: Große Populisten & kleine Eliten
VON JENS KÖNIG
Die Berliner Republik steht, wieder einmal, kurz vor ihrem Zusammenbruch. Jedenfalls sieht es hier drinnen so aus, tief im Herzen dieser Republik, auf den drei Quadratkilometern rund ums Kanzleramt, in denen Politiker und Journalisten gern sich selbst begegnen und daraus dann große Schlüsse über den schlimmen Zustand dieser Welt ziehen. Der Kanzler gibt der Bild-Zeitung kein Interview mehr! Er hat Journalisten von Bild und Stern nicht auf seine Reisen in die Türkei und die USA mitgenommen!! Und er spricht, wenn es um Bild geht, von „Hetze“ und „Häme“!!!
Willkür!, rufen die Hauptstadtjournalisten zurück. Die Chefredakteure von sechs überregionalen Zeitungen protestieren gegen die „Boykottpolitik“.
Im aufgeregten Alltagsgeschäft im Berliner Regierungsviertel wird diese kleine Geschichte natürlich mit großen Worten erzählt. Der Medienkanzler dreht durch, sagen die Journalisten, er bekämpft jetzt das System, das ihn einst groß gemacht hat. Die Medien machen die Politik zur Unterhaltungsbranche, klagen die Politiker, alles wird nur noch personalisiert und skandalisiert.
Das könnte ein Fall für Wolfgang Thierse sein. Thierse ist ein Gegenspieler der Spaßgesellschaft. Er hat sich schon in der DDR dem Jargon der Partei verweigert – genauso verweigert er sich heute der Sprache der Macht, ihrem populistischen, zynischen Stil. Vor ein paar Monaten hat der Bundestagspräsident auf dem „Mainzer Medien Disput“ eine kluge, unaufgeregte Rede über das Diktat der Unterhaltung im politischen Journalismus gehalten. Genau der richtige Mann für dieses Thema also.
Doch kaum in seinem großen Büro im Reichstag an riesigen Bücherstapeln vorbei, hört man Thierse schon aufgeregt rufen: „Der Kanzler gefährdet die Pressefreiheit, weil er Bild-Redakteure nicht mit auf Reisen nimmt? Das ist doch eine Lachnummer! Die Chefredakteure beweisen mit ihrem Protest nur eines: Dass sie die Bild-Zeitung als Leitmedium dieser Republik akzeptieren.“
Thierse kann reden, aber wie! Der Germanist hat in der DDR jahrelang an einem siebenbändigen Lexikon der Ästhetik mitgeschrieben. Er legt noch auf den letzten Halbsatz wert. Jetzt kann er nicht mehr an sich halten. „Die Bild-Zeitung hat eine Macht, vor der alle anderen strammstehen“, sagt er. „Keiner wagt mehr, ihr zu widersprechen.“ Bild nicht im Kanzlerflugzeug? Wo ist das Problem. Bild dachte doch jahrelang, für sie gebe es eine Art Naturrecht, bei solchen Reisen dabei zu sein. „Das Ende dieser Bevorzugung ist nicht das Ende der Pressefreiheit“, sagt Thierse. „Es ist eine Normalisierung, Bild-Journalisten mal mitzunehmen und mal eben nicht.“
Aber war es nicht der Kanzler höchstpersönlich, der dem Boulevardblatt dieses Naturrecht gewährt hat? Benutzt Schröder Bild nicht seit 15 Jahren für seine politischen Zwecke? Hat er seinen Rivalen Oskar Lafontaine nicht mit gezielten Indiskretionen in der Bild-Zeitung zermürbt? Thierse kennt die Geschichten. Und er findet, dass es mit Schröder nicht gerade den Falschen trifft, was er öffentlich natürlich nicht sagt. Trotzdem lässt er diese Einwände nur bedingt gelten. Weil er findet, dass es im Verhältnis von Politikern und Journalisten eine „fundamentale Schieflage“ gibt. „Politiker haben immer zu lächeln, immer lieb zu sein, sich alles gefallen zu lassen“, sagt Thierse. „Aber wie sollen sie sich wehren, wenn sie den Eindruck haben, sie werden unfair behandelt?“
