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Archiv-Artikel

Ein Instrument der Enteignung

Die Welthandelsorganisation soll nicht etwa Gerechtigkeit herstellen. Vielmehr geht es um die globale Durchsetzung von Eigentumsrechten und die Ausweitung von Märkten

WTO pur heißt: liberalisieren, was das Zeug hält. Das hat mit Gerechtigkeit nichts zu tun

Anfang August konnten die Freunde der Welthandelsorganisation WTO einen Erfolg verbuchen: Nach einer Woche der langen Messer wurden in Genf die Weichen für den weiteren Verlauf der Welthandelsrunde gestellt. Aus Sicht des Südens sei der Deal zwar noch nicht ausreichend, ließ die taz verlauten, aber: Der Norden habe sich bewegt, und die Gestaltung der Globalisierung durch das Zusammenspiel der Mächte sei ein Stück Realität geworden (vgl. Kommentar von Hannes Koch am 31. Juli dieses Jahres). Es sei gar „eine Spur von Gerechtigkeit“ erkennbar. Und: Die Linke solle das Gerechtigkeitspotenzial der WTO anerkennen und sie nicht pauschal verdammen.

Dieser Argumentation ist in Bezug auf die Welthandelsorganisation und ihren so genannten Multilateralismus nicht neu. Sie beruht auf einem verkürzten Verständnis der Rolle dieser Organisation und der in ihr festgeschriebenen „Regeln der Reichen“. Schon der Entstehungskontext der WTO als Teil der neoliberalen Konterrevolution wird ausgeblendet: Sie zielte darauf, wohlfahrtsstaatliche Auswüchse und die Entwicklungsländer-Initiative für eine neue Weltwirtschaftsordnung im Rahmen der Vereinten Nationen in den 1970er-Jahren in die Schranken zu weisen.

Auf den Sozialstaat antwortet die WTO mit der Liberalisierung von Basisdienstleistungen durch das Dienstleistungsabkommen Gats. Auf den vom Süden eingeforderten eigenständigen Entwicklungsweg mit „One size fits all“- Verträgen. Darüber sollten auch längere Umsetzungsfristen für ärmere Länder nicht hinwegtäuschen.

Ein Diskurs, der die Gerechtigkeitspotenziale der WTO betont, blendet jedoch nicht nur diese Historie, sondern auch die Funktion der Organisation aus: Die globale Durchsetzung von Eigentumsrechten und die Ausweitung von Märkten. Paradebeispiel Numero 1: das Trips-Abkommen zum Schutz geistiger Eigentumsrechte. Es forciert die Patentierung von natürlichen Ressourcen und Wissen – von Heilpflanzen über Saatgut bis hin zur Computer-Software. Im Klartext heißt das: Aneignung von öffentlichen Ressourcen durch Patenthalter – in der Regel transnationale Konzerne.

Paradebeispiel Numero 2: das bereits erwähnte Gats-Abkommen. Es hat die Öffnung sämtlicher Dienstleistungssektoren für ausländische Anbieter im Visier. Der Privatisierungsdruck auf öffentliche Dienste und soziale Sicherungssysteme wird dadurch verschärft. Ein Prozess, den die indische Aktivistin Arundhati Roy als „einmalige barbarische Enteignung von öffentlichen Gütern“ bezeichnet.

Das WTO-Regelwerk ist also alles andere als „gerecht“. Im Gegenteil: Die Mechanismen der globalen Enteignungsökonomie werden hier institutionalisiert. Und mehr noch: Sie werden völkerrechtlich zementiert. Ein Zurück, ein Umstieg auf konkurrierende Wirtschafts- und Gesellschaftskonzeptionen soll unmöglich gemacht werden. „Neuer Konstitutionalismus“ nennt das der kanadische Politikwissenschaftler Stephen Gill: eine globale Verfassung des Neoliberalismus.

Eine gewisse Änderung der Kräfteverhältnisse innerhalb der WTO schließt das jedoch nicht aus. Die Durchsetzung von Abkommen gegen den vehementen Widerstand der Entwicklungsländer wie beim Gats und Trips vor zehn Jahren – das wäre heute aufgrund der stärkeren Stellung des Südens tatsächlich undenkbar. Auch die Abkommen zu Investitionen, Wettbewerb und öffentlicher Ausschreibung sind vorerst an seiner Ablehnung gescheitert. Und Brasilien und Indien gehören inzwischen zu Stammgästen der WTO-Hinterzimmer.

