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Archiv-Artikel

DER IRAN NACH DEM IRAKKRIEG Vorsorgliche Belagerung

Nach dem Ende des Irakkrieges konzentriert sich die US-Regierung erneut auf die Rolle des Iran, der für Präsident Bush zur „Achse des Bösen“ gehört. Niemand zweifelt an einer Bedrohung durch die Amerikaner. Zwar entdecken beide Länder ab und zu gemeinsame Interessen – etwa im Hinblick auf Afghanistan oder auch zu Beginn des Irakkrieges –, doch das Konfliktpotenzial ist weitaus größer. Die Reformer um Staatspräsident Chatami taugen aus der Sicht Washingtons nicht mehr als Hoffnungsträger. Vor allem aber ist eine mögliche Atommacht Iran der Bush-Regierung ein Dorn im Auge. Die wird eine militärische Option allerdings kaum ernsthaft in Betracht ziehen, denn eine neue „Allianz der Willigen“ wird sich nicht so schnell finden lassen. Völlig ungewiss ist auch, wie sich die Unruhe der Studenten auf die weitere innenpolitische Entwicklung im Iran auswirken wird.

Von PAUL-MARIE DE LA GORCE *

JETZT sind wir eingekreist.“ Darin sind sich Vertreter aller politischen Richtungen in Teheran einig: Mit der Besetzung des Irak durch US-Truppen hat sich der Belagerungsring um den Iran geschlossen. Nachdem die USA ihre militärische Präsenz bereits im Kaukasus, in Zentralasien, in Afghanistan und in Pakistan etabliert haben, war die jüngste Operation am Golf das letzte Glied in der Kette. Die Belagerung des Iran hält man hier jedenfalls für eines der wichtigsten Motive der USA im Irakkrieg. Das Regime in Teheran steht auf der Abschussliste, seit Präsident Bush die Islamische Republik gemeinsam mit dem Irak und Nordkorea zur „Achse des Bösen“ erklärt hat. Dagegen wollen sich alle wehren, aber wie?

Die Reaktionen der einzelnen Gruppierungen sind weitgehend durch die Auseinandersetzungen innerhalb des Regimes bestimmt. Dabei könnten die Fronten allerdings durch die studentischen Demonstrationen durcheinander gebracht worden sein. Bislang standen sich drei verfeindete Lager gegenüber: die „Konservativen“ um den Revolutionsführer Ajatollah Ali Chamenei, die „Reformer“ um Staatspräsident Mohammed Chatami und die konservativen Gefolgsleute des früheren Präsidenten Ali Rafsandschani, der inzwischen als Vorsitzender des „Rats zur Wahrung der Islamischen Ordnung“ wieder eine einflussreichen Position erlangt hat.

Niemand zweifelt daran, dass man sich in Kürze – schon in den kommenden Monaten oder auch erst nach einer möglichen Wiederwahl von Präsident Bush – einer Bedrohung durch die USA erwehren muss. In einem Land, in dem der Antiamerikanismus alle politischen Lager und Interessengruppen durchzieht, geht man eher von einer Konfrontation als von Verhandlungen aus. Lässt sich der Konflikt noch vermeiden, oder ist eine friedliche Lösung doch noch denkbar?

Es scheint, als hätten die Befürworter eines Ausgleichs ihre Chancen längst verspielt. Nach den Anschlägen des 11. September, als Präsident Bush den Militärschlag gegen al-Qaida und das Taliban-Regime ankündigte, hatte sich für die iranische Regierung eine Verhandlungsoption eröffnet. Damals beschloss sie, den US-Einsatz zu unterstützen, indem sie in Afghanistan ihren Einfluss auf die schiitische Volksgruppe der Hazara und ihre komplizierten, aber direkten Beziehungen zu den Tadschiken und Usbeken nutzte.

Es waren die Reformer, die damals diesen Kurs einschlugen. Sie wollten damit signalisieren, dass sie für die Zwangslage der USA Verständnis haben. Das war mit der überkommenen iranischen Außenpolitik durchaus vereinbar, denn in Teheran hatte man das Taliban-Regime stets als ein Werkzeug Pakistans gesehen, das sich in den umstrittenen und instabilen afghanischen Provinzen entlang der iranischen Grenze eine Vormachtstellung sichern wollte. Die Reformer hofften auf eine schrittweise Annäherung zwischen dem Iran und den USA, auf der Grundlage gemeinsamer Interessen. Doch sie hatten sich verrechnet: Die US-Regierung honorierte ihre Haltung nicht.

