piwik no script img

Türkei erlaubt Kopftuch an Gymnasien„So leben, wie es richtig erscheint“

Die Regierungspartei AKP geriert sich als Kämpferin für die Freiheit und erlaubt die Kopfbedeckung für Schülerinnen. Lehrer-Gewerkschaften sind empört.

Demonstration für das Kopftuch in Istanbul. Bild: dpa

ANKARA afp | Die türkische Regierung hat das Tragen von Kopftüchern in Gymnasien erlaubt. Schülerinnen dürften künftig vom ersten Jahr des Gymnasiums an ein Kopftuch tragen, teilte die islamisch-konservative Regierung unter Ministerpräsident Ahmet Davutoglu am Dienstag mit.

„Wer das Kopftuch tragen will, kann es tragen, wer das nicht will, trägt es nicht“, sagte Davutoglu dem Fernsehsender NTV. „Alle können ihr Leben so leben, wie es ihnen richtig erscheint.“ Die Maßnahme sei Teil der Politik der Regierungspartei AKP, die „Freiheiten“ zu erweitern, sagte Davutoglu.

Seit der Übernahme der Regierung im Jahr 2002 strebt die AKP danach, die Verbote zum Tragen des Kopftuchs in öffentlichen Einrichtungen zu lockern. Die säkulare Opposition im Parlament lehnt die Zulassung des Kopftuchs an Schulen vehement ab, auch mehrere Lehrergewerkschaften äußerten scharfe Kritik. „Die Gesellschaft wird durch die Instrumentalisierung der Religion ins Mittelalter zurückgeworfen“, sagte der Präsident der Gewerkschaft Egitim-Sen, Kamuran Karacan. Er warnte, die neue Maßnahme werde das Land „traumatisieren“.

Davutoglu hingegen verwies darauf, dass die Aufhebung des Kopftuchverbots für Staatsbedienstete im Jahr 2012 keinen Konflikt ausgelöst habe. Seit dem vergangenen Jahr dürfen auch Parlamentarierinnen ein Kopftuch tragen. Das Verbot des symbolträchtigen Kleidungsstücks geht auf die säkularen Reformen des Staatsgründers Mustafa Kemal Atatürk zurück, doch sorgt es in der türkischen Gesellschaft seit langem für Streit. Umfragen zufolge tragen zwei Drittel der Frauen in der Türkei ein Kopftuch.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

8 Kommentare

 / 
  • Es geht um die Mittelschule. Die beginnt nach der Schulreform mit der 5. Klasse. Da sind die Schülerinnen 9 oder 10 Jahre alt, also noch Kinder. Auf kurz oder lang werden die Mädchen auch in der Grundschule Kopftuch tragen. Das ist völlig klar. Die Zeitung SÖZCÜ blickt heute schon mal voraus, wie die Regierung sich die Türkei zur Hundertjahrfeier der Republik vorstellt.

     

    Embryo mit Kopftuch im Mutterleib:

    http://www.haberyolda.com.tr/images/upload/sozcu-turban-manseti.jpg

  • In der Grundschule geht es wohl eher darum, was die Eltern wollen...

    • 8G
      88862 (Profil gelöscht)
      @DerKommentator:

      Im obigen Artikel ist vom Gymnasium die Rede, nicht von der Grundschule. Die meisten türkischen kleinen Mädchen laufen doch sowieso ohne Kopftuch herum. Die Frage scheint etwas mit dem Erwachsenwerden zu tun zu haben.

  • Die Gründe von Herrn Wössner sind nachvollziebar und richtig. Ich persönlich habe in den späten 50er-Jahren meiner Frau oft schöne Kopftüch geschenkt, auch wegen des bei uns oft feuchten Wetters.

     

    Doch das Verbot seit Kemal Atatürk hatte auch sehr gewichtige Gründe. Nur durch staatlich durchgesetzte Verbote war die Freiheit für Frauen durchsetzbar sich von Terror-Zwängen radikaler Männerherrschaft zu befreien.

     

    Das gleiche Grundproblem finden wird auch beim Thema Sterbehilfe wieder. Der Zwang gegen den eigenen Willen weiter dahin vegetieren zu müssen steht gegenüber, möglichen Psycho-Druck der Verwandschaft wegen des Erbes oder wegen der hohen Pflegekosten auszuschließen.

    "Oma. willst Du ewig leben?"

     

    Grundthema also: Schutz vor Zwängen durch die Mitmenschen.

  • 8G
    88862 (Profil gelöscht)

    Wenn sich eine Frau von der Prägung ihrer Kultur her nur richtig angezogen fühlt, wenn sie ein Kopftuch trägt, sollte sie das Recht dazu haben, egal wo und wann. Ich erinnere auch daran, dass im "christlichen" Abendland die Frauen früher jahrhundertelang Kopftuch getragen haben. Das hat sich um Zuge von Demokratisierung, Säkularisierung und Individualisierung geändert. Als Verfechter von Meinungs- und Religionsfreiheit bin ich dafür, dass jede Frau über ihren Kopf selbst bestimmen sollte.

    • @88862 (Profil gelöscht):

      Es geht hier nicht um

      "früher" oder was zu irgendeiner Zeit "jahrhundertelang" war, sondern wir leben im 21. Jahrhundert, wo Sie offensichtlich noch nicht angekommen zun sein scheinen im Ggs. z.B. zu türkischen Gewerkschaftlern:

       

      „Die Gesellschaft wird durch die Instrumentalisierung der Religion ins Mittelalter zurückgeworfen“, sagte der Präsident der Gewerkschaft Egitim-Sen, Kamuran Karacan. Er warnte, die neue Maßnahme werde das Land „traumatisieren“.

      • 8G
        88862 (Profil gelöscht)
        @Eilige Intuition:

        Die freie Wahl zu haben, ein Kopftuch zu tragen oder auch nicht, ich glaube schon, dass das ins 21. Jahrhundert passt ...

        Unterstellen wir mal, dass das Kopftuch etwas Religiöses ist: Was ist denn am Zwang zur Nichtreligiosität besser als am Zwang zur Religiosität?

        Die notwendige Trennung von Staat und Religion - die unserem Jahrhundert gut anstehn würde, auch in Deutschland - sollte sich auf anderen Feldern zeigen!

  • Nichts Neues- Erdogans Türkei ist auf dem Weg zum islamistischen Staat. Die EU sollte nun endlich die notbremse ziehen und die Beitrittsverhandlungen beeenden.