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Sonntaz-Streit„Eitle Autoritätsposen“

Muss sich die Kirche mehr in gesellschaftlichen und politischen Fragen einmischen? Der Theologieprofessor Friedrich Wilhelm Graf findet: Nein.

Kirchentag, ganz klein. Szene im Miniaturwunderland Hamburg. Bild: dpa

Einige Tage vor Beginn des 34. Deutschen Evangelischen Kirchentags in Hamburg hat der baden-württembergische Ministerpräsident Winfried Kretschmann die Bedeutung der Kirchen für das Gemeinwohl hervorgehoben.

In einem Gastbeitrag für den sonntaz-Streit in der taz am wochenende schreibt Kretschmann, Kirche könne gar nicht anders, als politisch zu sein: „Nicht im Sinne einer Partei, sondern als eine von vielen Gemeinschaften in unserer Gesellschaft, die Werte und Solidarität leben sowie Beziehungen und Verbindlichkeit fördern.“ Unser Staat, schreibt Kretschmann, „lebt aus den moralischen und sozialen Qualitäten und Quellen seiner Gesellschaft“.

Der Münchner evangelische Theologe Friedrich Wilhelm Graf weist im sonntaz-Streit auf den „klaren geistlichen Auftrag“ der Kirchen hin und kritisiert Bischöfe und andere Kirchenfunktionäre: Die schrieben sich gern ein allgemeinpolitisches Mandat zu und nähmen fortwährend zu allem Stellung, das aber seien „eitle Autoritätsposen“, die nicht darüber hinwegtäuschen könnten, „dass sie in der demokratischen Öffentlichkeit nur eine Stimme unter vielen anderen sind“.

Unterbrechung des Alltags

Graf schreibt in der sonntaz: „Das geistliche Amt macht keineswegs politisch klüger, kompetenter als andere Rollen in der pluralistischen Gesellschaft.“ Die Kirchen sollten sich darauf konzentrieren, wozu sie da sind: „religiöse Kommunikation zur Sinndeutung der elementaren Krisen endlichen Lebens, verlässliche Riten zur heilsamen Unterbrechung des Alltags, Predigt von einer innerweltlichen Transzendenz des Individuums, die ganz neue Freiheit erschließt“.

Der ehemalige Leipziger Nikolai-Pfarrer Christian Führer, der vor allem in der Wendezeit wegen seines Einsatzes für die Montagsdemos bekannt wurde, schreibt: „Es ist ein zähes Missverständnis, dass man unpolitisch sei, wenn man sich aus allem heraus hält.“ Wer sich nicht einmische, keine Stellung beziehe, zu den Zuständen nichts sage, sei „eminent politisch“, weil er „auf das Kräftigste den Status Quo und die gerade herrschenden Verhältnisse“ stütze.

Den kompletten sonntaz-Streit "Soll sich Kirche stärker einmischen?", die Titelgeschichte "Die Ampel ist rot. Ich trete!", ein Gespräch über Leben auf fernen Planeten mit einer Sternenforscherin und ein Interview über Uli Hoeneß mit dem Sozialethiker und Jesuiten Friedhelm Hengsbach lesen Sie in der taz.am wochenende vom 27./28. April 2013. Außerdem: Hausbesuch - Die taz klingelt mal in Obersdorf. Am Kiosk, eKiosk oder gleich im Wochenendabo.

Jesus dagegen habe „das nichts Sehen, nichts Sagen, nichts Hören, nichts Tun gebrandmarkt“. Seine Worte „Ihr seid das Salz der Erde“ bedeuteten: „Wir sollen uns einmischen, wirken im Sinne Jesu!“ Und das sei auch die Vorgabe für Kirche: „sich einzumischen oder zu verweigern“. Nur parteipolitisch dürfe Kirche nicht sein, weil sie sich dann von anderen als von Jesus bestimmen lassen müsste.

Mehr als Konsum und Ellenbogen

Auch taz-Leser haben sich auf taz.de und Facebook an der Streitfrage beteiligt. Kirche solle in der Versenkung verschwinden, meint Greta Ha auf Facebook. Der User Malte Krøgergaard sieht in den Kirchen einen Anbieter eines Wellnessprogramms für die Seele. Und unser Leser Peter Steinle schreibt: „Kirche ist in unserer Gesellschaft Garant dafür, dass es mehr geben muss als Konsum, Kommerz, Egoismus und Ellenbogen, mehr als Shareholdervalue und Rendite.“

Die Kirchen leisteten sehr viel in Diakoniestationen und Suppenküchen, in Asylcafés und Hospizen, in Kindergärten und Behinderteneinrichtungen. Auch Sigrun Stoellger zieht den Hut vor den Ehrenamtlichen, beklagt aber fehlendes Gleichgewicht. Ein Bischof bekomme mehr als 10.000 Euro vom Staat, ein Pastor, der sich um Obdachlose kümmert, könne damit viel machen.

