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Der Wert ist Schöpfung

Als eine Fabrik noch ein idyllischer Gegenstand war: Mit der Ausstellung „Die Zweite Schöpfung“ im Martin-Gropius-Bau wird die Geschichte der Industriemalerei besichtigt. Die Bilder der Technikeuphorie verabschieden sich vom Ornament und entdecken den Minimalismus in der Werksarchitektur

Der Wunsch nach erhabener Kunst trifft auf die Spektakel der Produktion

von HARALD FRICKE

Karl Friedrich Schinkel war begeistert. Als er im Juli 1826 den industrialisierten Norden Englands bereiste, schrieb der Architekt und Maler an seine Frau: „In Manchester, wo wir gestern waren, sind seit dem Kriege vierhundert neue große Fabriken für Baumwollspinnerei entstanden, unter denen mehrere Gebäudeanlagen von der Größe des Königlichen Schlosses zu Berlin stehen, und ringsum ragen Tausende von rauchenden Obelisken der Dampfmaschinen empor, deren Höhe von achtzig bis hundertachtzig Fuß allen Eindruck der Kirchtürme zerstört.“ Trotzdem hat er nach seiner Rückkehr weiter klassizistisch gebaut.

Die monumentale Architektur der Industrieanlagen steht im Mittelpunkt der Ausstellung „Die Zweite Schöpfung“, die das erste Geschoss des Martin-Gropius-Baus mit über 150 Exponaten füllt. 20 Räume wurden dafür eingerichtet, die nach Kapiteln geordnet bis in die Gegenwart reichen. Schon der Titel zeugt von der Ehrfurcht, mit der die Kuratoren europäische Sammlungen nach Kunst durchforstet haben, auf der Suche nach Abbildern jener Revolution, die Teilhabe am gesellschaftlichen Glück über Arbeit, Ware und Kapital definierte.

An ihrem Anfang steht nicht Marx, sondern die Kirche. Auf der Rückseite eines Altars der Annenkirche zu Annaberg-Buchholz von 1521 sieht man, wie in verschiedenen Produktionsphasen Silbererze aus dem Boden geholt, in Öfen geschmolzen und mit dem Hammer zerkleinert werden, bis sie zuletzt auf dem Block des Münzprägers landen. Die Kostbarkeit des Materials scheint im Geld als Äquivalent auf, tatsächlich wird im Gemäldezyklus von Hans Hesse der Wert mühsam geschöpft.

Zugleich ist der Altar den Grubenarbeitern und Bergleuten gewidmet gewesen, deren Schutzpatron der Prophet Daniel aufgrund seiner göttlichen Beschirmung in der Löwengrube war. Von Entfremdung kaum eine Spur: Alle arbeiten miteinander; am Ende der Kette stehen weder Adel, Klerus noch Unternehmer, um den Silberschatz an sich zu nehmen, nur der reine Produktionskreislauf wird sichtbar. So weit die christlich-humanistisch gefärbten Utopien der Renaissance.

Erstaunlicherweise scheinen auch 250 Jahre danach die Darstellungen von technischen Gerätschaften – etwa in der Enzyklopädie von Diderot und d’Alembert – auf Bemächtigung und Emanzipation hinauszulaufen. Wieso sonst sollte jemand ein Nachschlagewerk kaufen, das in Skizzen und Aufrisszeichnungen die Funktionsweise einer Strumpfwirkmaschine erklärt? Doch statt Aufklärung für Arbeiter sind die Lexika Gebrauchsanleitungen, wenn nicht Bibeln für angehende Kapitalisten: Tatsächlich bildet sich in dieser Zeit eine Bourgeoisie heraus, die nicht mehr über Ländereien, sondern über den Besitz von Fabriken und Unternehmen definiert wird. Entsprechend sehen Porträts aus, auf denen etwa Carl Friedrich Stumm und seine Frau Marie Louise vom Maler Louis Krevel als Nachfolge des Adels in prachtvollen Gewändern repräsentiert werden – und mit Bauplänen für die allerneueste Dampfmaschine.