Der Bundestagspräsident steht nicht im Verdacht, keine unabhängige Presse zu wollen. Aber es ist nicht zu überhören, dass er ein grundsätzliches Problem mit dem politischen Journalismus hat. Thierse hält einen Spiegel-Titel hoch. „Lachnummer Deutschland“ steht darauf. Der Anlass für diese Geschichte war das Maut-Debakel. Auf der Titelbild – nur Politiker. Thierse wird schnell wieder grundsätzlich. „Es gibt eine habituelle Feigheit von Journalisten, die wirtschaftliche Elite unseres Landes zu kritisieren. Aber den Politikern glauben sie alles in die Schuhe schieben zu können.“
Dass Politiker die Medien auch benutzen, hält er für einen „eigentümlichen Vorwurf“. Politiker würde es ohne Medien doch gar nicht geben. Jetzt wird Thierse wieder laut: „In einer Mediendemokratie existieren Politiker nicht, wenn über sie nicht berichtet wird. Und wenn in Boulevardzeitungen über Politiker nur berichtet wird, was an ihnen boulevardesk ist, dann ist die Verführung groß, dass sie sich auch boulevardesk verhalten.“ So viel zum Thema Rudolf Scharping, der für die peinlichen Badefotos auf Mallorca ja selbst verantwortlich war. „Und wenn einer nicht baden geht, wird Bild ihn baden schicken“, schiebt Thierse noch hinterher. „Die Medien sind keine Politikbegleitorgane mehr. Sie sind Politikmachorgane.“
Für eine weniger impulsive Betrachtung der Zustände muss man aus Berlin rausfahren. Nach Göttingen. Dort arbeitet Franz Walter, einer der besten Politologen des Landes. Walter trägt dicke Wollpullover und hat lange Haare. „Ich bin ein Provinzler“, sagt er. Wenn er nach Berlin fährt, um mit Politikern und Journalisten zu reden, empfindet er sich als Außenseiter. Er hält er immer nur einen Tag in der Hauptstadt aus. Diese Nähe, diese Kumpanei, dieser alles fressende Mainstream – das macht ihn krank.
„Politiker und Medien sitzen in einem Boot“, sagt Walter. „Sie bilden eine Informations- und Interpretationselite.“ Nicht die Kluft zwischen Politikern und Journalisten werde immer größer, sondern die zwischen der Informationselite und der Bevölkerung. Die politische Klasse hingegen sei zusammengerückt, im Bundestag wie in den Medien. Ob Grüne oder CDU, Welt oder taz – die Unterschiede seien nicht mehr fundamental. „Die Medien planieren alles nieder“, sagt Walter. „Sie bilden die unterschiedlichen Einstellungen und Mentalitäten in diesem Land nicht mehr ab.“
Schröders Reformen würden von 70 bis 80 Prozent der Gesellschaft abgelehnt – aber das finde nirgends mehr seinen Niederschlag. Dass sich viele Bürger in Politik und Medien nicht repräsentiert sehen, hat in Deutschland noch kein Antidemokrat ausnutzen können. Die Rolle der großen Populisten spielt Bild. Aber Walter denkt an die Kollegen in Holland. Von ihnen habe niemand den großen Erfolg des Rechtspopulisten Pim Fortuyn für möglich gehalten. Aber als Fortuyn dann da war, hätten alle gesagt: Das war abzusehen.
