Syrischer Humor im Netz: Satire im Krieg
Die unbewaffnete Opposition in Syrien archiviert Kostbarkeiten im Netz und gibt der Revolution ein etwas anderes Gesicht. Ein erster Überblick.
Ob Helge Schneider seine Finger im Spiel hatte? „Im Namen Gottes, des Barmherzigen!“ Das geht dem jungen Anführer flüssig über die Lippe, gar kein Problem. Beim Rest aber wird es schwierig: Wie heißt der Checkpoint nochmal, den wir befreit haben? Auch die Kameraden sind sich unsicher. Verdammt! Schnitt.
Nicht jeder Islamist ist eben Superkämpfer und Medienprofi, auch, wenn es die Propaganda so will. Diese fünf jungen Männer geben ihr Bestes und müssen über ihre Tollpatschigkeit am Ende selbst lachen. Schließlich hilft ein Pappkarton, auf dem der Text steht.
Empfohlener externer Inhalt
„Nobody's Perfect“ ist ein sehr lustiges Video. Es könnte von Monthy Python sein oder eben auch von Helge Schneider, ist aber keine Satire, sondern echt. Es entstand Anfang des Jahres in Ost-Ghouta bei Damaskus und dokumentiert eine Wirklichkeit im syrischen Krieg, die man sehen muss, um sie glauben zu können. Gefilmt wurde es von einem Medienaktivisten, der auf Seiten der unbewaffneten Revolution steht, aber öfter solche „Gründungsvideos“ dreht. Er bezeichnet sich als säkular.
So ist es üblich, dass jede islamistische Brigade solche „Gründungs“- oder auch Werbevideos von sich auf einschlägigen Websites posted. Die Idee ist, sich kurz vorzustellen und zu erklären, wo man gerade für den Heiligen Krieg kämpft, vielleicht mag ja jemand dazustoßen. Ortsangaben sind also wichtig. Und natürlich will man auch nicht ungesehen sein Leben riskieren. „Nobody's Perfect“ ist eines dieser Märtyrer in Spe-Videos. Es dauert nur 1,49 Minuten und findet sich auch auf Youtube – aber in einer etwas anderen Fassung als von den Protagonisten gedacht. Das wiederum liegt an „Biddayat“.
„Bidayyat“ ist ein Non-Profit-Projekt. Nicht der Islamisten, sondern der Gegenseite, der unbewaffneten Opposition in Syrien. Um zu verstehen, was in Syrien passiert, muss man ins Netz gehen. Die Assad-AnhängerInnen verständigen sich über einschlägige Webseiten, genauso wie die linken AktivistInnen über die ihren. So gut wie die gesamte Gegenöffentlichkeit findet im Netz statt.
Für die demokratischen Assad-GegnerInnen geht es darum, ihre Sichtweise vom Krieg festzuhalten und zu archivieren. Es wird so viel zerstört in Syrien und doch gibt es eine nie zuvor gehabte Kreativität, vor allem seitens junger SyrerInnen, die sich in Fotografien, Zeichnungen, Comics, Animationsfilmen, Kurzfilmen und unzähligen Karrikaturen Bahn bricht. Eine wichtige Website ist „The creative Memory of the Syrian Revolution". Auch auf ihr findet sich „Nobody's perfect“.
„Bidayyat“ nun hat sich zum Ziel gesetzt, junge Filmemacher in Syrien zu unterstützen. Da es unter Assad keine Filmakademie gab und auch keine seriösen Dokumentarfilme im Fernsehen gezeigt wurden und werden, ist das Genre Dokumentar- und Experimentalfilm für die meisten Neuland. „Biddayat“ bietet Trainings und auch ein sechsmonatiges Stipendium an, produziert die Filme von Beirut aus und unterlegt sie mit englischen Untertiteln.
Dabei betonen die Macher, die aus Sicherheitsgründen anonym bleiben müssen, dass sie den Künstlern und Medienaktivisten keinerlei Vorgaben machen, es gibt keine festgelegten Längen oder Kameraeinstellungen. Fernsehtauglichkeit ist also nicht das Ziel, die ästhetische Entscheidung liegt allein bei den Künstlern, man produziert vor allem fürs Netz. Im Moment arbeiten vier Festangestellte im Beiruter Büro. Sie finanzieren sich über internationale Fördergelder.
Satire im Krieg
Immer wieder wird den AktivistInnen von westlichen Medien vorgeworfen, dass sie die islamistische Gewalt auf Seiten der bewaffneten Opposition herunterspielen würden. Dass es sie, also die unbewaffnete Opposition, eigentlich gar nicht gäbe. Und das Assad-Regime ist ohnehin der Ansicht, dass alle seine Gegner Terroristen sind. Assad selbst hat das in seinem jüngsten Interview mit dem Spiegel mehrfach wiederholt.
Empfohlener externer Inhalt
Und so machte in diesem Sommer ein Video Furore, das einen kleinen elfjährigen Jungen zeigt, wie er Kampflieder singt und verspricht, allen seinen Gegnern den Kopf abzusäbeln. Für das Regime und viele westlichen Medien war der Erweis für die Verrohung der Assad-Gegner erbracht. Biddayat reagiert mit einem eigenen Popsong darauf.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Putins Atomdrohungen
Angst auf allen Seiten
Nahost-Konflikt
Alternative Narrative
James Bridle bekommt Preis aberkannt
Boykottieren und boykottiert werden
Krise der Linke
Drei Silberlocken für ein Halleluja
Umweltfolgen des Kriegs in Gaza
Eine Toilettenspülung Wasser pro Tag und Person
Stromversorgung im Krieg
Ukraine will Atomkraft um das Dreifache ausbauen