Zukunft der Mieter in Berlin: „Verdrängung ist nicht zu stoppen“
Die grüne Baustadträtin von Tempelhof-Schöneberg, Sibyll Klotz, über das neue Umwandlungsverbot und die Gentrifizierung rund um den Gleisdreieckpark.
taz: Frau Klotz, am Dienstag hat der Senat die Umwandlungsverordnung beschlossen. Noch in diesem Monat soll das Instrument, mit dem die Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen erschwert werden soll, in Kraft treten. Ein Grund zum Feiern?
Sibyll Klotz: Bestimmt nicht, dafür kommt das Ganze viel zu spät. Aber ich bin zufrieden, dass die Umwandlungsverordnung jetzt endlich da ist.
Was bedeutet das für die Mieter in Tempelhof-Schöneberg?
Es bedeutet, dass überall dort, wo es soziale Erhaltungsgebiete gibt, wir von der Möglichkeit Gebrauch machen können, die Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen abzulehnen.
Wie viele Erhaltungsgebiete haben Sie in Ihrem Bezirk?
Wir haben jetzt drei solcher Gebiete, also einmal rund um den Barbarossaplatz und den Bayerischen Platz, dann die Bautzener Straße und schließlich den Kaiser-Wilhelm-Platz. Für ein viertes Gebiet, die Schöneberger Insel, gibt es einen Aufstellungsbeschluss des Bezirksamtes. Da laufen derzeit die Untersuchungen.
Wann wird die Schöneberger Insel dazukommen?
Das wird noch im Laufe des Jahres sein.
geboren 1961, ist grüne Stadträtin für Stadtentwicklung und Soziales in Tempelhof-Schöneberg. Zuvor war sie von 1991 bis 2006 im Abgeordnetenhaus. 1995 und 2001 hatte sie die Grünen als Spitzenkandidatin in die Wahl geführt.
Wie viele Mieter werden in diesen Gebieten dann geschützt sein?
In den drei festgesetzten Gebieten befinden sich 13.000 Mietwohnungen. Mit der Schöneberger Insel kommen schätzungsweise noch einmal zwischen 4.000 und 5.000 Wohnungen dazu.
Wie viele Wohnungen wurden in den vergangenen Jahren in Tempelhof-Schöneberg umgewandelt?
Wie Charlottenburg-Wilmersdorf hat Schöneberg schon in der Vergangenheit immer viele Eigentumswohnungen gehabt. Jede vierte Wohnung ist bereits umgewandelt. Oft auch von selbst nutzenden Eigentümern. Entscheidend ist der Umwandlungsdruck in den vier Erhaltungsgebieten. So hat sich im Bereich Kaiser-Wilhelm-Platz die Zahl der Umwandlungen von 2012 zu 2013 fast verdoppelt. Es ist nach unserer Einschätzung so, dass es bei weiteren Umwandlungen eine deutliche Entmischung der Wohnbevölkerung gäbe. Da wollen wir gegensteuern.
Jede Umwandlung in den Erhaltungsgebieten muss nun ja vom Bezirk genehmigt werden. Mit welcher Begründung können Sie das verweigern?
Mit den städtebaulichen Gründen, mit denen wir auch die soziale Erhaltungsverordnung ins Leben gerufen haben. Wir wollen mit diesem Instrument einen Beitrag dazu leisten, dass es keine Entmischung der Wohnbevölkerung gibt. Wir können Verdrängung zwar nicht stoppen, aber wir können sie verlangsamen.
Wenn der Eigentümer aber sagt, dass er innerhalb von sieben Jahren nur an die Mieter verkauft, müssen Sie genehmigen.
Das ist die Ausnahmeregelung, ja. Ebenso wenn die Verweigerung zu wirtschaftlicher Unzumutbarkeit führt oder das Grundstück vererbt wird und zu Teileigentum für die Erben führt.
Umwandlungsverordnung: Mit der Verordnung, die der Senat am Dienstag beschloss, können die Bezirke die Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen untersagen. Voraussetzung ist, dass das Haus in einem Quartier mit Erhaltungssatzung liegt. Bislang gibt es davon 21, vor allem in Pankow, Friedrichshain-Kreuzberg und Tempelhof-Schöneberg. Weitere Gebiete sollen folgen.
Mietpreisbremse: Die am Donnerstag vom Bundestag beschlossene Mietpreisbremse soll bis Mai in Kraft treten. Sie wird in ganz Berlin gelten und soll die Mieterhöhungen bei Wiedervermietung auf maximal 10 Prozent deckeln. Ausnahme sind Neubauten.
Vorverkauf: In Gebieten mit Erhaltungssatzung kann der Bezirk ein Vorverkaufsrecht wahrnehmen, wenn die soziale Entmischung droht. Der Eigentümer kann dem zuvorkommen, indem er mit dem Bezirk eine Abwendungsvereinbarung unterzeichnet, in dem er sich verpflichtet, die Ziele des Milieuschutzes umzusetzen. Im Fall der Großgörschenstraße wäre das ein Verzicht auf Luxusmodernisierung und Umwandlung. (wera)
Eines der großen Themen in Ihrem Bezirk ist der Verkauf der Großgörschen- und Katzlerstraße durch die bundeseigene Bima an einen privaten Käufer. Im Februar hat der Haushaltsausschuss des Bundestags dafür grünes Licht gegeben. Kein Happy End.
