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Callboy-Zensur

Das Gay-Magazin „Du und Ich“ verschenkt Schäferstündchen. Moralisch kein Problem – nur die Schlagzeile löst Irritationen beim Pressedienst aus

VON TANJA HÖFLING

Darf man professionelle Liebhaber per Gewinnspiel verlosen? Man(n) darf, hat das schwule Magazin Du und Ich beschlossen. In der Extra-Ausgabe mit dem Schwerpunkt „Sex als Job“ berichtet die Erotikzeitschrift darüber, dass Prostituierte noch immer „am unteren Ende der sozialen Hackordnung stehen“, und verlost passend zum Thema fünf Stunden Sex mit Callboys.

Unkonventionelle Themen erfordern eben unkonventionelle Maßnahmen. Das Ziel: Missstände im Prostitutionsgewerbe aufklären – und sich nebenbei in Zeiten der allgemeinen Medienkrise mal wieder ins Gespräch bringen. Doch vorerst will die Nachricht über den ersten offiziell verschenkten „Lustgewinn“ verbreitet werden. Dafür mag es verschiedene Wege geben: Rauchzeichen, Flaschenpost, Weitersagen. Im Allgemeinen jedoch werden die Meldungen einer Presseagentur übermittelt – der Effektivität wegen. Die größte und damit einflussreichste Nachrichtenagentur in der Republik ist die Deutsche Presseagentur (dpa), die täglich tausende von journalistischen Meldungen über aktuelle Ereignisse an die verschiedenen Medien weitergibt. Zusammen mit anderen Nachrichtenagenturen aus dem In- und Ausland ist sie die Hauptinformationsquelle für Journalisten.

Auch Unternehmen, politische Organisationen, staatliche Stellen und PR-Agenturen haben die Möglichkeit, sich eines solchen Pressedienstes zu bedienen, um Kontakt zu den Medien und damit zur Öffentlichkeit herzustellen. Dafür ist der „Originaltextservice“ (ots) zuständig, ein Tochterunternehmen der dpa-Firmengruppe. Für 290 Euro darf man quasi Werbung in eigener Sache machen, und wie der Name „Originaltextservice“ schon sagt, werden die Meldungen nicht redaktionell bearbeitet, sondern im Original versendet. Normalerweise. Das funktioniert jedoch nicht immer. Manchmal, in ganz besonderen Fällen, behält sich ots durchaus vor, die Meldungen nach eigenem Geschmack zu verändern. Zum Vorteil des Kunden, versteht sich. So auch im Fall der Du und Ich-Schlagzeile. Nein, moralisch verwerflich habe er weder das Thema noch den Titel gefunden, erklärt Jens Petersen, der Head of Media Communications beim ots. Nur zum Text habe die Schlagzeile nicht gepasst – „zu reißerisch“.

Aus der ursprünglichen Schlagzeile „Zeitschrift verlost fünf Prostituierte“ wurde „Du und Ich: Huren und Callboys sind soziale Dienstleister – Zeitung verlost fünf Prostituierte“. Eine Präzisierung, um „Irritationen“ der Empfänger zu vermeiden, so Jens Petersen. Er scheint besorgt um den hochsensiblen Leserkreis von Journalisten. Du und Ich-Chefredakteur Dirk Ludigs bezeichnet das Vorgehen des ots schlichtweg als einen „Akt der Zensur“. Da er die Schlagzeile nicht ändern lassen wollte, ist der Auftrag geplatzt. Und damit auch sein Anliegen, Medienleute auf provokante Weise auf Missstände im Prostitutionsgewerbe aufmerksam zu machen.

Jens Petersen sieht sich als Berater, er fühle sich verpflichtet seinen Kunden zu sagen, was bei der Presse ankommt und was nicht. Allerdings liegt die nachrichtliche Relevanz der über ots verbreiteten Meldungen – „Sonja Kirchberger trägt Olsen“ oder „Das RSA Pfingsttreffen: Innovative Eventideen für 2004“ – nicht unbedingt auf der Hand.

In den Allgemeinen Geschäftsbedingungen behält sich ots vor, „das Material nicht zu verbreiten, wenn dieses offenkundig in grober Weise gegen Recht und Sitte verstößt“. Verständlich, aber tut es das im Falle der Du und Ich-Schlagzeile tatsächlich?

Bei einer Flut von Meldungen, die jeden Tag über die Presseagenturen auf dem Computer der Journalisten landen und die als Hauptquelle von Informationen fungieren, ist die Überschrift ein entscheidendes Kriterium, um Interesse an der Nachricht zu wecken. Dass eine Schlagzeile, wie ihr Name bereits verrät, kurz und prägnant sein soll und niemals alle wichtigen Informationen enthalten kann, versteht sich von selbst. Dass der im Land größte Dienstleister für die Übermittlung von Informationen, der in seinen Statuten ausdrücklich darauf hinweist, dass eine redaktionelle Bearbeitung nicht stattfindet, genau diese dann vornimmt und sie anschließend als Beratung zum Wohle des Kunden verkaufen will, wirkt befremdlich. Zumal weder das Thema noch der Inhalt der Meldung, laut Jens Petersen vom ots, in irgendeiner Weise moralisch verwerflich sind.

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