Vorschau auf Festival Pop-Kultur Berlin: Schützt Theatersäle und Popkultur!
Gut in Form und endlich angenommen von der Hauptstadt: Am Mitttwoch startet das Pop-Kultur-Festival in der Berliner Kulturbrauerei.
Jetzt haben wir gar nicht über BDS geredet, merkt Kuratorin Katja Lucker am Ende des Gesprächs an. Gut so – die Lobby, die nicht zwischen Juden und Israelis unterscheiden kann, erhält ohnehin zu viel mediale Aufmerksamkeit. Ganz besonders im Rahmen des Berliner Pop-Kultur-Festivals.
Wie im letzten Jahr sagte auch diesmal wieder einer der prominentesten Acts auf Betreiben von BDS sein Konzert ab, begründet mit der Reiseförderung, die die israelische Botschaft, genau wie andere logistische Partner, dem Festival zukommen lässt. Muss man darum also wieder davon sprechen, dass ein ebenfalls zunehmend notorisch rechtsoffener Experimental-Synthiepop-Künstler John Maus nicht spielen wird? Man sollte besser davon erzählen, wie ein Festival, dass sich zu Beginn, geschaffen als Ersatz für die irrelevant gewordene Berlin Music Week, noch wie eine Leistungsschau der mittelständischen Musikindustrie anfühlte, innerhalb weniger Jahre zur Institution wurde, die Diversität und Integration augenscheinlich ernster nimmt als die Festival-Konkurrenz?
Zynisch könnte man sagen: Es waren gerade die Attacken seitens des Bündnisses für den Boykott Israels und die breite Solidaritätswelle, die das Festival in der Berliner Stadtkultur und darüber hinaus verankerte. 2016, bei der zweiten Ausgabe in Neukölln, gab es noch ein lokales Gegenfestival und Gentrifizierungskritik – nun lädt „Pop-Kultur“ eher umgekehrt die Szene in den Prenzlauer Berg, wie im letzten Jahr in die subkulturell abgefrühstückte Kulturbrauerei, die hier aber mit ihren unterschiedlichen Locations von Halle zu Kinosaal zu Innenhof genau der richtige Ort ist, ein Festival mit einer solchen Vielschichtigkeit zu beherbergen.
Verzicht auf allzu offensichtliche Headliner
Es scheint: Das Pop-Kultur-Festival findet seine Form. Dies bezieht sich nicht nur auf Inhalte – die Künstler*innen – , sondern auch aufs Gesamtpaket: „Wie können sich Menschen, die eine Beeinträchtigung haben, bei uns wohlfühlen? Wie bindet man sie ein? Da schauen wir noch genauer hin“, erklärt Katja Lucker.
Sie berichtet von Neuerungen wie einer in die Planung fest eingebundenen Diversity-Managerin, der weitgehenden Barrierefreiheit des Geländes und Gebärdendolmetischer*innen, die nicht nur Panels und Lesungen, sondern auch manche Konzerte simultan übersetzen. Und davon, dass Themen, die vor allem Außenseiter der Szene betreffen, Kollektive wie Jonny Knüppel etwa, die unter der zunehmenden Raumnot der Off-Kultur leiden, im für Popkulturverhältnisse üppig geförderten Programm Platz finden.
Festival Pop-Kultur: Vom 15. bis 17. August "Kulturbrauerei" Berlin
Für die Bühne hat das zwei Folgen: Klotzte das Festival in seinen Anfängen noch mit internationalen Stars, die kaum Bezug zu Berlin hatten und dem Festival zwar Glanz, aber auch ein Flair von Beliebigkeit verliehen, verzichtet es 2018 auf allzu offensichtliche Headliner – zugunsten von lokalen Acts, Newcomern, Übersehenen und vor allem solchen Akteur*innen, die an gläserne Decken stoßen: „Ich finde es spannend, wenn ältere Menschen erzählen, was das Pop-Geschäft bedeutet und was es bedeutet, ein 81-jähriger Künstler zu sein, darin, wie Irmin Schmidt von Can.“ Oder Lydia Lunch.
