Vom Schützling zum Schädling: Feindbild Biber
Er untergräbt Deiche und fällt Bäume. Der Biber richtet enorme Schäden an, sagen die Landwirte. Naturschützer halten das für Propaganda. Ein Besuch im Oderbruch.
LETSCHIN / WRIEZEN / SEELOW / FRANKFURT-ODER taz | Am Flussufer steht ein Mann, der ein Stück gesplittertes Holz in den Hand hält. Er blickt auf, sortiert seine Gedanken. Die Sonne ist durch die Wolken gekommen; Licht und Schatten wechseln über dem saftgrünen Land.
Da ist sie, die Stelle, die Mario Forner zeigen will. Der Vorsitzende des Vereins „Wir im Oderbruch“ deutet auf die Pappeln am Wasser. Die Borke ist abgenagt; große Stücke sind aus dem Stamm gebrochen. Der Boden liegt voller Splitter. „Sehen Sie das?“, sagt er, „alles Biberschäden.“
Erst in den 80er Jahren ist der Biber in der Region wieder angesiedelt worden. Lange merkten die Menschen nicht viel davon. Dann fingen die Tiere an, sich zu vermehren. Inzwischen sollen 2.800 Biber in Brandenburg leben, 750 davon im Oderbruch. „Wir denken, es sind mehr“, sagt Forner.
Er tritt noch einen Schritt näher ans Wasser. Libellenflügel knistern. Aus dem hohen Gras steigen die knarzigen Rufe der Frösche.
Mögliche Bruchstellen
Das Oderbruch ist vor rund 250 Jahren trockengelegt worden. Aus sumpfigen Auen entstand fruchtbares Bauernland. Ein komplexes System aus Drainagen, Entwässerungsgräben und Schöpfwerken ist nötig, damit sich der Fluss das Land nicht zurückholt.
Und nun sehen die Anwohner, wie sich der Biber in der Region zu schaffen macht. Wie er das Wasser staut und sich in die Deiche gräbt, die der Mensch zu seinem Schutz errichtet hat. „Wenn da jetzt so Riesenlöcher drin sind“, sagt Forner, „haben wir beim nächsten Hochwasser eine potenzielle Bruchstelle.“
Rund 40 Kilometer flussaufwärts stemmt sich Gernot Preschel aus seinem VW-Passat. Der BUND-Mitarbeiter streitet nicht ab, dass der Biber Schaden macht. Doch das allein reiche nicht, um den Zorn der Leute im Oderbruch zu erklären. „Es gibt viel Unwissenheit“, sagt er, „und es gibt Meinungsmache.“ Bauernvertreter und die Lokalpresse schürten die Ängste gezielt.
Preschel stapft in Richtung der Hänge, die sich gleich hinter Frankfurt an der Oder erstrecken. Es hat aufgehört zu regnen; dicke Tropfen fallen von den Blättern auf den feuchtbraunen Boden. Nach einer Weile hält er inne. Auch hier kahle Äste, totes Holz, angespitzte Baumstümpfe. Gernot Preschel aber sieht bereits vor sich, wie diese Stelle in 10 Jahren aussehen wird. Wo vor Kurzem Bäume ihre Schatten warfen, fällt wieder Licht auf die Erde. Neue Pflanzen beginnen zu wachsen, neue Tiere siedeln sich an. „Der Biber ist ein Besiedlungspionier“, sagt er, „er schafft neuen Lebensraum.“
Wieviel Wildnis lassen wir zu?
Der Nager zählt zu den streng geschützten Arten. Es ist verboten, ihn zu fangen oder zu töten.
Also wächst die Zahl der Tiere, zugleich gärt die Wut. Es kommt ja oft zu solchen Konflikten, wenn Arten sich ausbreiten, die lange verschwunden waren, wie beim Wolf, dem Kormoran oder eben dem Biber. Und so spitzt sich im Oderbruch ein Streit zu, bei dem es nicht nur um ein paar Nager geht, sondern um grundsätzliche Fragen: Wie viel Wildnis wollen wir? Wer bestimmt, wie die Natur auszusehen hat? Und was, wenn sich geschützte Arten als Plage erweisen?
