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Der Unterwäscheschnüffler

Thor Kunkel glaubt seinen Nazi-Pornoroman auch noch bewerben zu müssen

Hinein in die Marktlücke für alle, die es härter und schmutziger mögen

Längst ist das Nazi-Business lukrativer als das „Shoa-Business“, weshalb seit einiger Zeit gilt: „There’s no business like Nazi-Business“. Das ZDF ist in dieser Hinsicht mit der Nazi-Verwurstungsmaschinerie des Guido Knopp marktführend. Geschichte als Sanso-Schmuse-Kurs. Das eröffnete zwangsläufig eine Marktlücke, und zwar für diejenigen, die es ein bisschen härter und schmutziger mögen. Für diese Leute ist Thor Kunkel da. Nazis und Pornos, eine Mischung, an die sich Guido Knopps sauberes Familien-TV nicht wagt. Von Rowohlt aus dem Programm genommen, wird Kunkels Werk „Endstufe“ demnächst bei Eichborn erscheinen, der es neuerdings im Börsenblatt des deutschen Buchhandels mit einem Statement des Autors in eigener Sache bewirbt.

„Ich glaube, es ist wichtig, das Dritte Reich unter dem Aspekt der Verführung und Verblendung zu sehen“, wird Kunkel zitiert. „Glauben heißt nicht Wissen“, lautet ein uralter Lehrerspruch, mit dem Schüler traktiert wurden, an dem aber was dran ist. Kunkel weiß also nicht, ob es stimmt, was er sagt, aber er hält seine Unwissenheit für mitteilenswert. Dennoch ist die Sache selbstverständlich ungemein „wichtig“, denn wichtig ist immer gut, auch wenn der Hinweis darauf völlig sinnlos ist, weil vermutlich auch Kunkel niemanden kennt, der sagen würde: „Verführung? Interessiert mich nicht die Bohne.“

Derart wichtig aufgeblasen, begibt sich Kunkel an den zweiten Satz: „Ich habe versucht, das Private zu durchleuchten.“ Weder ist ein Zusammenhang zum ersten Satz zu erkennen, noch weiß man, wozu das gut sein soll. Was man hingegen ahnt, ist, dass Kunkel gewissen Vorlieben frönt und offenbar gern in der Unterwäsche anderer schnüffelt. Darauf lässt der dritte Satz schließen: „Ich benutze die Pornographie als poetische Metapher, um das Phänomen Drittes Reich vollständig zu erfassen.“ Pornographie musste ja schon für alles Mögliche herhalten, jetzt also auch noch als „poetische Metapher“. Imitiert der erste Halbsatz die Unsitte der Siebzigerjahre, jeden Begriff als Metapher aufzubrezeln, geht man vor dem Folgesatz andächtig in die Knie. Will er tatsächlich das Dritte Reich vollständig erfassen?

Das dicke Ende aber kommt erst noch: „Die Bilder, die wir bisher kannten, reichen nicht aus, um das Phänomen Drittes Reich mit allen seinen Schrecken nachfühlbar zu machen.“ Das steht wirklich so da. Zunächst würde man gern wissen, aus welcher geheimen Quelle Thor Kunkel weiß, welche Bilder „wir“ kennen, zumindest bleibt damit im Dunkeln, welche er kennt. Kunkel flüchtet sich ins dubiose Wir, um etwas vollkommen Beliebiges mitzuteilen, denn mit derselben Berechtigung ließe sich das gleichermaßen sinnlose Gegenteil behaupten. Wie viele Bilder muss man denn kennen, um mit Thor Kunkel schaudern zu dürfen?

Schließlich taucht das Dritte Reich wie unter Beschuss einer Nebelkanone schon wieder als „Phänomen“ auf. Als Phänomen aber wird abgehandelt, was aus Gründen des Erkenntnisgewinns durch Abstraktion der sinnlichen Erfahrung entzogen werden soll. Thor Kunkel jedoch ist ganz versessen darauf, das „Phänomen mit allen seinen Schrecken“ nachzufühlen. Logisch gesehen ist das Quatsch und inhaltlich wünschte man sich beinah, der Nationalsozialismus möchte wieder auferstehen, damit Thor Kunkel in den reinen Genuss dieses Schreckens kommt. Mit einem wie Thor Kunkel hätten die Nazis sicher viel Freude gehabt.

Brillanter wurde selten in nur vier Sätzen begründet, dass man nicht mehr alle Schweine im Rennen haben muss, sollte man vorhaben, den 600-Seiten-Klops tatsächlich lesen zu wollen.

KLAUS BITTERMANN

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