Völkermordprozess in Guatemala: „Immer wieder Drohungen“
Die Berlinerin Stella Thuns schickt Freiwillige nach Guatemala. Sie sollen dort Zeugen im Prozess gegen das ehemalige Militärregime beschützen.
taz: Frau Thuns, ihre Organisation CAREA e.V. schickt seit 2004 Freiwillige nach Guatemala. Sie leben dort bei Zeugen im Genozidprozess gegen die frühere Militärregierung. Warum?
Stella Thuns: Zur Abschreckung gegen Angriffe auf die Zeugen. Wenn westliche Ausländer vor Ort sind und im Zweifelsfall die Öffentlichkeit informieren, dann treibt das die Kosten für politisch motivierte Gewalt in die Höhe. Die Idee stammt von den Zeugen selbst: Als 2001 die ersten Klagen eingereicht wurden, gab es Drohungen. Sie wandten sich an internationale Menschenrechtsorganisationen und baten darum, ihnen internationale Begleiter zur Seite zu stellen.
Hat das funktioniert?
Gegen die Zeugen gab und gibt es immer wieder Drohungen. Getötet wurde aber keiner.
Und ist den Begleitern je etwas zugestoßen?
Nein.
Der Konflikt zwischen Guerilleros, Regierungstruppen und Paramilitärs in Guatemala war der längste Bürgerkrieg Lateinamerikas. Von 1960 bis 1996 dauerte er an und kostete 200.000 Menschen das Leben.
In den ländlichen Regionen Guatemalas hatten bis in 1950er Jahre feudalistische Zustände geherrscht. Von der Befreiungstheologie inspirierte Geistliche politisierten die verarmte, indigene Landbevölkerung. Ab Anfang der 1960er Jahre bildeten sich vier Guerillagruppen.
Die Armeeführung unter Montt verfolgte eine Strategie der "verbrannten Erde" und griff die indigene Zivilbevölkerung an. Einer der Verantwortlichen, Ex-Diktator Ríos Montt, wurde am Freitag in einer historischen Entscheidung zu 80 Jahren Haft verurteilt. (cja)
Stella Thuns, 31, ist Vorstandsmitglied des Vereins CAREA e.V. in Berlin.
Wie viele Freiwillige habe sie nach Guatemala geschickt?
Die Begleiter kommen aus zehn verschiedenen Ländern, insgesamt waren es bisher rund 400. Von CAREA kamen seitdem etwa 20.
Der Prozess gegen Ríos Montt ist seit Freitag vorbei. Der Exdiktator wurde zu 80 Jahren Haft verurteilt. Beenden Sie Ihr Projekt jetzt?
Nein. Erstens stehen noch eine Reihe weiterer Prozesse an. Und zweitens begleiten unsere Freiwilligen auch Gewerkschafter und bedrohte Menschenrechtsaktivisten in Guatemala, denn die leiden dort ebenfalls unter Angriffen und Repression.
Entstehen nicht finanzielle Abhängigkeiten, wenn man über viele Jahre relativ wohlhabende Ausländer zu Familien in bitterarme Gegenden schickt?
Das versuchen wir zu verhindern. Festgelegt ist: Außer den Unkosten für das eigene Essen darf man nichts einbringen. Und trotzdem kommen die Begleiter natürlich in schwierige Situationen, etwa in Notfällen.
Zum Beispiel?
Wenn man bei den Leuten lebt, eine Beziehung zu ihnen aufbaut, und dann hat der Sohn hat eine Verletzung und es ist kein Geld für den Arzt da, wird man natürlich gefragt: Könnt ihr nicht helfen?
Was tun Sie dann?
Es ist schwierig, man kommt in eine Grauzone. Aber man muss dann sagen, man kann das nicht leisten
Wie bewerten Sie das Urteil gegen Ex-Diktator Montt?
Zum ersten Mal wurden die politisch Verantwortlichen für die Kriegsverbrechen von einem Gericht bestraft. Das war lange undenkbar. Es macht große Hoffnung auf eine umfassende Aufarbeitung des Krieges in Guatemala.
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