Unterricht in NRW nicht gewährleistet: Kollektiv versetzt
An einer Dortmunder Schule sollte eine ganze Klasse wegen Unterrichtsausfall sitzen bleiben. Geht nicht, entschied die Bezirksregierung.
DORTMUND taz | Immer wieder hatten sich die Eltern der Klasse 2a über den massiven Unterrichtsausfall beschwert. Die Leitung der Steinhammer-Grundschule in Dortmund reagierte nicht. Stattdessen bekamen 15 von 20 Schülern Mitte Juni einen blauen Brief: Versetzung gefährdet – wegen massiver Leistungsdefizite.
Die Klassenlehrerin der Kinder war im vergangenen Herbst erkrankt, auch die Vertretungslehrerin fiel aus. Erst ab März hatte die Klasse wieder eine feste Lehrerin. Bis dahin war aber schon fast die Hälfte des Unterrichts ausgefallen.
Erst als die Eltern die Presse einschalteten und der Fall an Rhein und Ruhr für Aufregung sorgt, zeichnete sich eine Lösung ab: die Kinder werden versetzt und erhalten nun individuellen Förderunterricht, stellte die Bezirksregierung Arnsberg als zuständige Aufsichtsbehörde fest– und betreibt im Fall der Dortmunder Grundschule freilich noch Ursachenforschung.
„Zu so einem Unterrichtsausfall darf es nicht kommen“, sagt Sprecher Christoph Söbbeler.
Sie sitzen bleiben zu lassen, wäre aber nicht zulässig gewesen: Die Schulleitung der Steinhammer-Grundschule hat offenbar nicht nur Schwierigkeiten, den Unterricht zu organisieren. Die blauen Briefe waren wegen eines Formfehlers nämlich ohnehin unwirksam.
Ein Einzelfall?
„Die Steinhammer-Grundschule ist ein krasser Einzelfall“, sagt Birgit Völxen, Geschäftsstellenleiterin der Landeselternschaft der Grundschulen in Nordrhein-Westfalen. Und auch der Sprecher der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW), Berthold Paschert, bewertet das Geschehen in Dortmund als „sehr besonders“.
Aber auch wenn kollektives Sitzenbleiben in den Grundschulen Nordrhein-Westfalens kein Massenphänomen ist – Unterrichtsausfall sei ein massives Problem, sagen Eltern- und Lehrervertreter.
Es wird nicht besser
Die Lage dürfte dabei eher schlechter als besser werden. Denn das Düsseldorfer Schulministerium will die Mittel für den langfristigen Vertretungsunterricht auf 25 Millionen Euro halbieren. Dieses Geld können Schulen abrufen, um selbst Lehrer für den Vertretungsunterricht anzustellen. Darüber hinaus gibt es in NRW einen Pool mit 4.900 Lehrern für Vertretungsunterricht, davon 900 für Grundschulen.
Die vorgesehene Mittelkürzung beschäftigt heute nun auch den Ausschuss für Schule und Weiterbildung des Landtags. Die Konsolidierungszwänge für den Landeshaushalt erforderten Einsparbeiträge aller Ressorts, stellt Schulministerin Sylvia Löhrmann (Grüne) in einem Bericht an den Ausschuss lapidar fest.
„Schulen werden anfallenden Vertretungsbedarf stärker als bisher mit dem vorhandenen Personal und geeigneten schulorganisatorischen Maßnahmen (z. B. der vorübergehenden Streichung von zusätzlichen Angeboten) zu bewältigen haben“, heißt es dort. Und: „In Einzelfällen kann temporärer Unterrichtsausfall auf Grund der Kürzung nicht ausgeschlossen werden.“
Unterrichtsausfall nimmt zu
Bei den Eltern stößt die Mittelstreichung auf Unverständnis. „Wenn alle Politiker sich einig sind, dass Bildung wichtig ist, und Rot-Grün sagt, man wolle kein Kind zurücklassen: Warum soll dann gekürzt werden?“, fragt Elternvertreterin Völxen. In der Geschäftsstelle meldeten sich jährlich Hunderte von Eltern. „Seit einem halben Jahr nehmen die Anfragen wegen Unterrichtsausfall zu“, sagt Völxen.
Das Schulministerium will sich nicht zu dem Dortmunder Fall äußern. „Wir haben einen Bericht bei der zuständigen Bezirksregierung angefordert“, sagt Ministeriumssprecherin Barbara Löcherbach. Die Kürzungen für Vertretungskräfte und der Fall hätten nichts miteinander zu tun: Die Kürzungen seien noch gar nicht virulent geworden.
Das macht die Aussichten für Schüler, Eltern und Lehrer indes nicht besser. „Das hat eine ganz neue Qualität, was da auf uns zukommt“, sagt auch Paschert. Bei der GEW sammelten sich schon jetzt Meldungen über massiven Unterrichtsausfall.
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