Was geschah damals in Washington? In den wichtigsten Ressorts der US-Regierungen gab es stets Befürworter enger und wirtschaftlich profitabler Beziehungen zu Teheran. Doch nach dem 11. September behielt wieder einmal die Lobby der Irangegner die Oberhand, die seit langem vom Scheitern der Reformer überzeugt waren und darum für vorläufige Kompromisse mit den Konservativen, also den wahren Machthabern eintraten – mit dem Hintergedanken, dass man ihnen später wieder das Streben nach atomarer Aufrüstung vorwerfen könne.

Der Irakkrieg bot der iranischen Führung erneut eine Chance, mit den USA ins Geschäft zu kommen. In den Wochen vor Beginn der Kampfhandlungen kam es in Genf zu direkten Gesprächen zwischen Vertretern Irans und der USA. Man kam zu dem Ergebnis, dass der Iran nichts gegen den Sturz des Saddam-Hussein-Regimes einzuwenden hatte, eine anhaltende Besetzung irakischen Territoriums durch US-Truppen jedoch ablehnte.

Später kam unter dem gemeinsamen Einfluss von Washington und Teheran ein (eigentlich nur „geheimes“) Abkommen zwischen verschiedenen schiitischen Organisationen im Irak zustande, wobei die einen vom Iran, die anderen von den USA protegiert wurden. In diesem Abkommen wurde die Öffnung eines Korridors zwischen iranischem Staatsgebiet und den bereits von US-Truppen besetzten Schiitengebieten vereinbart. Offiziell erhob die Islamische Republik gegen den militärischen Vormarsch größte Bedenken. Zugleich ging die iranische Armee mit aller Härte gegen eine bewaffnete wahhabitische Gruppe vor, die im Nordirak politische und religiöse Aktivitäten entfaltet hatte (und der die US-Geheimdienste Verbindungen zu al-Qaida unterstellten). Die Wahhabiten wurden zurückgeschlagen, als sie vor den kurdischen Milizen in den Iran fliehen wollten.

Doch das iranische Wohlverhalten war letztlich umsonst. US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld ermahnte Syrien und den Iran mit starken Worten und drohte mit Konsequenzen für den Fall, dass diese Länder nach der Einnahme Bagdads einen militärischen Widerstand irakischer Truppen unterstützen sollte. Condoleezza Rice erklärte zwar im Namen des Nationalen Sicherheitsrats, man habe vor allem Syrien im Visier, doch die iranische Führung fühlte sich durchaus angesprochen. Sie zog den Schluss, dass die Ereignisse im Irak auch das Schicksal der Islamischen Republik Iran entscheiden könnten – wobei alles davon abhing, wie sich die Konflikte und Bündnisse zwischen den Religionsgemeinschaften und politischen Kräften und der irakische Widerstand gegen die Besatzungsmacht entwickeln würden und welche Strategien die USA verfolgten. Man musste sich also auf alle Eventualitäten vorbereiten. Ein erster symbolischer Schritt war die Einrichtung des Fernsehsenders al-Olam, der rund um die Uhr Nachrichten in arabischer Sprache ausstrahlt und sich vor allem mit den Ereignissen im Irak befasst.

Unter den irakischen Schiiten ergaben sich bereits wenige Tage nach dem Einmarsch neue politische Konstellationen. Dabei standen sich zwei Lager gegenüber. Das eine gruppiert sich um die Exilopposition aus Großbritannien und den USA mit ihrem prominentesten Vertreter Achmed Chalabi, Präsident des Irakischen Nationalkongresses mit Sitz in London. Das andere besteht aus Kräften, die ihre Basis im Iran hatten. Die stärkste Gruppe ist der Oberste Rat der islamischen Revolution im Irak unter Führung von Ajatollah Bakir al-Hakim (siehe den Artikel unten), andere Strömungen sind in der schiitischen Geistlichkeit unter ihrem Oberhaupt Ajatollah Ali Sistani verwurzelt. Sie alle fordern den Abzug der US-Besatzungstruppen, die Einrichtung einer nationalen Führung – und eine ihrem Bevölkerungsanteil entsprechende Beteiligung der Schiiten an der Regierungsmacht.

So hatte man sich das in Washington nicht vorgestellt. Vor Kriegsbeginn galt es fast als ausgemacht, dass die Schiiten die US-Truppen freundlich, wenn nicht gar begeistert empfangen würden und dass man nach Ende der Kämpfe auf ihre Unterstützung zählen könne. Doch nach Kriegsende waren die schiitischen Organisationen sogar bemüht, sich gegenseitig in symbolischen, oft gewaltsamen Aktionen zu übertrumpfen. So wurde der aus dem britischen Exil zurückgekehrte Ajatollah Abdel Madschid al-Choi ermordet, und in Bagdad gab es Überfälle auf die Hersteller und Verkäufer von alkoholischen Getränken. Für die USA war dies Grund genug, sich jede Einmischung des Iran zu verbitten und von höchster Stelle aus zu erklären, man werde der Schaffung einer islamischen Republik nicht zustimmen und notfalls gewaltsam einschreiten.

