: Antrittsbesuch mit einem Affront
Bei seiner ersten Visite nach der Vereidigung versucht der ukrainische Präsident Juschtschenko in Moskau die Wogen zu glätten. Die Ernennung von Julia Timoschenko zur Regierungschefin dürfte dem Kreml nicht gefallen. EU will Aktionsplan ausweiten
VON KLAUS-HELGE DONATHUND RUTH REICHSTEIN
Der Antrittsbesuch des ukrainischen Präsidenten Wiktor Juschtschenko in Moskau begann gleich mit einer vertrauensbildenden Maßnahme. Kaum war der Ukrainer eingetroffen, gab Kiew die Ernennung Julia Timoschenkos zur Premierministerin bekannt. Moskau hat den Fehlschlag der Intervention zugunsten Janukowitschs hingenommen, gab aber nicht auf, hinter den Kulissen bei der Ernennung des Premiers noch ein Wörtchen mitreden zu dürfen. Die streitbare Julia ist für den Kreml ein rotes Tuch. Wegen vermeintlich illegaler Geschäfte wird sie in Russland und über Interpol steckbrieflich gesucht. Ihre Ernennung muss der Kreml als weitere Demütigung empfinden.
Beim Zusammentreffen mit dem ukrainischen Präsidenten war es Kremlchef Wladimir Putin anzusehen, dass er nur mit Mühe Contenance wahren konnte. Besonders erfreut war Moskau ohnehin nicht über die knapp dreistündige Stippvisite des Ukrainers. Noch weiß der Kreml nicht, wie er mit dem neuen Präsidenten umgehen soll.
Zwar erwies Juschtschenko durch die erste Auslandsreise nach Russland dem Kreml die Referenz, die man dort auch erwartet. Auf diplomatischer Ebene hat der Ukrainer die wichtige Rolle Russlands für Kiew damit bekräftigt. Gleichzeitig nahm er der Moskauer Kritik aber auch Wind aus den Segeln. Für erneute Verschnupfung hatte in Moskau bereits die Inaugurationsrede Juschtschenkos gesorgt. Man habe die Vergangenheit über Bord geworfen, niemand könne dem ukrainischen Volk mehr vorschreiben, wen es zu wählen hätte, sagte der Präsident. Das war eindeutig an die Adresse des Nachbarn gerichtet. Daher sprach der Kreml im Vorfeld auch von „schwierigen Gesprächen“, die mit dem neuen Amtsinhaber bevorstünden.
Nach der Ankunft hatte sich Juschtschenko zunächst von versöhnlicher Seite präsentiert. Russland sei für immer ein strategischer Partner der Ukraine, meinte der Staatschef. Das bilaterale Verhältnis müsse wieder rationalen Kriterien genügen. Er gab sich zuversichtlich, dass nach einem Jahr die wichtigsten Probleme ausgeräumt seien.
Unterdessen denkt offensichtlich auch die EU neu über ihre Beziehungen mit der Ukraine nach. Bisher galt dafür der im Dezember von der Kommissarin für Außenbeziehungen Benita Ferrero-Waldner vorgestellte Aktionsplan. Das Programm sieht eine umfangreiche politische und wirtschaftliche Zusammenarbeit vor. Dieser Plan soll ausgeweitet werden. „Wir sind uns des Appetits der Ukrainer bewusst, eine klare europäische Perspektive zu bekommen“, sagte Kommissionssprecherin Emma Udwin gestern. Es sei noch keine Entscheidung über das weitere Vorgehen getroffen, aber die Kommissarin werde mit EU-Chefdiplomat Javier Solana einen Zehn-Punkte-Plan vorlegen, der das bisherige Programm ergänzen soll. Dabei, verriet ein Vertrauter Juschtschenkos, Oleg Rybatschuk, soll es vor allem um den Abschluss eines Freihandelsabkommens und die Gewährung von Visumserleichterungen gehen. Zudem soll früher über ein weitergehendes Abkommen gesprochen werden.
Die Kommission erklärte gestern, der Zehn-Punkte-Plan würde die Beziehungen zwischen EU und Ukraine „vertiefen“. Die Außenminister treffen sich am kommenden Montag in Brüssel, um über das Dokument zu beraten. Sollte die Ukraine einen Aufnahmeantrag stellen, würde es am Europäischen Rat liegen, der Kommission den Auftrag zu erteilen, die Eignung der Ukraine zu untersuchen. Das könne mindestens ein Jahr dauern, hieß es gestern in Brüssel.
Das EU-Parlament, vor dem Juschtschenko am Donnerstag spricht, hat Anfang des Jahres eine Resolution zur Ukraine verabschiedet. Darin heißt es, der Aktionsplan solle „revidiert“ und „weitere Formen der Assoziierung mit der Ukraine berücksichtigt werden“. „Dem Land ist eine klare europäische Perspektive zu geben, die möglicherweise zu einem EU-Beitritt des Landes führt.“
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