: Humanisten im Krieg
Die Tragödie in Darfur hat ein schreckliches Ausmaß. Doch die Bilanz westlicher Kolonialisten als Friedensstifter ist denkbar schlecht – und mahnt zur Zurückhaltung
Die US-Regierung bezeichnet die Gewalt in Darfur als „Genozid“. Erst vergangene Woche griff Präsident George W. Bush in seiner Rede vor der UNO-Vollversammlung auf diesen politisch belasteten Begriff zurück. Gemeinsam mit den vom UN-Organisationen ausgehenden Warnungen vor dem Ausmaß der sich auftuenden schrecklichen Tragödie macht diese Rhetorik eine Intervention von außen wahrscheinlicher – ein militärisches Eingreifen mit dem Ziel, die Vergewaltigungen, Morde und Plünderungen zu stoppen, durch die hunderttausende Menschen im Sudan vertrieben wurden.
Doch gerade nach der Erfahrung mit dem Irak müssen wir sicherstellen, dass solch eine Intervention zum einen in Kooperation mit regionalen Regierungen und zum anderen im Rahmen der Vereinten Nationen stattfindet. Um die Legitimierung einer Intervention auch im Falle eines Vetos im UN-Sicherheitsrat für sich beanspruchen zu können, müssten London und Washington schon die generelle Abschaffung des Vetorechts, also auch ihres eigenen, fordern.
Eine unilaterale westliche Intervention in Darfur würde keine Lösung bieten und könnte die Probleme sogar noch verstärken. Doch wer wird uns noch vor einem Amoklauf schützen – wer vor den Humanisten, die wieder einmal nach einen Krieg schreien? Wer sich auf einen hohen moralischen Standpunkte zurückzieht, schaut gern herab auf die Diplomaten, die sich auf die steinige Straße der Verhandlungen und Kompromisse begeben.
In Darfur spielt sich wahrhaftig eine Tragödie ab. Und das sudanesische Regime könnte sich in der Tat des seriellen Genozids schuldig gemacht haben. Krieg jedoch stellt solch ein schreckliches Elend dar, dass er stets die allerletzte – und eine seltene – Option sein muss.
Es fällt auf, wie wenig nichtwestliche Stimmen in dieser Debatte zu hören sind. Es scheint in den international einflussreichen Medien wenig Interesse daran zu bestehen, zumindest einmal über die Möglichkeit nachzudenken, dass Entwicklungsländer ein wenig das Recht auf ihrer Seite haben, wenn sie sich Anschlägen auf ihre Souveränität widersetzen. Der beste Weg, um ihre Bedenken zu verstehen, ist das historische Aufeinandertreffen Europas mit Arabern, Afrikanern und Asiaten.
Der unerbittliche Vormarsch von Kolonialismus und Imperialismus wurde nie mit banalen kommerziellen oder geopolitischen Kalkulationen begründet, nie sollte es um die Eroberung von Land und Vermehrung von Reichtum gehen. Nein, Kolonialismus und Imperialismus wurden immer mit sehr viel höheren Zielen vorangetrieben: Verbreitung des Christentums, Unterweisung in den Werten von Demokratie, Menschenrechten, Rechtsstaatlichkeit – und schließlich Frieden.
Sie kamen, um uns von lokalen Tyrannen zu befreien, und blieben, um als fremde Despoten zu herrschen. Im Namen der Aufklärung plünderten sie unsere Ressourcen und vergrößerten ihre Imperien. Einige, wie die habgierigen Belgier im Kongo, ließen nur Ruinen, Zerstörung und Chaos zurück. Andere, wie die Briten in Indien, ließen Ideen, Ideale und Strukturen der guten Regierungsführung ebenso wie die Infrastruktur zur Entwicklung zurück – aber auch nationale Demütigung.
