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Archiv-Artikel

„Die Zivilgesellschaften, die der Westen fördert, sind nur virtuell “, sagt H.-J. Spanger

Mit Milliarden unterstützten EU und USA die demokratische Entwicklung in Russland – völlig vergeblich

taz: Westliche Regierungen und Stiftungen unterstützen seit Jahren zivilgesellschaftliche Kräfte in Russland. Warum beschränkt sich der Protest gegen Putins autoritären Regierungsstil in Russland dennoch auf so wenige Akteure?

Hans-Joachim Spanger: Die Gründe lassen sich am Beispiel des Chodorkowski-Prozesses anschaulich beschreiben. Offensichtlich ist es Putin gelungen, kritische Medien mundtot zu machen. Hinzu kommt, dass die Rolle Michail Chodorkowskis während der Privatisierungswelle in den 1990er-Jahren umstritten ist. Demokratiedefizit und wirtschaftliche Unzufriedenheit kommen hier zusammen.

Sie haben ausgerechnet, dass aus die USA, Deutschland und die Europäische Union seit 1990 rund eine Milliarde US-Dollar in die russische Demokratie investiert haben. Alles umsonst?

Trotz der finanziellen Hilfen für russische Menschenrechtsgruppen, politische Vereine und Hilfsorganisationen scheinen diese heute schwächer als zu Beginn des Transformationsprozesses. Insofern könnte man sagen, die Demokratieförderung sei Geldverschwendung gewesen. Das Problem sind aber weniger die Transferzahlungen. Die sind gut und wichtig. Vielmehr führen die Erwartungen in die Irre, die an solche Zahlungen geknüpft werden.

Wie meinen Sie das?

Ich halte es für eine waghalsige Vorstellung, dass das westlich-liberale Modell umstandslos in Russland eingepflanzt werden kann – zumal von außen. Die Vorstellung, Demokratie ließe sich quasi verlustfrei exportieren, ist naiv.

Solcher Nihilismus verweigert Russland jede Entwicklungsmöglichkeit.

Ich habe nicht gesagt, dass die Demokratieförderung eingestellt werden soll. Sie ist wichtig, und sie soll fortgesetzt werden. Allerdings weise ich darauf hin, dass guter Wille nicht nur gute Wirkung entfaltet.

Was machen die westlichen Geldgeber falsch, wenn sie russische Oppositionsgruppen finanziell unterstützen?

Ein Beispiel: Mit Beginn der Transformation suchten westlichen Geber nach Parteien, die angemessene Adressaten ihrer liberalen oder sozialdemokratischen Ideen sein konnten. Diese meinten sie in „Jabloko“ und in der „Union Rechter Kräfte“ gefunden zu haben. Wesentliche Ressourcen der Parteiförderung sind in diese Parteien geflossen.

Was stört Sie daran?

In dem Maße, wie diese Parteien exklusive Empfänger westlicher Gelder wurden, distanzierten sie sich von der sozialen Realität im Lande. Sehen Sie sich die Kampagne der „Union Rechter Kräfte“ vor der Parlamentswahl an. Die hatte fast jeglichen Bezug zu den Realitäten in der Russischen Föderation verloren. Das lässt sich auch am Wahlergebnis ablesen.

Der Grund für den Wahlsieg der Putin-nahen Partei „Einiges Russland“ war doch, dass diese privilegierten Zugang zu den Medien hatte.

Das ist nur ein Teil der Wahrheit. Der andere ist: Kontakte in den Westen sind in Russland eine Ressource, mit der sich individueller Wohlstand und Ansehen akkumulieren lässt. Daraus folgt, dass politisch motiviertes und ökonomisch motiviertes Handeln dazu tendieren, sich zu überlagern.

Sie bezeichnen die russische Opposition als vom Westen gekauft?

Ich will keinesfalls pauschal bewerten. Dennoch hat die finanzielle Unterstützung zivilgesellschaftlicher Akteure in Russland zwei Seiten. Denn nicht wenige geförderte Projekte tun weit mehr für das westliche Russlandbild, als dass sie demokratisches Gedankengut unters Volk bringen. So entsteht eine virtuelle Zivilgesellschaft.

Wie funktioniert die?

Westliche Förderprogramme werden thematisch ausgeschrieben. Nach einer bestimmten Frist laufen sie aus. Dann stehen die Programmleiter vor der Aufgabe, die geschaffene Infrastruktur – Büros, Telefon, Mitarbeiter – weiter zu finanzieren. Was tun sie? Sie schauen, wofür die westlichen Stiftungen bereit sind, Geld auszugeben. Auf diese Weise bestimmen die Geldgeber, was notwendig ist, um Russland zu demokratisieren. Die wissen es aber nicht immer am besten. So findet eine Art „Orientalisierung“ statt, wie sie Edward Said für die arabische Welt beschrieben hat.

Die politische Entwicklungshilfe wollen Sie nicht eingestellt sehen, gleichzeitig kritisieren Sie sie? Was fordern Sie?

Ein Anfang wäre, die Prämissen zu überdenken. Während der Blockkonfrontation galt die entwicklungspolitische Linie, Demokratisierung folge auf wirtschaftliche Entwicklung. Seitdem der Kapitalismus alternativlos ist, heißt es: Demokratie macht wirtschaftliche Entwicklung erst möglich. In diesem Zusammenhang wurde die direkte Demokratieförderung intensiviert. Der russische Fall verdeutlicht, dass es so einfach dann doch nicht ist.INTERVIEW: MATTHIAS BRAUN