Doch die Führung in Teheran hatte mitnichten irgendwelche Einmischungspläne. Die Ausrufung einer schiitisch dominierten islamischen Republik im Irak war in ihren Augen eher eine Bedrohung als ein Gewinn. Zum einen würde ein solches Projekt auch unter den Schiiten keine einmütige Zustimmung finden, viele dürften vielmehr eine gemeinsame Regierung mit gleichen Rechten für alle Konfessionen vorziehen. Zum anderen würden die Sunniten und Kurden heftig gegen eine islamische Verfassung opponieren – und eine konfessionelle Spaltung des Landes wäre für die Vereinigten Staaten der willkommene Anlass, die Besatzung auf unbestimmte Zeit zu verlängern.

Im Iran ist man deshalb für eine andere Lösung: Nur eine vom Volk getragene nationale Führung, die sich nicht allein auf die Schiiten, sondern ebenso auf die „pan-arabischen“ Kreise unter den Sunniten stützt (aus denen die nationalistischen Parteien und die Baathisten früher ihre Anhänger rekrutierten), wäre stark genug, den Kurden ausreichende Zugeständnisse zu machen. Nur so ließe sich eine „Einheitsfront“ gegen die Fortsetzung der US-amerikanischen Besatzung schmieden. Ob die lokalen schiitischen Gruppierungen dabei mitspielen, scheint ungewiss. Sie sind zu einem „Wettlauf um die Macht“ angetreten, in dem auch die radikalen Islamisten ihre Stärke demonstrieren können.

Fürs Erste muss sich die iranische Führung mit dem wachsenden Druck von US-Seite auseinander setzen. Auch wenn die Iraner nichts dergleichen im Sinn haben, sehen die USA in der Stärke schiitischer Gruppen, die angeblich eine islamische Republik Irak nach dem Vorbild des Iran errichten wollen, ein Indiz für Verbindungen Teherans zum Al-Qaida-Netzwerk. Doch dafür gibt es keinerlei handfesten Beweis. Nach dem, was die US-Geheimdienste aus der Überwachung von Funk- und Satellitentelefon-Verbindungen im Iran über Aktivitäten der al-Qaida in Erfahrung bringen konnten, deutet alles darauf hin, dass sich diese in dem durchlässigen und kaum zu sichernden Grenzstreifen zu Pakistan und Afghanistan abspielen. Und daraus lässt sich eine Komplizenschaft des Iran fürwahr kaum ableiten.

Schwerer wiegt der Vorwurf, die iranische Regierung verfolge Pläne zur Entwicklung von Atomwaffen. Die Anfänge des iranischen Atomprogramms liegen in der Schah-Ära, es wurde nach der Etablierung der Islamischen Republik (und deren Ausstieg aus der Beteiligung am französischen Urananreicherungs-Programm Eurodif) wieder aufgenommen und offenbar auf die Herstellung von Atomwaffen orientiert. Iran sah sich von aktuellen und künftigen Atommächten umzingelt: von der Sowjetunion über Pakistan und den Irak bis Israel. Und am Persischen Golf waren US-Luft- und -Seestreitkräfte stationiert.

Doch diese Pläne – unter größter Geheimhaltung abseits der zivilen Atomanlagen betrieben – führten wahrscheinlich nicht zum gewünschten Erfolg. Seit die Reformer die Regierung übernommen haben, wird die friedliche Nutzung der Atomkraft wieder stärker gefördert. Nach Aussagen von US-Experten dürften einige Kraftwerke allerdings in weniger als einem Jahr so weit sein, dass aus ihnen auch angereichertes Uran für die Herstellung von Atomwaffen gewonnen werden kann. Das gilt aber offenbar nicht für das mit russischer Hilfe gebaute Atomkraftwerk Buscheir. Dort könnte die Entnahme von waffenfähigem Uran aus dem Reaktor aufgrund seiner Bauart nicht unbemerkt bleiben.

