern auch für ernste Rollen wie in Osbornes „Der Entertainer“ (1987) oder Molières „Tartuffe“. 1992 überzeugte er in Helmut Dietls Mediensatire „Schtonk“, 1997 begeisterte er als „Hauptmann von Köpenick“ und fiel nach einem Saufgelage mit Udo Lindenberg wieder aus.

Juhnkes letztes Gelage

Ganz bei sich war er, der eigentlich nie einen anderen spielen konnte, 1995 als „Trinker“ in der Fernsehverfilmung des Romans von Hans Fallada. Zum 70. Geburtstag gratulierte ihm die ARD im Juni 1999 mit der Gaunerkomödie „Drei Ganoven, ein Baby und die Liebe“, in der Juhnke die Paraderolle spielte. Im Juli 2000 folgte dann sein endgültiger Zusammenbruch, aus der Rekonvaleszenz kehrte Juhnke nicht mehr zurück. Seit dem 11. Dezember 2001 lebte er in einem Pflegeheim für Demenzkranke bei Berlin.

„Harald, du bist so richtig ein Schauspieler wie früher, du bringst die Leute zum Lachen, und nachher weinen sie auch mit dir“, hatte Bernhard Minetti einmal gesagt. Wir trauern um Harald Juhnke und trinken gleich viel.