All diese Details verweben sich in der Ausstellung gekonnt zu einem historisierenden Puzzle. Man sieht „Produktion als Spektakel“, das in England die idyllische Landschaftsmalerei ablöst, und liest dazu ein Zitat von Edmund Burke, der in seinem Aufsatz über das Erhabene nicht länger an das antike Ebenmaß als Inbegriff der Schönheit glauben mag, sondern „das Große und Massige dem Feinen“ vorzieht. Bei William Williams rauchen 1777 die Schornsteine über Coalbrookdale, nur Joseph Wright of Derby zieht es vor, die Baumwollspinnereien von Arkwright bei Nacht zu zeigen, weil das romantische Gemüt nicht mit dem Alltag belästigt werden soll. Doch die Welt hat sich verändert: Die Schöpfung wird nun von Menschen gestaltet; und der Maler hat Anteil an dieser Realität.

Leider erfährt man wenig darüber, wie sich der Wandel der Sujets auf die ästhetischen Diskurse ausgewirkt hat. Die Ornamentik der früheren Schlossarchitektur weicht in der Darstellung nüchternen Formen, die Fabriken tendieren zu einem visuellen Minimalismus: Ein Rechteck, himmelwärts ragende Schlote und überall Arbeiter an Maschinen. Auftragskunst für zuversichtliche Unternehmer.

Dabei sind viele Gemälde auch Vorboten einer neuen Ideologie. Das 1843 entstandene „Donautal mit Donaustauf und Walhalla“ eines anonym gebliebenen Malers zeigt eine friedliche Szene mit Schafen und Kühen, an denen ein Dampfschiff mit Blick auf die Ruhmeshalle vorbeizieht – so wird technisch-industrieller Fortschritt mit nationaler Mythologie kurzgeschlossen.

Gleichzeitig entdecken Maler wie Johann Joseph Leyerdecker, wie sehr die neue Ordnung auf Ausbeutung hinausläuft. Sein „Merchenicher Bleibergwerk“ (1854) ist ein Schauplatz der Kontrolle, ein benthamsches Panoptikum, in dem ein Mann in Uniform auf einem erhöhten Felsvorsprung über die Arbeiter wacht. Vor allem in der belgischen Kunst um 1880 werden die sozialen Missstände zum Thema: Stahlwerke erinnern an höllenhafte Fantasien nach Piranesi, bei Cécile Douards „Die Halde“ (1898) sind die Frauen, die den Schlackeberg nach verwertbaren Stoffen absuchen, den Darstellungen der Verdammten auf Bildern zum Jüngsten Gericht nachempfunden.

Bis zum Fin de Siècle ist das Material der Ausstellung eng am Gegenstand geführt. Doch nach den ersten „urbanen Impressionen“ von Bahnhöfen in Paris oder den proletarischen Berliner Welten springt „Die Zweite Schöpfung“ zur Hälfte des Rundgangs aus der Spur. Von nun an geht es querfeldein durch die Moderne: ein paar futuristische Ansätze, in denen Maschinen, Technik und Dynamik abstrakte Formen ergeben; ein Kabinett mit Industriefotografien von Albert Renger-Patzsch und Germaine Krull; und zuletzt viel DDR-Realismus à la Willi Sitte oder Wolfgang Mattheuer, der sich mit kritischer West-Malerei aus der Anti-AKW-Bewegung gut verträgt.

Vielleicht war es ein Wunsch der Kuratoren, für das 20. Jahrhundert der illustrierten Industriegeschichte etwas mehr künstlerischen Eigensinn abzugewinnen. Dann hätten aber unbedingt die Arbeiter-Maschinen von Fernand Leger in den zweiten Teil der Ausstellung gehört.

Zum Glück kann man sich im Innenhof des Martin-Gropius-Baus als zeitgemäße Fortsetzung der Historienmalerei noch einen Foto-Essay von Josef Koudelka anschauen. Auf 34 schwarzweißen Panoramen dokumentiert dieser die ruinierte Landschaft, die der tschechische Kohleabbau zurückgelassen hat. Das ist nicht mehr Schinkels Triumph der Industrie, das ist die Wüste nach der Zweiten Schöpfung.

Bis 21. 10., Mi.–Mo., 10–20 Uhr; Martin-Gropius-Bau, Niederkirchnerstr. 7; Katalog: 26 Euro

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