Die Bilanz westlicher Kolonialisten als Friedensstifter ist jedenfalls traurig. Von Zypern und Palästina über den Kongo und Simbabwe bis zum Sudan und Südasien: Die als Erbe zurückgelassenen sektiererischen Konflikte und der ethnische Hass sollten zu Vorsicht, Zurückhaltung und Bescheidenheit führen. Dennoch waren die letzten Jahre für Großbritannien eine der kriegerischsten Perioden seit dem Ende des britischen Empires – basierend auf einer nicht zu bremsenden Idee einer moralischen Mission.
Westlicher Kolonialismus erklärt, warum das schöne Gerede von „humanitären Interventionen“ für uns vor allem nach Aufbau und Verfestigung fremder Macht klingt. Deshalb hegen wir einen Verdacht gegenüber militärischen Aktionen, die geleitet sind von dem andauernden Glauben daran, eine tugendhafte Macht zu sein. Deswegen schauen wir auf die hässliche Realität geostrategischer und kommerzieller Kalkulationen, die sich mit pathetischer Rhetorik tarnen.
Sollten wir denn stille Komplizen sein, wenn unsere geschichtliche Erfahrung von kolonialer Unterdrückung durch den westlichen Mythos der humanitären Intervention ersetzt wird? Glauben sie, dass wir uns nicht erinnern? Oder denken sie, dass es uns gleichgültig ist? Wenn die Großmächte tatsächlich den Opfern und nicht sich selbst helfen wollen, dann sollten sie Begriffe wie „humanitäre Intervention“ ablegen und stattdessen künftig von der „Verantwortung zu schützen“ reden.
Wir stehen in Darfur fraglos einer Krise von schrecklichen Dimensionen gegenüber, in der bis zu 50.000 Menschen starben und mehr als eine Million vertrieben wurden. Es ist ebenso unumstritten, dass die Regierung in Khartum entweder unmittelbar schuldig ist, weil sie die Dschandschawid-Milizen bei ihrer Gewaltorgie in Darfur ermutigt, bewaffnet und ihnen hilft – oder sie trifft zumindest indirekte Schuld, weil sie nicht den Willen oder die Fähigkeit hat, die Verbrechen zu stoppen.
Die Afrikanische Union mit 53 Mitgliedern wurde geschaffen, um afrikanischen Lösungen für Afrikas Problem zu schaffen. Die Darfur-Krise ist eine exzellente Gelegenheit für die Afrikaner, um kollektiv zu handeln – mit der Ermutigung und der Hilfe von außen. Wenn Entwicklungsländer die externe Einmischung beenden wollen, müssen sie die Verantwortung auf sich nehmen, Verbrechen von ihren eigenen Leuten auch selbst zu beenden. Ein gutes Beispiel aus einem anderen Teil der Welt ist Osttimor, wo mit UN-Zustimmung die Initiative von einer regionalen Gemeinschaft (mit Australien und Neuseeland) ergriffen wurde.
Die geringen Erfolgsaussichten eines unilateralen Einsatzes stellen jedoch militärische Gewalt in Frage. Dagegen sprechen die Größe der Region – Sudan, das größte afrikanische Land, hat die Fläche von ganz Westeuropa – und die historische Komplexität der aktuellen Krise, wodurch die moralische Eindeutigkeit eingeschränkt wird. Zudem problematisch: die Leichtigkeit, mit der eine westliche Intervention als ein weiterer Anschlag auf Araber und Muslime dargestellt werden kann.
Diejenigen, die dennoch ungeduldig auf einen Krieg gegen den Sudan hoffen, sollten sich zunächst ein paar Fragen stellen: Mindert es nicht die Motivation der Rebellen zu verhandeln, wenn Ultimaten zur Beendigung des Konflikts von Außenstehenden gesetzt werden? Haben Entwicklungsländer das Recht, mit Gewalt gegen bewaffnete Herausforderungen ihrer Autorität vorzugehen? Wie begegnen sie der moralischen Gefahr, dass die Aktionen von Rebellengruppen eskalieren, um so eine internationale Intervention zu erreichen? Wer anders soll diese Fragen beantworten können, wenn nicht die Staaten in der Region – und die Vereinten Nationen?RAMESH THAKUR
Aus dem Englischen: Eric Chauvistré