Volksabstimmung in der Schweiz: Topverdiener werden nervös
Die Initiative „1:12“ kämpft für gerechtere Löhne. Manager sollen pro Monat nur so viel verdienen wie ihre am schlechtesten bezahlten Mitarbeiter im Jahr.
GENF taz | Chefmanager von Schweizer Großkonzernen drohen mit dem Wegzug ihrer Unternehmen aus der Schweiz. Damit wollen sie eine gerechtere Einkommensverteilung verhindern. In der Schweiz verdienen Manager heute im Durchschnitt 93-mal so viel wie die am schlechtesten bezahlten MitarbeiterInnen ihrer Unternehmen. „Es gibt genügend Länder, die uns gerne aufnehmen würden“, erklärte etwa Ivan Glasenberg, Chef des Rohstoffhändlers Glencore, in einem Interview.
Ähnliche Äußerungen sind aus der Führungsetage des weltgrößten Nahrungsmittelkonzerns Nestlé und anderer Multis mit Stammsitz in der Schweiz zu vernehmen. Grund für die wachsende Nervosität unter den Schweizer Topverdienern ist die wachsende Unterstützung in der Bevölkerung für die „1:12-Initiative für gerechte Löhne“.
Die ursprünglich von den eidgenössischen Jungsozialisten lancierte Initiative fordert eine Verfassungsbestimmung, wonach künftig kein Unternehmenschef pro Monat mehr Gehalt, Bonizahlungen, Aktienanteile oder andere geldwerte Leistungen erhalten soll, als seinE MitarbeiterIn mit dem niedrigsten Lohn pro Jahr erhält.
Die inzwischen auch von den Sozialdemokraten, den Grünen und dem Gewerkschaftsbund unterstützte Initiative kommt am 24. November zur Abstimmung vor das Volk. Die dafür erforderlichen 100.000 Unterschriften hatten die InitiatorInnen in Rekordzeit gesammelt. Und dies, obwohl die Schweizer Regierung (der Bundesrat) und die beiden Parlamentskammern (Nationalrat und Ständerat) sich mit der Mehrheit der drei bürgerlichen Mitteparteien CVP, FDP und BDP sowie der rechtspopulistischen SVP auf ein Nein zu der „1:12-Initiative“ festgelegt haben.
Abzockerinitiative gegen Einkommensexzesse
Aufwind erhielt die Initiative durch die fast 70-prozentige Zustimmung zur sogenannten Abzockerinitiative, mit der die Eidgenossen Anfang März ein in Europa bislang einmalig deutliches Zeichen gegen die Einkommensexzesse bei Führungskadern von Unternehmen gesetzt hatten. Künftig können die Gehälter und Bonuszahlungen für die Manager der 271 börsennotierten Firmen in der Schweiz von den Aktionärsversammlungen jährlich neu festgelegt und begrenzt werden.
Anwerbe-, Entschädigungs- oder Konkurrenzausschlusszahlungen für Manager sind verboten. Auch die „Abzockerinitiative“ hatten die vier Mehrheitsparteien in Parlament und Regierung abgelehnt und gemeinsam mit dem Wirtschaftsdachverband „Economiesuisse“ mit einer millionenschweren Kampagne bekämpft.
Auch die Tatsache, dass die von zahlreichen Basisgruppen und den Grünen lancierte „Volksinitiative für ein bedingungsloses Grundeinkommen“ bereits letzte Woche, und damit bereits fünf Monate vor Ablauf der Sammelfrist am 4. Oktober, die erforderlichen 100.000 Unterschriften für eine Abstimmung beisammen hatte, ist ein Indiz für die Stimmung in der Bevölkerung.
Mindestlohn von 3300 Euro gefordert
Auf Zustimmung auch von einzelnen PolitikerInnen der bürgerlichen Mehrheitsparteien stößt auch die vom Gewerkschaftsbund lancierte Volksinitiative zur Einführung eines flächendeckenden Mindestlohns von 4.000 Franken (das sind etwa 3.300 Euro). Angenommen, diese Volksinitiative und die „1:12-Initiative“ würden vom Volk angenommen, betrüge der Jahresmindestlohn in der Schweiz künftig 48.000 Franken und das Mindestgehalt für die Topmanager 576.000 Franken.
Die Gegner der „1:12-Initiative“ behaupten, eine derartige Begrenzung würde „ausländische Investoren abschrecken“ und die „Stabilität der Schweizer Wirtschaft gefährden“. Die Befürworter halten die Fakten aus den 80er Jahren dagegen: damals war die Schweizer Wirtschaft sehr stabil. Die Spreizung zwischen höchsten Einkünften und niedrigstem Lohn im Lande betrug nicht 93:1 wie heute, sondern 13:1.
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