Keine Feigenblatt-Themen
Oder der Schwerpunkt „Pop-Hayat“, kuratiert von Yeşim Duman, der sich im Spannungsfeld von Feminismus, Queerness und Postmigration bewegt. Lucker: „Wir machen keine Feigenblatt-Geschichten. Wir denken nicht: Wir müssen noch was zur Inklusion machen, sondern denken uns neue Wege aus, das einzubringen. Ich bin Feministin, ich will, dass diese Sachen da stattfinden.“ Angst, dass ein Festival, das so offenkundig Konzept ist, zu sehr als Kuratoren-Event wahrgenommen wird, hat das verantwortliche Team, zu dem neben Katja Lucker auch Christian Morin und Martin Hossbach gehören, trotzdem nicht: „Wir sind natürlich nicht Rock am Ring, aber das ist auch nicht unser Anspruch.“
Entsprechend im Mittelpunkt stehen diesmal zum zweiten Mal Auftragsarbeiten, bei denen die Künstler*innen in Zusammenarbeit mit dem Festival Themen und Konzepte umsetzen, exklusiv und solide budgetiert. Das macht das Festival nicht nur zum Vorreiter auf diesem Gebiet, sondern verfolgt auch ein politisches Programm: „Wir wollen popkulturelle Themen auf die Ebene hieven, wo die Hochkultur steht. Niemand würde auf die Idee kommen, ein Opernhaus wegzugentrifizieren. Aber Clubkultur wird ohne Not bedroht. Den Schutz, den ein Theater hat, aus Tradition und weil es Gesellschaft verhandelt, den wollen wir einfordern, indem wir unser Festival mit inhaltlicher Arbeit und intellektueller Auseinandersetzung füllen.“
Andreas Spechtl von Ja, Panik wird, gemeinsam mit anderen Musiker*innen aus der Berliner Szene, ein Stück mit dem inklusiven Theater RambaZamba entwickeln. Die allerorten gefeierte Hamburger Künstlerin Sophia Kennedy bringt die Performance „Sky Blue Cowgirl“ als Hommage an David Lynch zur Aufführung. US-Techno-Produzentin Karen Gwyer wird den Keller der Kulturbrauerei jeweils um Mitternacht neu performativ beleben. Und der Houseproduzent Henrik Schwarz spielt gemeinsam mit einem Streicherquartett einen Rip-off-Reigen von bedeutenden Streichquartetten der Musikgeschichte: „Plunderphonia“.
Gothic-Pop und Proto-HipHop
Jenseits der Auftragsarbeiten darf man sich auf Highlights freuen wie die jungen Bands Die Nerven und International Music, auf den Goth von Anna von Hauswolff und Myrkur. Auf den ersten Deutschland-Auftritt der Spokenword- und Proto-HipHop-Gruppe The Last Poets, die sich 1968 in Harlem im Umfeld der Bürgerrechtsbewegung gründeten. Natürlich auf die britische Dub-Punk-Legende Vivien Goldman und auf die nicht weniger legendäre Jazz-HipHop-Sängerin Neneh Cherry.
Und: Natürlich wurde dann doch noch über den BDS geredet. Und darüber, in welchem gesellschaftlichen Klima das Festival in diesem Jahr stattfindet. „In Zeiten von globalem Isolationismus, von erstarkenden autoritären Bewegungen, Fake News & Co setzen wir auf das genaue Gegenteil: Kollektive, Narrative, Partizipation!“, schrieben die Kuratoren im Grußwort zum letzten Festival. Besser geworden ist seitdem nichts. „Ich sprach neulich mit Menschen, die ich aus dem Nachtleben kenne, die mich dafür beschimpften, dass ich auf einer Demo für Seerettung war. Früher konnten wir uns auf alles einigen. Heute gibt es diese Klarheiten nicht mehr.“
Es sind merkwürdige Zeiten, wenn die veranstaltende Popbehörde, das Musicboard Berlin, noch einer der stabilsten Anker einer linken Subkultur ist, die sich zunehmend ihrer selbst unsicher wird. Vielleicht macht das Festival in diesem Jahr aus dieser Zeit noch das Beste.
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