: Für einen Kapitalismus mit biblischem Antlitz
In den USA scheint die religiöse Rechte stetig an Einfluss zu gewinnen. Ein Workshop des Potsdamer Einstein Forums fragte, wie sie dies macht
Kaum einer jener Faktoren, die nach 9/11 das transatlantische Verhältnis betroffen haben, ist so nachhaltig verstörend wie Bushs religiöse Rhetorik und sein Messianismus beim Kampf gegen „das Böse“. Die Europäer, die sich trotz Kopftuchdebatte und Kirchensteuer selbst als tolerante und säkulare Staatsvölker begreifen, verstehen nicht, warum am Sendungsbewusstsein des Born-Again-Christen im Weißen Haus offenbar so wenig Anstoß genommen wird. Gerüchte von regelmäßigen Bibelstunden in John Ashcrofts Justizministerium machen die Runde, und die gesamte Bush-Administration wirkt zuweilen wie ein Horrorkabinett voller apokalyptischer Reiter und geopolitischer Pferdeflüsterer. Wie man hört, empfängt Tom DeLay, der republikanische Mehrheitsführer im Repräsentantenhaus, seine Besucher gerne mit dem endzeitlichen Spruch: „Perhaps today.“ Was zum Teufel treibt diese theocons um?
Tatsächlich weiß man in Europa nur wenig über den Einfluss der religiösen Rechten auf die amerikanische Innen- und Außenpolitik. Manche Namen aus der Reagan-Ära sind noch geläufig – etwa Jerry Falwells „Moral Majority“ oder der TV-Evangelist Jimmy Swaggert –, aber bereits während der Clinton-Jahre dachte man, ihre große Zeit sei eigentlich vorbei. Wie voreilig dieser optimistische Schluss war, bewies ein Workshop im Potsdamer Einstein Forum, der unter dem Titel „In God They Trust“ etwas Durchblick im Gestrüpp der neurechten Frömmler verschaffen wollte.
William Martin, Autor des Standardwerks „With God On Our Side. The Rise of the Religious Right in America“, bezifferte den tatsächlichen Anteil der religiös motivierten Wähler auf etwa ein Sechstel. Fünf bis acht Prozent der Gesamtbevölkerung seien wirkliche Aktivisten, die ihren zentralen Anliegen – vornehmlich family issues wie Abtreibungsverbot, Ablehnung der Homoehe, Unterrichtung der Schöpfungslehre an den Schulen etc. – Geltung verschaffen wollen. Arbeitsteilig in Thinktanks wie „Focus on the Family“, „Family Research Council“ oder „Eagle Forum“ organisiert, erreichen sie mühelos den Mainstream der Bevölkerung, insbesondere in den Staaten des bible belt im Süden und mittleren Westen. Abgesehen von den Hardlinern der so genannten Rekonstruktionisten, die die bürgerliche Gesetzgebung durch eine Art christliche Scharia ersetzen wollen, fußen ihre Forderungen weitgehend auf konsensualen Beständen.
Beeindruckend ist das Niveau, auf dem die politische Klasse, und dabei insbesondere die Republikanische Partei, gezielt durch die religiöse Rechte infiltriert wird. So werden linientreue Kandidaten finanziell unterstützt und alle Kongressabgeordneten von der „Christian Coalition“ regelmäßig einem Rating unterzogen, das ihre Haltung gegenüber fundamentalistischen Schlüsselfragen wie etwa dem Klonverbot oder der bedingungslosen Unterstützung Israels bewertet. Für Mark Rozell, Politikwissenschaftler aus Washington, zeugt diese fast nachrichtendienstliche Erfassung von dem hohen Organisationsgrad, den die religiöse Rechte inzwischen erreicht habe. Hing sie früher sehr stark von charismatischen Führungspersönlichkeiten wie Pat Robertson oder Ralph Reed ab, so könne sie jetzt auf gewachsene Grassroots-Strukturen bauen. Geschult in Kaderschmieden und Trainingsseminaren, nutzen die christlichen Lobbyisten sämtliche medialen Möglichkeiten – Direktmailings, E-Mail-Newsletter, Fernseh- und Radioshows –, um auf den politischen Willensbildungsprozess Einfluss zu nehmen.
Davon kann auch Jeffrey Sharlet ein Lied singen. Dem New Yorker Journalisten und Mitherausgeber des Netzines für verunsicherte Gottsucher www.killingthebuddha.com gelang es, sich in eine Zelle der Glaubensgemeinschaft „The Family“ einzuschleusen. Sein Erlebnisbericht enthüllte, wie weit extremistische Strömungen bereits die Eliten unterwandert haben. Sharlet legte dar, dass der exklusive Geheimbund, eine protofaschistische Loge mit Gruppengebeten und speziellen Formen des physischen „Anger Managements“, enge Beziehungen zu vielen Senatoren, der Rüstungsindustrie und ausländischen Regierungen unterhält. Durch hohle alttestamentarische Phrasen vernebelt, streben die Glaubensbrüder mit ihrer spirituellen Offensive eine neue Weltordnung und einen „biblischen Kapitalismus“ an, der sich um wohlfahrtsstaatliche Armutsverwaltung nicht mehr zu kümmern braucht. Dass Bush die Family als „stille Botschafter des Glaubens“ lobte, mag kaum noch verwundern.
Dem Bremer Theologen Geiko Müller-Fahrenholz blieb es vorbehalten, zu diesem amoralischen Tun im Namen Gottes ein ethisches Gegenplädoyer zu liefern. Die chiliastische Erwartung eines tausendjährigen Reiches Christi und der grassierende doom boom in der amerikanischen Populärkultur etabliere ein gefährliches gedankliches Schema, womit die Komplexität der Welt auf die kriegerische Auseinandersetzung zwischen einer Erlösernation und den satanischen Kräften reduziert werde: „Diese apokalyptischen Szenarien liefern einen Kontext göttlicher Bedeutung, der dabei hilft, die politischen Entscheidungen zu legitimieren.“ Für Bushs Bereitschaft, als geläuterter Sünder nun „im Auftrag des Herrn“ zielstrebig dem Jüngsten Gericht zuzusteuern, hatte Sam Brown, ehemaliger OSZE-Beauftragter von Bill Clinton, indes nur Spott übrig: „Hätte er Gott nicht gefunden, wäre er wohl immer noch in der Bar.“ JAN ENGELMANN
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