: Antisemitismus-Streit bei Attac
Gibt es antisemitische Attac-Aktivisten? Die einen sagen Ja. Die anderen verstehen die Frage nicht. Die „AG Globalisierung und Krieg“ weiß aber, dass ein Boykottaufruf gegen Israel „missbraucht“ werden könnte. Der Attac-Rat berät über Konsequenzen
aus Berlin MATTHIAS BRAUN
Die Debatte um Ted Honderich, dessen Buch nun doch nicht bei Suhrkamp erscheint, ebbt gerade ab, da steht der linken und interessierten Szene der nächste Antisemitismusstreit ins Haus. Gegen das globalisierungskritische Netzwerk Attac wird der Antisemitismusvorwurf erhoben. Am Mittwoch beschäftigte sich der Koordinierungskreis, das zweithöchste Attac-Gremium zwischen den Jahresversammlungen, mit der Frage, ob der palästinensische Aufruhr als „Widerstand“ oder als „Terror“ zu bezeichnen ist, und ob das eine wie das andere antisemitisch und deshalb auf keinen Fall unterstützenswert ist. Die Konsequenzen sind noch nicht absehbar.
Der Vorwurf stammt von dem Göttinger DGB-Regionalchef Sebastian Wertmüller, auch Attac-Mitglied. Auf den Internetseiten der Attac-Arbeitsgemeinschaft „AG Globalisierung und Krieg“ würden Positionen vertreten, die sonst nur von islamistischen Gruppen und Rechtsextremen ventiliert würden. „In der AG spielen antisemitische Gedanken eine dominierende Rolle“, sagte Wertmüller zur taz.
Wertmüller reibt sich zuvörderst an einer Unterschriftensammlung, die inzwischen aus dem Netz genommen wurde. „Keine Warenimporte aus den israelischen Siedlungen auf besetztem Gebiet in die EU“, wurde da gefordert. Das erinnere ihn an den nationalsozialistischen Aufruf „Kauft nicht beim Juden“. Hinter der Boykottforderung stehe der Gedanke, die Wurzel des israelisch-palästinensischen Konflikts liege in der Gründung des Staates Israel, sagte Wertmüller. Dies sei ein antisemitischer Gedanke.
Außerdem verweist Wertmüller auf mehrere Positionspapiere der „AG Globalisierung und Krieg“, in denen palästinensischer Terror als legitimer Widerstand gerechtfertigt werde. „Widerstand aber knüpft an emanzipatorische Gedanken an, und die kann ich da nicht erkennen“, sagte Wertmüller.
„Wir haben mit Antisemitismus nichts im Sinn“, verteidigt Barbara Fuchs die umstrittene Unterschriftensammlung der „AG Globalisierung und Krieg“. Sie könne nicht begreifen, dass Menschenrechte für die Palästinenser nicht gelten sollen, sagte sie zur taz. Immerhin sei sie sich der Gefahr bewusst, dass „bestimmte Leute“ solche Äußerungen für „antisemitische Zwecke“ missbrauchen könnten“. Fuchs bestätigte, dass mehrere Mitglieder der AG die Unterschriftenliste wieder ins Netz stellen wollen.
Falls es so weit kommt, wird die Auseinandersetzung, die bislang eher Workshopcharakter hatte, zu praktischen Konsequenzen führen. „Der Boykottaufruf soll nicht wieder ins Netz. Das war am Mittwoch Konsens“, sagte Attac-Sprecher Malte Kreutzfeldt, nachdem der Koordinierungskreis getagt hatte. Über mögliche Reaktionen auf eine Verletzung dieses Konsenses habe man sich aber noch keine Gedanken gemacht. „Einen solchen Fall gab es noch nicht“, sagte Kreutzfeldt.
Morgen nun tagt das Gremium, das über Konsequenzen befinden könnte – der Attac-Rat. Das Thema Antisemitismus steht dort auf der Tagesordnung. Da die Arbeitsgemeinschaften, die sich bei Attac zusammengefunden haben, autonom arbeiten, könnte ein Ratschluss lauten: Die „AG Globaliserung und Krieg“ darf nicht mehr unter dem Attac-Label veröffentlichen. Aber das bleibt abzuwarten.