Die Aufregungen in Berlin sieht Walter gelassen. Er schreibt gerade an einem Buch über die „Küchenkabinette“ deutscher Kanzler. Dabei ist er darauf gestoßen, dass es bereits 1970 unter Willy Brandts Sprecher Conrad Ahlers einen Boykottversuch gegen Bild gegeben habe, aber schon ein paar Monate später sei Ahlers zu Springer gewechselt. Mit Schröder und Bild werde es sich auch wieder beruhigen. „Die Interessengegensätze zwischen Politikern und Journalisten werden nicht mehr nüchtern ausgetragen“, meint Walter. „Schröder reagiert emotional. Aber wenn man alles von einander weiß, wächst eben Enttäuschung, manchmal auch Hass.“
Natürlich auch auf Seiten der Journalisten. Zurück in Berlin, erfährt man die Geschichte eines verunglückten Nachmittags von Spiegel-Chef Stefan Aust und seinem Berliner Büroleiter Gabor Steingart im Kanzleramt. Schröder hatte die beiden am 5. Februar eingeladen, einen Tag, bevor er bekannt gab, dass er seinen SPD-Vorsitz abgibt. Den Spiegel-Leuten hatte er noch lang und breit erklärt, wie gern er SPD-Chef sei. Die geplante Titelgeschichte sah entsprechend aus. Man kann sich lebhaft vorstellen, dass Aust und Steingart am Freitag doof aus der Wäsche geguckt haben.
Diese Kumpanei von Politikern und Journalisten, dieses Geduze, dieses wechselseitige Einladen auf Geburtstage – das geht Hans-Ulrich Jörges gehörig auf die Nerven. „Das ist verdorben“, sagt er. Jörges hält das für typisch für das rot-grüne Milieu. Anfang der 80er hätten aufstrebende Politiker mit aufstrebenden Journalisten in der Bonner Kneipe „Provinz“ zusammen gesoffen und den Wahlsieg 1998 dann als gemeinsamen Aufstieg an die Macht erlebt.
Jörges duzt keinen einzigen Politiker. Er lädt keinen Politiker zum Geburtstag ein. Er gehört in Berlin keinem einzigen Hintergrundkreis an. Er erzählt das gern. Es soll so aussehen, als sei er ein Außenseiter in dem Geschäft.
Dabei ist Jörges mittendrin. Stellvertretender Chefredakteur des Stern, Leiter des Hauptstadtbüros. Ein journalistischer Vollprofi, seit über 25 Jahren dabei. Er war Chefredakteur der Schröder-freundlichen Woche. Er kennt viele Politiker gut. Er lädt sie zu vertraulichen Gesprächen in sein Büro ein. Aber er macht sich mit ihnen nicht gemein. Er polarisiert. Jede Woche schreibt er im Stern eine Kolumne. Sie ist scharf wie ein Fallbeil. Zack, Kopf ab. Oben oder unten, schwarz oder weiß, zu viele oder zu wenig Reformen – das ist Jörges Welt. Schröder-Kolumne Heft 35/2003: „Der verkannte Kanzler“. Schröder-Kolumne Heft 9/2004: „Der Medienkrieger“. „Ich spitze gern zu“, sagt Jörges. „Das ist meine Art zu schreiben.“
In Berlin ist er einer der bestgehassten Journalisten. Wegen seiner Kolumnen nennt Thierse den Stern „eine Bild-Zeitung auf Hochglanzpapier“. Jörges hat für diese Sprachstörungen eine einfache Erklärung: „Die Parteien versuchen, sich die Medien zu unterwerfen. Sie wollen sie berechenbar machen, sich Gefolgschaft organisieren. Jetzt merken sie, dass das nicht funktioniert. Deswegen schlagen sie auf die Medien ein.“
Wenn Jörges Thierse reden hört, kann er nur lachen. „Die Politiker sind an den Zuständen, die sie beklagen, selber schuld. Sie liefern sich den Medien aus.“ Natürlich könne man gegen den Boulevard regieren, Willy Brandt habe gegen Bild Wahlen gewonnen. Aber Schröder sei eingeknickt, als Bild gegen die Riester-Rente mobil gemacht habe.
Politiker glaubten immer, sie könnten sich die Medien gefügig machen. „Schröder hat jahrelang glänzend mit den Medien zusammengearbeitet“, sagt Jörges. „Er konnte gut mit Bild. Er dachte, ihm gehört der Stern. Jetzt ist er enttäuscht.“ Aber Schröder sei kein Einzelfall. Angela Merkel sei genauso. „Merkel denkt, ihr gehört die FAZ.“
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