: „Auf Gewitter folgt Sonnenschein“
Klaus Wowereit
Der Regierende Bürgermeister zu Gast in der taz: Zuerst genoss Klaus Wowereit ein Menü im Hausitaliener „Sale e Tabacchi“ (Vorspeise: Mangold-Selleriecreme-Suppe, Hauptgericht: Pappardelle con Ragù di Ossobuco, Dessert: Panna Cotta, dazu zwei Flaschen San-Pellegrino-Mineralwasser und ein Espresso). Dabei plauderte Klaus Wowereit mit Chefredakteurin Bascha Mika über überregionale Qualitätszeitungen aus Berlin und den Bochumer SPD-Parteitag. Beim anschließenden Interview in der Redaktion gab es Kaffee (Café Sonrisa. Kooperativenkaffee aus Mexiko. Fair gehandelt, biologischer Anbau). Mit Milch
Interview ROBIN ALEXANDER
taz: Herr Wowereit, um gar nicht erst den Eindruck eines Heimspiels aufkommen zu lassen. Vier konservative Vorurteile gegen Klaus W. Sie sagen, welches stimmt. Einverstanden?
Klaus Wowereit: Mal sehen, was kommt.
Vorurteil eins: Klaus W. feiert und reist durch die Welt, statt zu arbeiten.
Falsch.
Vorurteil zwei: Klaus W. liebt die Schickeria.
Nicht ganz falsch.
Vorurteil drei: Klaus W. ist ein notorischer Verfassungsbrecher. Er hat bei der Abstimmung im Bundesrat die Stimmen absichtlich falsch gewertet und in Berlin wissentlich einen verfassungswidrigen Haushalt vorgelegt.
Total falsch. Als Jurist würde ich niemals absichtlich die Verfassung brechen.
Vorurteil vier: Klaus W. zeigt sich beim Christopher Street Day. Deshalb zeugen die jungen Leute in Berlin weniger Kinder. Das sagt Jörg Schönbohm, CDU-Innenminister in Brandenburg.
Quatsch.
Wenn das alles nicht stimmt, warum lehnen Konservative Sie dann so stark ab?
Vielleicht weil ich ein anderes Bild eines Regierenden Bürgermeisters darstelle, als ins konservative Weltbild passt oder wie es der Amtsvorgänger getan hat. Die Opposition überzeichnet immer und hier in Berlin gehört die schnelle, billige und populistische Diffamierung leider inzwischen zum Alltag. Aber das interessiert mich alles nicht: Die Bevölkerung hat ein erkennbar anderes Bild von mir. Und solange das so bleibt, ist mir völlig egal, welche Vorurteile Konservative hegen.
Das Stadtmagazin Zitty hat sich Gedanken gemacht, wie Berlin unter anderen, utopischen Umständen aussehen könnte. Berlin am Meer oder Berlin im Reichtum. Für das Szenario „Was wäre, wenn Klaus Wowereit heterosexuell wäre“, stand da: Er würde mit der CDU zusammen regieren und Jörg Schönbohm wäre sein Innensenator.
(lacht)
Hat Sie wirklich Ihre Homosexualität zum Liberalen gemacht?
Nein, das denke ich nicht. Aber ich bin Klaus Wowereit, wie ich bin, und kann es mir anders natürlich auch nicht vorstellen. Mit Jörg Schönbohm habe ich im Übrigen in einer großen Koalition schon einmal zusammengearbeitet. Und wir haben uns nicht soooo schlecht verstanden.
Sie betonen gerne, ein liberaler Bürgermeister in einer außergewöhnlich liberalen Stadt zu sein. Aber gerade wollte Ihr Innensenator das Tragen von Kopftüchern im öffentlichen Dienst verbieten. Die PDS hat ihn in letzter Sekunde gestoppt.
Langsam. Langsam. Erstens ist unsere Entscheidung über ein Kopftuchverbot noch nicht gefallen. Wir haben das jetzt verschoben, aber die Diskussion geht weiter. Zweitens bin ich schon der Meinung: Das Kopftuch berührt die Frage der Emanzipation der Frau. Drittens: Wir müssen uns grundsätzlich über Integration verständigen. Menschen, die hierher kommen, sollen mit offenen Armen empfangen werden. Aber sie müssen sich auch in unsere Kultur integrieren. Und da ist es schon wichtig, dass wir in Schulen und im staatlichen Bereich die weltanschauliche Neutralität erhalten. Genau das ist eine liberale Errungenschaft.
Das Kopftuch gehört in Berlin schon lange zum Stadtbild. Warum wollen Sie junge Türkinnen davon abhalten, Lehrerin oder Polizistin zu werden?
Will ich doch gar nicht. Ich freue mich über türkische Lehrerinnen und Polizistinnen. Aber sie müssen sich im öffentlichen Dienst verhalten wie ihre Kolleginnen auch. Das Kopftuch ist ja nicht nur eine modische Erscheinung. Dahinter steckt eine Weltanschaung. Deshalb hat das Kopftuch eine besondere Qualität.
Ist Berlin mit seiner Überschuldung und mangelnden Wirtschaftskraft ein Sonderfall oder ein besonders extremes Beispiel für die allgemeine deutsche Misere?
Alle deutschen Städte kommen in extreme Schwierigkeiten, sogar Hamburg und das reiche München. In Berlin ist das Problem nur früher aktuell geworden und besonders dramatisch. Mittlerweile haben alle ähnliche Probleme: die Städte, die Länder und sogar der Bund.
Wenn alle die gleichen Probleme haben, warum sollen die anderen Bundesländer und der Bund dann die Berliner Schulden zahlen?