Die Grundfesten der WTO-Politik werden dadurch nicht erschüttert. Dies zeigen die euphorischen Reaktionen der Industrieverbände dies- und jenseits des Atlantiks angesichts des jüngsten Deals. Und die Ausrichtung des Ergebnisses: Vorschläge, welche die Logik der Welthandelsorganisation aufbrechen, sucht man vergeblich. Ein Verbot der Patentierung lebender Organismen, wie es die afrikanischen Länder lange Zeit gefordert hatten? Weit gefehlt! Verankerung des Rechts auf Nahrung, des elementarsten aller Menschenrechte? Niemals! Und Mechanismen zum Schutz vor Fluten billiger Agrarprodukte in den Ländern des Südens? Mal sehen.

Stattdessen: liberalisieren, was das Zeug hält. Also WTO pur. Das hat nichts mit Gerechtigkeit, aber sehr viel mit der Durchsetzung von (agro-)industriellen Außenwirtschaftsinteressen zu tun. Auf diesen Zusammenhang haben Bewegungen im Süden mit leidlicher Liberalisierungserfahrung immer wieder hingewiesen. So kann die exportorientierte Wirtschaft dort zwar durchaus zu den Gewinnern von Liberalisierung zählen. Dagegen bleiben lokale Unternehmen, Kleinbauern bzw. -bäuerinnen und marginalisierte gesellschaftliche Gruppen wie Landlose auf der Strecke. Sie verlieren in der neoliberalen Welt von Wettbewerb und Konkurrenz häufig ihre Lebensgrundlage.

Was tut eine Organisation, wenn sie mit diesen Widersprüchen ihres eigenen Projekts mit Namen Liberalisierung konfrontiert wird? Wie reagiert sie auf tausende, die gegen ihre Politik demonstrieren? Und auf die „Revolte der Entwicklungsländer“, die der Machtpolitik von EU und USA in Seattle und Cancún demonstrativ den Rücken gekehrt haben? Sie bemüht sich um Re-Legitimierung.

Der dient etwa die Bezeichnung der laufenden Welthandelsrunde als „Entwicklungsrunde“. Oder die Einbindung der mächtigsten Entwicklungsländer in den Entscheidungsprozess. Schließlich wird durch Loblieder auf den Multilateralismus versucht, von den Inhalten der WTO-Politik abzulenken: Entwicklungsländer stünden in bilateralen und regionalen Verhandlungen doch noch viel schlechter da. Und: alles, nur keine Alleingänge der USA in der Handelspolitik. Ergo müsse die WTO-Runde zu einem erfolgreichen Abschluss gebracht werden.

Durch die WTO werden Mechanismen der globalen Enteignungsökonomie völkerrechtlich zementiert

Ein Diskurs, der die Organisation mit Gerechtigkeitshoffnungen verknüpft, macht den Nebel der Multilateralismus- und Entwicklungsrunde-Schwaden nur noch dicker. Er flankiert die herrschenden Versuche, die WTO zu re-legitimieren. Und damit die aggressive Marktöffnungsagenda der Clements und Siemens dieser Welt.

Kritische Kräfte sollten stattdessen diesen Legitimations-Nebel aufreißen. Und die Welthandelsorganisation für das kritisieren, was sie ist: ein mächtiges Instrument zur globalen Durchsetzung privater Eigentumsrechte und transnationaler, (agro-)industrieller Exportinteressen. Notwendig ist ihre Delegitimierung, ihr wiederholtes Scheitern und ihr Schrumpfen zugunsten anderer, alternativer Politikforen.

Ohne weitreichende Veränderungen in Berlin, Brüssel, Washington, Brasília und anderswo wird es diese Alternativen nicht geben. Hier muss emanzipatorische Politik in hiesigen Landen ansetzen: bei der Offenlegung und Delegitimierung der WTO-Agenda der rot-grünen Bundesregierung. Nicht bei ihrer Rechtfertigung. PIA EBERHARDT