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Gott im MTV-Format

Religiöse Reiseberichte sollen Jugendliche im „Bibelgürtel“ der USA für das Christentum begeistern – indem das Fremde als barbarisch vorgeführt wird

VON DONYA RAVASANI

In der Bruchbude bröckelt Lehm von den Wänden, unaufhörlich kräht ein Hahn. „Something’s wrong with the world today“, singt Will Decker leise vor sich hin und zeigt der Kamera, wohin ihn seine Mission verschlagen hat: nach Gambela, ein kleines Dorf in Äthiopien. Auf dem erdigen, gestampften Boden des Hofes steht ein Verschlag. Es sei das schlimmste Badezimmer, das er je gesehen habe. Die Kamera zoomt in das Loch im Boden, das Menschen als Toilette und Maden als Lebensraum dient.

Schnitt: Will Decker steht nun in einem kargen Raum und reckt die Arme in den Himmel. Vor ihm knien die Dorfbewohner. Will (28) und sein Kompagnon Tim Scott (24) sind hier, um Seelen für Christus zu retten. Gott habe es ihnen aufgetragen, sagen sie. Noch schnell die Hände segnend auf die Köpfe der Dorfkinder gelegt, und schon ist das Werk vollbracht. Denn die Zeit für das Kapitel „Gambela Church“ ist vorbei, bevor der Ort den Zuschauer vielleicht langweilen könnte.

Tim und Will sind die Protagonisten einer Reality-Missions-TV-Serie beim amerikanischen Trinity Broadcasting Network (TBN). Vor allem jugendliche Zuschauer sollen angesprochen werden, die ihre medienästhetische Erziehung bisher bei MTV und ähnlichen Sendern genossen haben: Bunt, laut, betont flapsig und meist schnell geschnitten kommt „Travel the Road“ daher. Der Titel ist bewusst doppeldeutig: „Begib dich auf den Pfad Gottes“ und „Begib dich auf die Reise“.

Tim und Will machen es vor: „We’ll go any direction, any place, anywhere, anytime“, sagen sie. In den zwölf Episoden der ersten Staffel geht es nach Afrika, Asien und in den Mittleren Osten. Besondere Spannung für die christliche Jugend versprechen die Macher für die neuen Folgen – aus dem Hindukusch.

Ihren Ruf in die Ferne vernahmen Will und Tim gerade zu der Zeit, als TBN – einer der größten, wie üblich spendenfinanzierten christlichen Sender Amerikas – neue, kinder- und jugendgerechte Sendeformate plante. Um eine neue Zuschauer- und Spendengebergeneration heranzuziehen, knüpfen Programmplaner und Produzenten an Formate wie „Wildboyz“ auf MTV an. Ausgesetzt in die Wildnis, erwerben sich „Wildboyz“ die Gunst ihrer Klientel, indem sie unappetitliche oder bescheuerte Dinge tun, zum Beispiel im Bananenkostüm vor einer Horde Gorillas herumzuhüpfen.

Teleevangelistische Wildboyz wie Will und Tim tragen keine Bananenkostüme, sondern Fünftagebart und Backpacker-Outfit, setzen aber auch auf die Anziehungskraft des Ekels: Verdreckte Toiletten, ausgekotztes Essen, von Egeln blutig geraspelte Beine, verkrüppelte Affen und sogar Leichen machen den Unterhaltungs- und Abenteuerteil von „Travel the Road“ aus.

Der substanzielle Anteil soll in der Vermittlung realer Missionsarbeit liegen. Im Kontrast zum poppigen Anstrich ruft „Travel the Road“ jedoch ein kolonialistisch-nostalgisches Modell christlicher Missionierung auf. Wie Pioniere von einst ziehen sie bevorzugt in Provinzen voll pittoresker Armut, wo sie predigen, singen, segnen und sogar – heilen! Insbesondere Tim, der sich über die Serie hinweg das aggressive Ausdrucksrepertoire eines Erweckungspredigers antrainiert, gibt sich als Wunderheiler. Im indischen Dorf Devarkonda exorziert er mit viel Tamtam, vertreibt Epilepsie und macht taube Ohren hörend. Ob seine Performance die gewünschten Erfolge zeigt, weiß der Himmel.

Zu Wort kommen die abgefilmten Menschen nicht. Lieber kommentieren die Jungmissionare selbst, was ihnen vor die Linse gerät. So wird etwa die Bestattung von Leichen im Ganges kurzerhand zum Götzendienst erklärt. „There’s something wrong with the world today“? Sendungen wie „Travel the Road“ sorgen dafür, dass dies vorerst so bleiben wird.

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