Weil wir eben doch in einer besonders prekären Situation sind. Nur unsere Stadt war geteilt. Und unsere Schulden sind wirklich exorbitant hoch. Um ein Missverständnis auszuräumen: Berlin will nicht mehr haben als andere Länder. Wir wollen unsere Schulden gar nicht komplett abbauen, sondern nur auf ein erträgliches Maß reduzieren, das andere Länder in Deutschand haben.
Das Verfassungsgericht hat Ihren letzten Haushalt für nichtig erklärt. Nun zittert die Stadt vor einer weiteren Sparrunde. Ist die Angst berechtigt?
Ja. Die Angst ist leider berechtigt. Denn das Urteil des Landesverfassungsgerichts hat noch engere Grenzen gesetzt. Das ist mir ja vorher nicht geglaubt worden: dass wir so hart sparen müssen, weil wir sonst in riesige Probleme kommen.
Wenn die Angst berechtigt ist: Was kommt denn nun weg?
Wir werden noch einmal alle Ausgaben kritisch überprüfen müssen. Wir denken darüber nach, einiges vorzuziehen, was wir erst 2006 absenken wollten. Und wir werden uns über weitere Einsparungen auseinander setzen müssen.
Sie schaffen ein Orchester ab.
Die Hoffnung, die Berliner Symphoniker retten zu können, ist mit dem Urteil des Verfassungsgerichts tatsächlich endgültig zerstoben.
Und vielleicht einen von zwei Zoos.
Nein. Beim Zoo im Westen und Tierpark im Osten muss dringend gespart werden. Die müssen stärker zusammenarbeiten und dringend ihre Konzeptionen überprüfen. Ich glaube aber nicht, dass einer von beiden gestrichen wird.
Sie trauen sich nicht. Weil es in Berlin drei Boulevardzeitungen gibt und Tiere so süß sind.
Damit hat das nichts zu tun. Bei der öffentlichen Diskussionen sind die Dimensionen der Erregung oft unproportional zu den Summen, um die es geht. Alles, was mit Tieren zusammenhängt, trifft tatsächlich ganz stark das Herz – besonders bei den Berlinern. Aber das ist doch ein sympathischer Zug.
Nach dem Urteil des Verfassungsgerichts will Berlin statt 520 nur 150 neue Lehrer einstellen. Und das in einer Zeit, wo noch der Letzte erkannt hat, dass in der Bildung mehr investiert werden muss. Das ist doch irrational.
Wir befinden uns in einem Nothaushalt, wo nur unausweichliche Ausgaben getätigt werden dürfen. Neueinstellung von Lehrern gehört nicht dazu. Das ist eine konkrete Folge des Urteils. Ich habe dieses Urteil nicht erwirkt.
Sondern die schwarz-gelb-grüne Opposition.
Ja. Schon seltsam: Erst holen sie sich ein Urteil, das uns zum Sparen zwingt. Und dann fordern sie uns auf, das Urteil nicht so eng auszulegen.
Herr Wowereit, haben Sie eigentlich einen guten Draht zu Angela Merkel?
Ich treffe sie regelmäßig. Warum?
Sie wollen doch, dass die Bundesregierung einen Teil der Berliner Schulden übernimmt. Da wäre ein entspanntes Verhältnis zur Bundeskanzlerin doch bestimmt hilfreich.
Erstens: Gerhard Schröder ist Bundeskanzler. Zweitens: Gerhard Schröder bleibt Bundeskanzler.
Dann haben wir auf dem Parteitag in Bochum keine Auflösungserscheinungen gesehen?
Nein. Bochum war eine ambivalente Veranstaltung. Inhaltlich ist der Kanzler mit deutlichen Mehrheiten bestätigt worden. Für den Generalsekretär und den Wirtschaftsminister hat es allerdings Denkzettel gegeben. Das sind keine Auflösungserscheinungen, sondern ist eine harte Auseinandersetzung um den richtigen Weg: Die ist zu Gunsten des Kanzlers richtig entschieden worden.
„Euch mache ich fertig“, hat Schröder zu renitenten Parteimitgliedern gesagt.
Ich habe den Satz nicht gehört. Aber wer Verantwortung trägt, darf auch sagen, dass Solidarität keine Einbahnstraße ist. Und er darf es auch deutlich sagen. Es hilft niemandem weiter, auf Kosten der öffentlichen Erscheinung der Partei mit dem anonymen Stimmzettel sein Mütchen zu kühlen.
Sie gelten auch als jemand, der Mitarbeiter auf Trab bringen kann.
Dem widerspreche ich nicht. Ein deutliches Wort hat oft reinigende Wirkung. Wie ein Gewitter, auf das Sonnenschein folgt.
Viele meinen, der Kanzler überfordere die SPD mit seinen Reformen.
Er mutet ihr viel zu. Aber das muss sein. Die Wirklichkeit zwingt dazu. Wir müssen uns den Herausforderungen der Zukunft stellen. Wir müssen lieb gewonnene Traditionen der Realität anpassen. Das ist schwierig, denn Menschen wollen oft keine Veränderung haben. Wir kommen aber um radikale Schnitte nicht mehr herum.
Ihr Senat hat sehr schnell den Konflikt mit Interessensgruppen wie den Gewerkschaften des öffentlichen Dienstes und den Profiteuren des sozialen Wohnungsbaus gesucht. Hat die SPD im Bund zu viel Angst?
Es ist besser, zu Beginn einer Legislaturperiode radikal ranzugehen, als jedes Jahr eine neue Scheibe zu präsentieren. Gerade am Anfang der rot-grünen Regierungszeit ist viel zu wenig gemacht worden. Aber was jetzt mit der Agenda 2010 auf den Weg gebracht wurde, wird einen in der Geschichte der Bundesrepublik einmaligen Reformprozess auslösen.
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