Die Frau, die sich bestens auskennt mit Biberschutz und Biberschäden, sitzt in einem engen Büro nahe dem Örtchen Wriezen. Antje Reetz ist seit 2009 als Bibermanagerin beim Gewässer- und Deichverband Oderbruch (Gedo) angestellt. „Das Problem ist, dass man die Leute hier nicht mitgenommen hat“, meint sie. „Dann war der Biber da und wurde gleich zum Feindbild. “
Wie stark sich die Tiere vermehren, ist umstritten. Doch Antje Reetz kann in Zahlen fassen, wie sie sich bemerkbar machen: 2007 musste der Gedo 17.300 Euro ausgeben, um Biberschäden zu beseitigen. 2011 waren es 114.000.
Schädliche Monokulturen
Die junge Ingenieurin steht zwischen den Fronten. „Das sind ganz tolle Tiere“, sagt sie. Allerdings kann sie auch die Anwohner verstehen. Der Biber hat Äcker überflutet, Straßen unterhöhlt, Obstbäume geschreddert und das Wasser aus Fischteichen ablaufen lassen.
Antje Reetz zögert, dann sagt sie: „Ich würde fast sagen, dass der Bestand schon zu groß ist.“ Naturschützer argumentieren, dass niemand eingreifen muss, weil sich die Population selbst reguliert. Doch das will die Ingenieurin so nicht stehen lassen.
Seit einigen Jahren breiten sich Monokulturen im Oderbruch aus. Immer mehr Landwirte pflanzen Mais, als Biomasse für die Biogasanlagen, die ganz in der Nähe entstanden sind. Das bedeutet, dass die Biber praktisch immer etwas zu fressen haben, und zwar in schier unbegrenzten Mengen.
So, wie Antje Reetz es sieht, müssen sich Land und Kreis dringend auf ein Konzept einigen. „Jetzt“, sagt sie, „ist es schon so schlimm, dass kaum noch irgendwer bereit ist, den Biber zu akzeptieren.“ Sie bemerkt nun häufiger, dass Biberdämme einfach weg sind – illegal eingerissen. Selbst an Stellen, wo die Tiere niemanden stören dürften.
Gutes Hundefutter
„Der Biber“, sagt Bauer Scherhag, „gehört in die Mangrovenwälder am Amazonas, aber nicht hierhin.“ Scherhags Hof liegt an einer Landstraße gleich hinter dem Ortsausgang des Ortes Letschin. Der Landwirt schlendert aus der Scheune hinüber in sein Haus, ein hochgewachsener Mann von 63 Jahren in grünen Arbeitshosen. Er lässt sich tief in einen Sessel sinken. Scherhag stammt aus Koblenz. Den Hof und die 1.500 Hektar dazu hat er nach der Wende gekauft.
Jetzt haben ihm die Biber schon zwei Winter in Folge Teile seiner Felder unter Wasser gesetzt. Auf knapp 50 Hektar konnte er deswegen nichts anbauen. Einmal fuhr er mit seiner Sämaschine entlang eines Entwässerungsgrabens, da sackte der Boden unter ihm weg. Die Biber hatten sich in die Böschung gewühlt. Die Maschine war verzogen und musste zur Reparatur.
„Die Leute werden sich jetzt wehren, weil es einfach nicht mehr geht“, sagt er. Was er meint? Scherhag macht vielsagende Augen. „Die Leute sagen: Der Biber ist gut als Hundefutter. Und wenn die Leute das sagen, werden sie es wohl wissen.“
Dem Landwirt ist es ein Rätsel, wieso die Biber überhaupt wieder im Oderbruch heimisch gemacht worden sind. Wer eine Weile in der Region unterwegs ist, spürt, dass der Biberstreit vor allem Stadt und Land spaltet. Die Menschen wollen sich nicht mit den Folgen einer schönen Idee herumschlagen, die sich Naturschützer und Umweltpolitiker ausgedacht haben. „Die Leute, die das befürworten“, sagt Bauer Scherhag in seinem gemächlichen rheinischen Singsang, „die wohnen nicht hier.“
Meinungsmache, Panikmache
Professor Matthias, Präsident des Landesumweltamts in Potsdam, gerät leicht in Fahrt, wenn es um die Einwände der Bibergegner geht. Er hält es für ausgeschlossen, dass der Biber die Sicherheit der Deiche gefährde. „Das ist Propaganda“, ruft er. „Das haben die Landwirte gut hingekriegt.“
Seit Jahren schon fordern die Bauern Entschädigungen. „Die wird es nicht geben. Warum auch“, sagt der Biologe. „So ist die Natur.“ Das Land hat an kritischen Stellen Gittermatten in die Deiche eingelassen, damit der Biber dort nicht mehr graben kann. Ansonsten könne das Land nichts tun. „Man kann mit den Bibern leben“, sagt Freude, „das musst du nur erst mal lernen.“
Schussgenehmigung im Einzelfall
Die Leute im Oderbruch sind fassungslos, wenn sie solche Sätze hören. In Seelow bricht der Mittag an; milchiges Licht fällt über rote Giebeldächer und halbleere Parkplätze. Landrat Gernot Schmidt (SPD) eilt in sein Büro und setzt sich an den Konferenztisch, der einen Teil des Raumes füllt. Der Kreis Märkisch-Oderland hat fünf Biber zum Abschuss freigegeben.
