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Archiv-Artikel

„Hört mit dem Mutterschaftsmythos auf“, sagt Elisabeth Badinter

Der Feminismus definiert die Frau zu Unrecht als Opfer. Entscheidend ist, dass sie vom Mann finanziell unabhängig ist

taz: Seit vier Jahren steht der gleiche Zugang von Männern und Frauen zu Wahlämtern in der französischen Verfassung. Inzwischen sind 12 Prozent der Parlamentsabgeordneten Frauen. Ist die Quote ein Fortschritt?

Elisabeth Badinter: Nein. Sie maskiert bloß das Problem. In Frankreich erledigen Frauen heute 75 Prozent der privaten Arbeiten: Haushalt, Familie, Kinder etc. Das ist der zentrale Grund für alle anderen Ungleichheiten zwischen den Geschlechtern. Die Quote verhindert, dass man darüber nachdenkt.

Frankreich hinkt ein bisschen hinterher. Das Frauenwahlrecht gibt es erst seit 1944.

Machen Sie das Nebensächliche nicht zum Zentralen. In Deutschland können die Frauen seit 1919 wählen. Ist die Lage der Frauen dort deshalb besser?

Es gibt im Bundestag jedenfalls mehr Frauen.

Na und? Das ist symbolisch. Die Quoten nutzen ausschließlich Frauen, die über die materiellen Möglichkeiten verfügen, ihre Kinder betreuen zu lassen.

Schadet es der Demokratie nicht, wenn mehr als die Hälfte der Bevölkerung kaum im Parlament vertreten ist?

Nein. Denn es gibt weder eine feminine noch eine feministische Art, Politik zu machen. Frauen in der Politik sind genauso ehrgeizig und kämpfen genauso um die Macht wie Männer.

Das sehen viele Feministinnen anders.

Männer und Frauen haben viel mehr Gemeinsames als Unterschiedliches. Wenn wir darauf insistieren, dass Männer und Frauen sich ähnlich sind, kommen wir der Geschlechtergleichheit näher. Dass Frauen die besseren Menschen sind, ist ein Mythos der Differenzialisten.

Differenzialisten?

Sie zerlegen die Gesellschaft in ihre Komponenten und stellen die Unterschiede in den Vordergrund: etwa das „Feminine“ oder das „Nordafrikanische“. Sie sagen nicht: Wir sind alle Menschen und Bürger – obwohl dieser Universalismus in Frankreich die Grundlage der republikanischen Philosophie ist.

Aber es gibt tatsächlich Unterschiede. Bis auf weiteres bekommen Frauen die Kinder.

Hören Sie auf mit diesem Mutterschaftsmythos. Die Feministinnen haben seit 15 Jahren ein ganz wesentliches Thema vergessen: die finanzielle Unabhängigkeit. Sie haben zugestimmt, dass ein halber Mindestlohn für den dreijährigen Erziehungsurlaub eingeführt wurde. Keine einzige Feministin in Frankreich hat gewarnt: Vorsicht, Falle! Sie fanden es gut, wenn sich eine Frau drei Jahre lang um ihr Kind kümmert.

Männer können nicht stillen.

Auch das ist eine Falle, in die viele hineintappen. Die Grünen, die Naturfreunde … Sie wollen, dass die Frauen ein halbes Jahr oder noch länger stillen. Als ob das unerlässlich wäre. Frauen dürfen ihre Arbeit nicht aufgeben. Denn es gibt nichts Schlimmeres für eine Frau, als aus finanzieller Abhängigkeit bei einem Mann bleiben zu müssen.

Was wollen Sie denn gegen die Ungleichheit zwischen den Geschlechtern tun?

Der erste Imperativ für jede Frau muss finanzielle Unabhängigkeit sein. Und Frauen müssen sich wieder wehren. Wir müssen ihnen sagen: Schlagt euch! Kämpft! Ihr seid keine Kinder.

Sie als prominente Intellektuelle haben da leicht reden.

Ich stehe der Gruppe „Ni Putes ni Soumises“ nahe („Weder Nutte noch unterwürfig“, die Gewalt gegen Frauen in den Vorstädten bekämpft, d. Red.). Diese jungen Frauen wollen die Gleichheit der Geschlechter. Sie wollen nicht gegen die Männer kämpfen. Fortschritt gibt es nur mit ihnen.

Die Frauen von „Ni Putes ni Soumises“ bezeichnen sich aber nicht als Feministinnen.

Das zeigt doch nur, wie heruntergekommen der Feminismus ist. Er gilt als altmodisch.

Was stört Sie denn so an dem aktuellen Feminismus?

Die Art, sich als Opfer zu positionieren. Das kommt aus den USA. Die radikalen Feministinnen dort haben die These entwickelt, dass Männer Frauen so behandeln, wie Nazis Juden behandelt haben. Das Opfer ist ein gesellschaftliches Modell geworden – nicht nur bei Frauen.

Sie halten die heutigen Feministinnen für reaktionär?

Auf eine gewisse Art – ja. Die Ideen des US-Feminismus finden sich in europäischen Institutionen, etwa in Brüssel, wo radikale Feministinnen vertreten sind. So hat das Gesetz des Europaparlamentes über Belästigung, das 2005 in Kraft tritt, fast wörtlich die US-Definition übernommen. Es erweitert das Konzept der „sexuellen Belästigung“ bis zur Beliebigkeit: ein deplatziertes Wort, ein insistierender Blick reichen aus. Alles ist verdächtig. Das ist das Ende der Beziehung von Begehren und Verführen. Sie geben sich als Opfer. Und laufen nicht zu Papa und Mama, sondern zum Gericht: „Er hat mich angeguckt.“

Der Feminismus in Westdeutschland und Frankreich war immer sehr verschieden. Warum?

In Deutschland werden Frauen noch schlechter behandelt als in Frankreich. Es ist noch schwieriger, zu arbeiten und Kinder zu haben. Deshalb ist der deutsche Feminismus auch härter.

Zugleich ist der deutsche Feminismus stärker institutionalisiert – etwa mit Gleichstellungsbeauftragten.

Das ist rein formal. Eine symbolische weibliche Anwesenheit in Institutionen löst noch keine Probleme. Die Gesellschaft muss die Frauen von allen Lasten der Familie und der Kinder befreien. Darum geht es.

INTERVIEW: DOROTHEA HAHN