Nein, überhaupt kein Happy End. Im Gegenteil. Das ist super ärgerlich, weil die Mieterinnen und Mieter der Großgörschen- und Katzlerstraße diejenigen waren, die Bima-Wohnungen in Berlin als Thema auf die politische Bühne gehoben haben. Sie haben auch dazu beigetragen, dass es die Paketlösung gibt, mit der der Senat 4.660 Wohnungen von der Bima kauft. Dass es nun ausgerechnet sie sind, die nicht im Paket sind, das ist schon ziemlich bitter.
Nun haben Sie eine Frist, innerhalb deren sie als Bezirk entscheiden können, ein Vorkaufsrecht wahrzunehmen. Wollen Sie denn?
Ja, das wollen wir.
Wie läuft dieses Verfahren konkret?
Das heißt, dass wir das Negativzeugnis, das der Eigentümer bei uns beantragt, nicht erteilen.
Das Negativzeugnis bedeutet, dass der Bezirk keine Bedenken gegen den Verkauf hat.
Genau. Wir wollen den neuen Eigentümer auf die Ziele verpflichten, die es im sozialen Erhaltungsgebiet gibt, zu dem ja die ehemaligen Bima-Häuser gehören.
Das ist die sogenannte Abwendungsvereinbarung, mit der der Eigentümer Ihr Vorkaufsrecht abwenden kann.
So ist es. Er muss in einem solchen Dokument versichern, dass er keine Luxusmodernisierung und keine Umwandlung vornimmt. Wenn das so ist, werden wir das auch unterzeichnen. Man muss dazu aber wissen, dass das nur eine Gültigkeit von zehn Jahren hat.
Was, wenn er dazu nicht bereit ist?
Dann müssen wir in der Lage sein, juristisch und finanziell das Vorkaufsrecht auszuüben. Das wollen wir tun.
Hat sich der Eigentümer bereits dazu geäußert?
Nein.
Es wurde ja kritisiert, dass das Verkehrswertgutachten, dass die Bima erstellt hat, mit 7,1 Millionen Euro viel zu hoch angesetzt war. Zumal in einem Gebiet, in dem nun auch eine Umwandlung nicht mehr ohne weiteres möglich ist. Haben Sie als Bezirk da auch ein eigenes Gutachten in Auftrag gegeben?
Ich kenne das Verkehrswertgutachten der Bima bis heute nicht. Übrigens auch nicht die Abgeordneten, die im Haushaltsausschuss des Bundestages sitzen. Das ist schon ein tolles Ding. Aber natürlich ist eine Voraussetzung für die Ausübung des Vorkaufsrechtes die, dass es ein eigenes Verkehrswertgutachten gibt.
Das liegt bei Ihnen in der Schublade.
Ja.
Mit welchem Ergebnis? Waren die 7,1 Millionen wirklich zu teuer?
Dazu möchte ich beim jetzigen Stand des Verfahrens nichts sagen.
Falls es nicht zu dieser Vereinbarung mit den Eigentümern kommt, müssen Sie innerhalb von acht Wochen den ganzen Verkauf stemmen. Nun hat der Bezirk dafür aber kein Geld. Sind Sie da in Gesprächen mit dem Senat und den Wohnungsbaugesellschaften?
Wir sind als Bezirk mit allen relevanten Stellen in einem guten Kontakt. Es ist auch kein Geheimnis, dass die Wohnungsbaugesellschaft, die ja selbst im Bieterverfahren den Finger gehoben hat …
die Gewobag
… dass es mit denen auch Gespräche gibt.
Das wäre ja ein Präzedenzfall.
So ist es.
Kommen wir zum Neubau. Mittlerweile ist es so, dass jedes Neubauvorhaben zu Protesten führt. Am Mauerpark hat Bausenator Geisel nun die Reißleine gezogen und das Verfahren an sich gezogen. Damit wird auch einem Bürgerbegehren die Grundlage entzogen. Ein unfreundlicher Akt des Senats gegenüber den Bezirken?
Das muss ich schon aus bezirklicher Sicht kritisieren. Bei der Bewertung des konkreten Falls will ich mich zurückhalten, weil ich da zu wenig drinstecke. Grundsätzlich ist es aber ein Problem, wenn es bei Bauvorhaben lange Aushandlungsprozesse gibt, die zu einem Kompromiss führen, dieser dann aber zum Schluss von einer Partei wieder grundsätzlich in Frage gestellt wird. Wir werden beim Thema Neubau immer wieder diese Kompromisse schließen müssen.
Auch der Gleisdreieckpark ist fertiggestellt. Können Sie schon sagen, inwieweit er auch zur Aufwertung und Verdrängung beigetragen hat?
Wenn eine Gegend mehr Grün bekommt, mehr Freiräume, mehr Spielplätze, ist das natürlich auch eine Verbesserung der Wohngegend. Ich kann aber nicht sagen, wie viel an Aufwertung der Gegend auf den Park zurückzuführen ist. Aber was sagt das auch aus? Dass wir keine Grünflächen und Spielplätze mehr machen sollen?
In der Pohlstraße, war neulich aus dem Quartiersrat zu hören, seien viele türkische und arabische Namen von den Klingelschildern verschwunden.
Das jetzt allein auf den Park zurückführen zu wollen, ist aber reichlich unterkomplex. Die Verdrängung hat mit vielen Faktoren zu tun.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Exklusiv: RAF-Verdächtiger Garweg
Meldung aus dem Untergrund
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Wirbel um KI von Apple
BBC kritisiert „Apple Intelligence“
Russische Männer auf TikTok
Bloß nicht zum Vorbild nehmen
Streit um Russland in der AfD
Chrupalla hat Ärger wegen Anti-Nato-Aussagen
Umgang mit nervigen Bannern
Bundesrat billigt neue Regeln für Cookies