Bei ihrer Forderung, der Iran solle sich durch Unterzeichnung eines Zusatzprotokolls zum Vertrag über die Nichtweitergabe von Atomwaffen (NPT) mit unangekündigten Inspektionen einverstanden erklären, durften die Vereinigten Staaten auf die Unterstützung der EU und der Internationalen Atomenergieorganisation (IAEO) rechnen. Doch die iranische Regierung kann zu Recht darauf verweisen, dass dieses Ansinnen allein an den Iran gestellt wird, und Garantien oder Gegenleistungen verlangen.

Wie stünden die Chancen in einer Konfrontation zwischen den USA und dem Iran? Ein Krieg, wie er im Irak geführt wurde, erscheint sehr unwahrscheinlich – schließlich ist der Iran, was seine Bevölkerung, seine Ressourcen und seine geostrategische Lage angeht, von ganz anderem Kaliber. Um ein solches Land zu besetzen, wäre ein gewaltiges Truppenkontingent nötig. Die iranischen Streitkräfte, bestehend aus einer konventionellen Armee und den Milizen der Revolutionswächter, könnten sicher nicht lange standhalten. Aber die Besatzung müsste überall – mit Ausnahme der Kurdengebiete im Nordwesten und Balutschistans im Südwesten – mit dauerhaftem Widerstand rechnen.

Denkbar wären gezielte Angriffe auf Industrieanlagen und Atomkraftwerke, die zur Waffenproduktion beitragen können. In diesem Fall würde der Iran nicht nur seine Drohung wahr machen, aus der IAEO auszutreten, die Führung in Teheran könnte auch auf vielfältige Weise die politischen und militärischen Vorhaben der USA in Afghanistan (und indirekt auch in Pakistan) stören.

Angesichts solcher Unwägbarkeiten setzen einige außenpolitische Berater des US-Präsidenten eher auf Umsturzpläne. Sie dürfen davon ausgehen, dass ein großer Teil der Bevölkerung das Regime der Mullahs satt hat und dass auch die Reformer immer mehr in Misskredit geraten sind. Bei den jüngst durchgeführten Kommunalwahlen erzielten die Kandidaten des konservativen Lagers Erfolge wie schon seit Jahren nicht mehr. Das erklärt sich freilich aus der Tatsache, dass etwa in Teheran nur 10 Prozent der Stimmberechtigten überhaupt gewählt haben. In allen Städten war die Wahlbeteiligung ähnlich niedrig. Dem Reformlager traut offenbar niemand mehr zu, einen Machtwechsel zu erzwingen oder auch nur winzige Fortschritte im Bereich der Bürgerrechte und persönlichen Freiheiten durchzusetzen. Das ist ein überdeutlicher Ausdruck für die soziale Krise: Die Iraner setzen keine Hoffnungen mehr auf friedliche Lösungen im Rahmen des bestehenden Systems.

Das erklärt auch den plötzlichen Ausbruch der Studentenrevolte in Teheran. Die Demonstrationen, die am Abend des 10. Juni vom Universitätsgelände ausgingen, bekamen nach dem 12. Juni noch weiteren Zulauf aus den angrenzenden Stadtvierteln. Am Freitag, den 13. Juni, spitzte sich die Lage zu: Islamistische Schlägertrupps versuchten die Erhebung niederzuknüppeln, gleichzeitig kam es zu ersten Demonstrationen in anderen Städten. Diese Revolte hat ihre Ursache zweifellos in der politischen Gesamtlage des heutigen Iran. Was aus ihr entstehen wird, bleibt abzuwarten. Man darf nicht vergessen, dass nach dem Scheitern der Reformer im Iran keine Strukturen, keine organisierten Kräfte und keine Führungsfiguren erkennbar sind, die den allgemeinen Unmut und die Abkehr vom Regime der Mullahs auffangen und in politische Gegenmacht verwandeln könnten.

Dass die iranischen Machthaber in Schwierigkeiten geraten sind, ist offensichtlich. Aber die Kreise in Washington, die für die Reaktion der USA auf diese Krise verantwortlich sind, sollten sich über eines im Klaren sein: Die patriotische, wenn nicht gar nationalistische Grundstimmung in der Bevölkerung und im öffentlichen Bewusstsein bleibt davon unberührt. Als Präsident Bush offiziell seine Sympathie für die Studentenrevolte in Teheran erklärte, erwies er allen Bestrebungen für einen Machtwechsel einen Bärendienst. Denn nun heißt es, die USA hätten diese Bewegung inszeniert. Noch eines ist sicher: Alle denkbaren Nachfolger des heutigen Regimes würden eine Fremdherrschaft strikt ablehnen. Und im Widerstand gegen eine Besatzungsmacht würde sich erneut ein enger Zusammenhalt von Gesellschaft und politischer Macht herstellen.

deutsch von Edgar Peinelt