Schwedisches "PI" macht dicht: Hosen voll, Lust verloren
Die schwedische Version des auch in Deutschland populären islamfeindlichen Blogs "Politically Incorrect" hört auf. Ist das Attentat in Norwegen ein Grund dafür?
STOCKHOLM taz | "Wir sind am Ende des Weges angekommen", nehmen die Macher von "Politiskt Inkorrekt" (PI) Abschied von ihrem Publikum. Am 23. Oktober werde der letzte aktuelle Beitrag auf http://politisktinkorrekt.info/ veröffentlicht, Ende Oktober werde die Seite dann ganz aus dem Internet verschwinden.
Ein Schritt, der Anhänger wie Gegner überraschte. War diese einwanderungsfeindliche und antiislamische Website doch in den drei Jahren ihres Bestehens zum größten schwedischen Forum dieser Art aufgestiegen und konnte sich bei Besucherzahlen zeitweise sogar mit den Internetauftritten von Zeitungen wie dem Stockholmer Svenska Dagbladet - dem drittauflagenstärksten Blatt des Landes - messen. Eine "Erfolgsgeschichte" gewesen zu sein gesteht der Seite auch Daniel Poohl, Chefredakteur der antirassistischen Zeitschrift Expo zu.
Die offizielle Begründung für das Aus: zu kurze Personaldecke. Mit dem Tod des Gründers und Chefredakteurs vor einigen Monaten sei "die Arbeitsbelastung unmenschlich" geworden. Doch schlechtere Qualität als bislang wolle man nicht liefern, deshalb lasse man die Seite lieber sterben und komme möglicherweise mit einem anderen Projekt zurück.
Eine Begründung, die prompt Spekulationen sprießen ließ, ob das wirklich die ganze Wahrheit ist. In vielen Rechtsaußen-Blogs wird spekuliert, die wahre Identität der Macher sei enthüllt worden - diese versteckten sich hinter Pseudonymen, die Seite hat kein Impressum und keinen verantwortlichen Herausgeber -, es habe Todesdrohungen aus der autonomen Szene gegeben und die Verantwortlichen hätten deshalb "die Hosen voll".
Die "nationale Sache verraten"
Ein Schaden sei das aber nicht, hätte PI doch schon lange die "nationale Sache verraten". Es seien Tausende Debattenteilnehmer und Kommentatoren "gebannt" worden, die nicht mit dem "rechten Mainstream" der Partei "Schwedendemokraten" in Übereinstimmung zu bringen seien.
Letzteres glaubt man auch in antirassistischen Kreisen beobachtet zu haben. PI wurde 2008 gegründet und schnell ein Referenzpunkt der ausländerfeindlichen Netzdebatte. Man habe ein Weltbild vermittelt, in dem die Schwedendemokraten als vermeintliche Retter aus allem Übel fungierten, sagt Daniel Poohl.
Mit deren erstmaligem Einzug ins schwedische Parlament im Herbst 2010 hatte diese Partei aber das Problem bekommen, einigermaßen stubenrein erscheinen zu müssen und sich von allzu übler Islam- und Ausländerhetze abzugrenzen.
Die Terroranschläge des Anders Behring Breivik in Norwegen am 22. Juli haben das Abgrenzungsproblem verschärft. "Was Islamophobie angeht, gibt es im Norden ein deutliches Vor- und Nach-Breivik-Zeitalter", kommentiert die Malmöer Tageszeitung Sydsvenska Dagbladet. Die Rechtsaußenparteien in Skandinavien rutschten in Umfragen massiv nach unten, und Mitarbeiter ausländerfeindlicher Foren und Blogs sahen sich mit dem Vorwurf konfrontiert, Schreibtischtäter zu sein.
PI war keine Ausnahme. In der Begründung für die Schließung liest sich das - natürlich ohne Breivik-Bezug - so: Viele der bisherigen aktiven Mitarbeiter - und das seien sowieso nur sehr wenige gewesen - hätten mittlerweile "die Lust und die richtige Glut verloren."
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste