piwik no script img

Sotschi-Rückblick aus MoskauWir sind ein Siegervolk

Mit den Winterspielen wollte Präsident Wladimir Putin Russland zu neuem Selbstbewusstsein verhelfen. Ob das gelungen ist, wird sich zeigen.

Hurra-Patriotismus. Bild: reuters

MOSKAU taz | Beim Auftakt der Olympischen Spiele wirkte Präsident Wladimir Putin noch etwas verstimmt. Die westliche Kritik an geringfügigen Mängeln im Vorfeld hielt der Kremlchef für ungerecht. Was für ihn und viele Landsleute mehr zählte, dafür hatten die Kritiker zunächst gar keinen Blick: Das Megaprojekt war in kaum sechs Jahren von Grund auf entstanden.

Putin wollte sich und Russland beweisen, dass es wieder zu Großtaten wie zu Sowjetzeiten in der Lage ist. Der sportbegeisterte Präsident habe dem Volk mit dem Projekt wieder Selbstbewusstsein und Stolz einimpfen wollen, sagt der kremlnahe Ideologe Sergei Markow – das sei ihm auch gelungen. Ob das zutrifft und wie lange das anhält, wird sich zeigen.

Die Spiele waren ein phänomenaler Erfolg, darin sind sich fast alle Beteiligten einig. Nach drei Tagen verstummte auch die Kritik. Putin in roter Olympia-Uniform strahlte und konnte nicht oft genug hören, was Thomas Bach, der Präsident des Internationalen Olympischen Komitees, ihm sinngemäß sagte: Alles klappt reibungslos, Beanstandungen gibt es keine.

Darauf hatte Putin hingearbeitet. Erneut bewies er, dass er ein Kenner einfacher Psychologien ist. Und ein Magier, der es versteht, sein Gegenüber für sich einzunehmen. Putins Kalkül ist aufgegangen und die Welt hat sich freiwillig zum Statisten machen lassen.

Geblendet zurückgeschickt

Eine Tradition, die schon den französischen Diplomaten Marc Fournier vor mehr als hundert Jahren erstaunte: Wenn ein Ausländer das Reich besuche, lasse man vor seinen Augen eine gewisse weiße Magie spielen, worauf die Bürokratie sich bestens verstehe, und schicke ihn dann geblendet zurück.

Wie gesagt, vor 150 Jahren. Aus dieser Schule stammt auch der geniale Kommunikator und Eventmanager Putin. Wenn etwas einen Superlativ verdient, dann gebührt dieser der psychologischen Kaderschmiede des KGB.

Auch die russischen Fernsehsender gingen bei der Inszenierung des Präsidenten raffinierter vor als üblich. Obwohl er als Gastgeber, Architekt und Trainer der Nation präsent war, blieb Putin ein Flaneur auf dem eigenen Fest. Überdies vermittelten die Staatssender den Eindruck, das ganze Land sei in Festlaune und auf Medaillenjagd.

Auf den Straßen Moskaus erinnerte jedoch wenig an Olympia, nicht einmal ein Public Viewing für die eishockeybegeisterten Russen war vorgesehen. Die Freude und Begeisterung, die die Fernsehjournalisten an den Tag legten, hatte etwas Künstliches. Auch der überbordende Patriotismus litt an einem falschen Zungenschlag.

Putin, der Autokrat

Authentisch wirkten nur die unbedarften Studiogäste. Wladimir Putin ist ein Medienprojekt, auf das sich die PR-Strategen des Kreml verstehen. Er ist im westlichen Verständnis keine öffentliche Figur. Von seinem Leben dringt nichts nach außen, als Autokrat muss er auch nicht auf Fragen antworten. Das Projekt Putin lässt sich je nach Bedarf mit beliebigen Inhalten auffüllen.

Das Großereignis Sotschi als ein gesamtnationales Freudenfest aufzubereiten stellte die Kreml-Propagandisten vor schwierigere Aufgaben. „Wir sind solche Inszenierungen nicht nur gewohnt, wir erwarten sie“, sagt die 65-jährige Rentnerin Ira Solowjewa. Sie schaute sich wie viele ältere Russinnen vor allem Eiskunstlaufen an. „Manchmal sind wir sogar enttäuscht, wenn das Drehbuch allzu realistisch ist.“ Ein Staatschef zum Anfassen wäre für Russland nichts, sagt sie.

Auf den ersten Blick waren die Winterspiele für den Hausherrn ein voller Erfolg. „Wir sind ein Siegervolk“, hatte Putin den Russen einst zugerufen. Unter seiner Ägide wurde auch die russische Vergangenheit zu einer Geschichte von Siegen und Siegern.

Und nicht nur im Sport will Moskau keine Schwäche zeigen. Wer aufmerksam zuhört, entnimmt dem Eigenlob noch eine andere Botschaft: Wir sind nicht nur zurück als Sportnation, auch sonst sind wir die Größten. Niemand kann uns einholen, meinte ein vom Vaterland überwältigter TV-Kommentator. Er dachte nicht an olympische Distanzen. Russland hat sein Selbstbewusstsein zurückerobert. Zu wünschen ist, dass es bei dieser Eroberung bleibt.

Besiegte haben nichts zu lachen

„Von der Sowjetunion lernen heißt Siegen lernen“, glaubten die Kommunisten einst. Viele wurden eines Besseren belehrt. Siegen bedeutet in Russland mehr, als erfolgreicher zu sein. Der Sieg ist die Garantie, den Besiegten auf seinen Platz zu verweisen, ihn mit dem Makel des Schwächeren zu stigmatisieren. Besiegte haben nichts zu lachen. Zu hoffen ist, dass der unzeitgemäße Hurra-Patriotismus bald Nüchternheit weicht.

Dass sich Siege nicht so einfach organisieren lassen, dürfte auch eine Lehre aus Sotschi sein. So kam der Aufstand in Kiew Moskau sehr ungelegen. Vor kurzem noch hatte Putin als Sieger im Streit um die Ukraine gegolten. Und wer sich gerne mit dem Gold heimischer Olympioniken schmückt, an dem bleiben auch Niederlagen hängen.

Gnadenlos schaltete der unterschätzte finnische Gegner die „Sbornaja“, das russische Eishockeyteam aus, obwohl Putin dessen Sieg vorausgesagt hatte und Gold verlangte. Nach missglücktem Start und der scherzhaften Überlegung des Sportministers, die Spiele wegen ausbleibenden Erfolgs des Gastgebers vorzeitig zu schließen, zog der dann doch noch an allen vorbei. Enttäuschung und Kritik vergessen.

Nur im Sender Echo Moskwy warnte ein Kommentator am Morgen danach vor der Gefahr, sich selbst zu betrügen und zu glauben, beste Sportnation zu sein. Fünfmal Gold von naturalisierten Russen und einmal unverdientes, das patriotische Preisrichter ihrer Eiskunstläuferin zuschusterten, sprechen für sich. Auch beim Doping mit Substanzen, die bislang nicht feststellbar sind, könnten später – wenn niemand mehr hinschaut – noch Unregelmäßigkeiten auftauchen, meinen Beobachter.

Kreml-Propagandist Dmitri Kiseljow war auf Einwände gegen den tatsächlichen Goldbestand am Sonntagabend schon vorbereitet und ließ Athleten mit russischen Namen aus anderen Teams Revue passieren. Dass diese im Ausland aufgewachsen waren, verschwieg er. Noch ein Hinweis für Rückkehrer aus Sotschi: „In Russland genießen jene Reisende eine besondere Wertschätzung, die sich am ausgiebigsten und längsten zum Narren halten lassen“, meinte Marquis Astolphe de Custine, nachdem er im 19. Jahrhundert Russland ein Jahr bereist hatte.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

1 Kommentar