: „Geprügelt haben Polizisten“
Der Autor Raul Zelik wurde vergangenen Samstag in Rostock Zeuge massiver Polizeigewalt. In einem Brief an Peter Wahl von Attac kritisiert er das Fehlen von Kritik am Verhalten der Sicherheitskräfte
Lieber Peter Wahl,
du wirst mit der Aussage zitiert, du wolltest die Gewalttäter nicht mehr auf den G-8-Demonstrationen sehen. Ich bin Samstag vor einer Woche mit blutigen Kleidern nach Berlin zurückgefahren, weil Polizisten – vermummt, schwarz gekleidet – beim Eintreffen der Demonstration am Kundgebungsort wie wild auf uns eingedroschen haben. Einem vor mir stehenden langhaarigen – nicht vermummten – Schüler wurde so heftig auf den Kopf geschlagen, dass er blutüberströmt nach hinten sackte.
Du weißt, dass es zahlreiche solche Vorfälle gab: Ein Fahrradkonvoi wurde Sonntagnacht auf einer Landstraße von Polizeifahrzeugen überholt und von den herausspringenden Beamten ohne Vorwarnung angegriffen. Bei einem schweren Autounfall verweigerten Polizisten angeblich sogar die Unfallhilfe. Schon seit Monaten heizte die Polizei die Stimmung in Rostock auf, indem sie alle Ladenbesitzer dazu aufforderte, ihre Geschäfte zu schließen. Über den Kundgebungsorten standen ununterbrochen Polizei- und zeitweise sogar Armeehubschrauber.
Sieht so Deeskalation aus? Es ist mir durchaus bewusst, dass die ersten Zusammenstöße am Samstag von Demonstrationsteilnehmern ausgingen und auch hier brutal vorgegangen wurde. Das war – von ethischen Fragen einmal abgesehen – schon deswegen eine Sauerei, weil sich andere auf einen ruhigen Verlauf der Demonstration verlassen hatten. Und trotzdem: Das, was der Begriff „Gewalt“ eigentlich beschreibt – den Angriff auf ungeschützte Körper –, wurde auch an diesem 2. Juni in großer Zahl von Polizisten verübt. Man braucht die Fälle nicht gegeneinander aufzurechnen, doch es ist schon bemerkenswert, dass darüber kein bisschen Empörung herrscht.
An der Betroffenheit, die Du nach der Demonstration zum Ausdruck gebracht hast, hege ich aus diesem Grund Zweifel. Nicht an dem Anliegen an sich: Ich halte die Beseitigung von Gewalt und Gewaltverhältnissen für einen zentralen Punkt jedes widerständigen Denkens. Doch das, was ihr vertreten habt, war, wie ich finde, eben keine Position gegen die Gewalt. Ihr habt die verurteilt, die bereits Verfolgungsziel sind, und über jene Gewalt geschwiegen, die gesellschaftlich akzeptiert ist, weil sie mit der Position der Macht identisch ist. Über prügelnde, vermummte Polizisten fiel der Satz eben nicht: „Mit solchen Leuten haben wir nichts gemeinsam, wir wollen sie nicht mehr sehen.“
Ich weiß: Man sollte erst einmal vor der eigenen Haustür kehren, bevor man auf die Gegenseite zeigt. Und es ist natürlich auch in Ordnung, Demonstrationsteilnehmer, die über einen hinweggehen, indem sie Absprachen ignorieren, wütend zu kritisieren. Doch die politische Situation seit dem zweiten Juni ist eine andere: Es wird eine Hysterie geschürt, die mit den Ereignissen nichts zu tun hat und nur dazu dient, eine härtere staatliche Gangart gesellschaftlich durchzusetzen. Letztlich geht es dabei nicht um die Frage der Gewalt – ansonsten müsste über andere Aspekte mit gleicher Empörung gesprochen werden –, sondern um ein Bekenntnis zum staatlichen Gewaltmonopol.
Ich weiß wohl, warum manche Kulturtheoretiker dieses Monopol für eine zivilisatorische Errungenschaft halten. Trotzdem ist die Ablehnung von Gewalt nicht das Gleiche wie die Befürwortung eines Gewaltmonopols. Wenn wir über Ersteres sprechen, verhandeln wir ethische Fragen; diskutieren wir Zweites, geht es um politische und rechtliche Einschätzungen. Ich habe den Eindruck, dass in diesen Tagen auch deshalb alle in den Chor mit einstimmen, weil man befürchtet, gesellschaftlich isoliert oder sogar kriminalisiert zu werden. Diese Angst kann ich gut verstehen. Wir alle teilen sie. Wir bekommen hautnah zu spüren, dass diejenigen, die nicht laut genug mitrufen, jederzeit geächtet und verfolgt werden können.
Noch mal: Ich habe niemanden geschlagen, beworfen, mich nicht mal gegen Schläge gewehrt. Ich bin am Samstag ohne jedes Zutun angegriffen worden. In der Situation habe ich mich über manche Demonstranten geärgert; auf mich eingeprügelt haben Polizisten. Ich werde deshalb nicht mit einstimmen in den Chor der Distanzierungen, die für mich etwas Heuchlerisches haben, weil sie sich – bewusst oder unbewusst – auf die Seite der Macht schlagen, die, das sollten wir nicht vergessen, immer auch die Anwendung der Gewalt in sich trägt.
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