Das ist rechtlich möglich. Allerdings ist für jeden einzelnen ein aufwendiges Genehmigungsverfahren nötig. „Das ist der Grundkonflikt“, sagt Schmidt, „dass dieses bürokratische Prozedere der Masse der Biber nicht mehr standhält.“
Der Landrat fühlt sich von der Landesregierung im Stich gelassen. Er hat schon oft gesagt, dass Tabuzonen nötig sind, vor allem nahe den Deichen, in denen der Biber grundsätzlich gejagt werden kann. Doch das Land reagiert nicht auf seine Vorschläge. „Wir können das Problem nicht lösen“, sagt Schmidt. „Wir haben alle Möglichkeiten ausgeschöpft.“
Mario Forner von der Initiative „Wir im Oderbruch“ hält seinen SUV in einer stillen Wohnsiedlung nahe Letschin. Er hat Fotos von Biberschäden in einer Klarsichthülle hervorgezogen und sich mit Argumenten gewappnet. „Wissen Sie“, sagt er, „wir leben hier mit der Natur, schon immer, aber irgendwo muss doch mal eine Grenze sein, wenn die Existenz des Menschen gefährdet ist.“
Verschwörungstheorien
Forner ist ein ruhiger Mann, der Biogasanlagen plant und betreut. Doch für ihn ist klar, dass etwas getan werden muss. Er steigt aus und geht auf einen Laternenpfosten zu, an dem ein Poster hängt. Ein Biber ist zu sehen, rot durchgestrichen, darüber steht: „Hochwasserschutz vor Artenschutz“.
Vor drei Jahren ist sein Verein auf die Idee mit den Plakaten gekommen. Die Gemeinde Letschin war dagegen. Anwohner hätten sie trotzdem aufgehängt, sagt Forner.
Andere Ursachen?
Im Oderbruch ist es so wie in vielen ländlichen Gegenden Ostdeutschlands. Die jungen Leute wandern ab, die Strukturen zerfallen. Jetzt kommen die wilden Tiere zurück. „Immer ein bisschen mehr, immer ein bisschen mehr“, sagt Forner. Inzwischen glaubt er die Gerüchte, die in der Region umgehen. Dass es in Potsdam einen Plan gibt, die Region untergehen zu lassen. „Die wollen, dass das Oderbruch vollläuft“, sagt er. „Es ist ja ein teurer Spaß, das alles zu unterhalten.“
Gernot Preschel hebt sein Fernglas und späht zum Ufer gegenüber. Eingänge zu Biberbauen zeichnen sich an der Böschung ab. Der BUND-Mitarbeiter ist ab und an im Oderbruch unterwegs, legt Schutzmanschetten um Baumstämme oder organisiert Biberwanderungen.
„Wir versuchen uns immer wieder einzumischen.“ Preschel lächelt matt. Längst nicht an jedem überschwemmten Acker sei der Biber schuld. Oft sind auch Drainagen schlecht gewartet, Gräben versandet oder Schöpfwerke angeschaltet. „Der Mensch braucht einen Sündenbock“, sagt er. Dann kehrt er um; es ist spät geworden. Ringsum versickert das Licht im Blattwerk der Büsche. Dies ist eigentlich die Zeit, in der Biber aktiv werden. An diesem Abend aber nicht; im Gras am Ufer bleibt alles still.
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