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4 Kommentare

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  • SW
    sabine weizen

    wie wäre es mal mit einem autofreien sonntag ¿

     

    wir fahren nicht zum beten-wir laufen !

  • A
    atalaya

    @thomas: mit βασιλεία meinte Jesus, dass seine Autorität nicht so sei wie die bisher bekannte, aber keinesfalls, dass er keine hätte oder sie für die Welt, die er mit seinem Tod am Kreuz ja erlösen wollte, irrelevant sei. Und die Stelle mit dem Kaiser ist kirchlich stets im Sinne der Macht ausgelegt worden, geht aber nur aus ihr hervor, wenn man interpretiert, es also so "haben will". Die Stelle kann nämlich (als Übersetzung aus dem Griechischen) ebensogut lauten "gebt dem Kaiser zurück, was des Kaisers ist".

     

    In beiden Stellen sehe ich jedenfalls keinesfalls begründet, dass man sich aus der Politik raushalten sollte, sondern lediglich, dass man selbst keine Politik im Sinne der falschen Herrschaft und ihrer Verwaltung machen und dass man an dieser auch nicht mitwirken solle.

     

    Das Gejammere über die laute Stimme der Kirchen im öffentlichen Diskurs kann ich im Übrigen überhaupt nicht nachvollziehen. Wenn man sich einmal anschaut, wie sehr die öffentliche Meinung ideologisiert ist und wie wenig Widerspruch sich gegen diesen Dauerberieselung aus unausgegorenem Schwachsinn erhebt, ist der Einspruch der Kirchen allein deshalb schon wohltuend, weil sie den Mund aufmachen, auch wenn keinesfalls immer etwas Vernünftiges dabei herauskommt.

     

    Von Theologen, die meinen, die Kirche habe zu schweigen und sich um das Spirituelle zu kümmern, halte ich jedenfalls gar nichts. Die würden dann nämlich bei einem neuen Hitler ein ähnlich jämmerliches Bild abgeben, wie schon damals. Aber das ist man ja bei den Protestanten so gewohnt: sie haben ja den Kapitalismus "erfunden". Wieso sollten sie sich also gegen seine Auswüchse wenden? :-)

  • T
    Thomas

    Der Leipziger Parrrer Führer zeigt, wie man bieblische Aussagen missbrauchen kann wie es einem grade ins Konzept passt: Jesus plädierte ganz dezidiert für eine Trennung: "mein Reich ist nicht von dieser Welt" oder "gebt dem Kaiser was des Kaisers ist" sind deutliche klare Aussagen. Gott (was immer man sich darunter vorstellen mag) schütze uns vor solch verbalen Falschmünzern! Es graut mir, wenn ich mir vorstelle, was Herr Führer allsonntäglich kraft seines Amtes von der Kanzel herunter verbreiten mag.

  • G
    geschichtswerkstatt

    Der Münchner Theologe Graf hat völlig recht und darum sind die Bemühungen, aus dem vereinigten Deutschland nach 1990 offiziell oder hintenrum einen Gottesstaat zu machen, ja bislang gescheitert. Egal, ob nun die Grünen einen weiteren Versuch unternehmen werden - es kann und wird nicht lange gut gehen. Ungeachtet dessen gab es aus dem Osten den Vorschlag, den Gemeinden aller Konfessionen und Religionen auf kommunaler Ebene mehr Bedeutung zu geben - und zwar durch die Entrichtung einer kommunalen Steuer. Eine Abgabe im Bruchteil der Lohnsumme aller Gemeindemitglieder würde mit einem Schlag die Finanzprobleme vieler Gemeinden und Städte lösen und gleichzeitig die Bedeutung der Religionsgemeinschaften und den politischen Einfluß auf kommunalpolitische Entscheide vergrößern. Und zwar nur dann, wenn die demokratischen Mehrheiten lokal so gewachsen sind, andernfalls eben nicht. Das ist mit harscher Kritik abgeschmettert worden. Warum wohl?

     

    Weil mit dem jetzigen System es die 18% Christen locker schaffen, über 50%ige Mehrheiten darzustellen. Wenn das mal nicht mehr so klappt, ob propagandistisch oder subversiv, wird man das System nicht mehr gutheißen. Bleibt zu hoffen, dass der ideale Zeitpunkt zum Finden optimaler Lösungen dann nicht verstrichen sein wird. Da bin ich sehr skeptisch. Es ist eine Frage der Zeit und der damit anwachsenden Ungerechtigkeiten, bis man in diesem Land wieder Leute aus religiösen Gründen an die Wand stellen wollen wird.