Schlagloch Akademischer Betrieb: Schafft den Doktortitel ab!
Der Doktortitel ist einfach nur ein nerdiger Schwanzvergleich. Einen wissenschaftlich-fachlichen Aussagewert hat er nicht.
B ei Gutti war die Schadenfreude noch groß, und das zu Recht, bei Frau Schavan gibt es schon Unbehagen. What’s next? Vielleicht traut sich jemand, mal Doktorarbeiten von „Wirtschaftskapitänen“ anzuschauen? Wahrscheinlich eher nicht. Aber vielleicht könnte man darüber nachdenken, ob dieser Doktortitel überhaupt noch zeitgemäß ist.
Seit es den Doktortitel gibt – 900 Jahre ist das nun schon her –, wird geschummelt, werden Titel direkt oder indirekt gekauft, gibt es die kleine, aber umsatzstarke Industrie der Doktormacher-Industrie, von den „Begleitern“ bis zu den „Komplettlösern“, kommen sich die Parteien, Anbieter und Nachfrager der Karriereprothese, wenn es um ökonomische Belange geht, einander gern einmal entgegen, kriegen Leute aus großen Familien und Parteimitglieder leichter ihren Doktor als Habenichtse.
Denn mag der Doktortitel als Abschluss einer akademischen Ausbildung vielleicht irgendetwas nachweisen, im richtigen Leben hat er ganz andere Funktionen. Er ermöglicht insbesondere dort, wo am wenigsten wissenschaftlich gedacht wird, einen Karriere-Einstieg um zwei, drei Gehaltsprossen höher als die Konkurrenz, nicht weil man etwa am Wissenschaftsnachweis interessiert wäre, sondern weil der Titel auch die Institution verkaufen hilft, in der man ihn an Türen klebt und auf Briefpapier druckt.
Kulturelle Waffe im Abstiegskampf
Der Doktortitel ist ein Instrument der Differenzierung in bürgerlichen Hierarchien, ein Medium der Selbstvergewisserung und Selbstermächtigung, die Illusion von Bildung in der Welt von Google und Think-Tank-Geheimwissen, eine kulturelle Waffe im sozialen Abstiegskampf. In seinem sozialen Gebrauch hat der Doktortitel mit seinem wissenschaftlich-fachlichen Aussagewert nicht das Geringste zu tun.
ist freier Publizist und Kinoexperte. 2012 erschien von ihm „Wir Untote! Über Posthumane, Zombies, Botox-Monster und andere Über- und Unterlebensformen in Life Science & Pulp Fiction“ (mit Markus Metz bei Matthes & Seitz).
Denn: Braucht man in der Politik oder im Wirtschaftsmanagement, vor Gericht oder in der Finanzspekulation, als „Blattmacher“ oder Fernsehredakteur etwa den Nachweis für „wissenschaftliches Denken“? Das genaue Gegenteil muss man beherrschen!
Aber man weist anderes nach: zum Beispiel Ehrgeiz, aber auch die Fähigkeit der eigenen Familie, das Entsprechende zu finanzieren, die Bereitschaft sich hervorzutun, eine karrierebewusste Lebensplanung, den Umgang mit untoten Dingen und Texten. Ein Preis ist zu zahlen entweder in Geld, in Lebenszeit oder in Opferbereitschaft. Kann auch schiefgehen. Wenn eine Doktorarbeit zwischen drei und fünf Jahren Lebenszeit vernichtet, weil man unterwegs bemerkt, dass es gar nicht mehr um den großen Wurf, sondern nur noch ums Irgendwie-fertig-Werden geht, dann ist das genauso furchtbar wie die Strategie, eine „leere“ Zeit des Lebens auf diese Weise wenigstens halbwegs sinnvoll zu füllen.
Braucht aber jemand einen Titel, der vor seinem Namen seine Befähigung zu wissenschaftlichem Arbeiten herumtragen muss? Trägt ein Facharbeiter einen Facharbeitertitel vor dem Namen? Oder ein Lkw-Fahrer die Klasse seines Führerscheins? Innerhalb des akademischen Betriebs könnt ihr euch meinetwegen mit Titeln schmücken, bis ihr nicht mehr gehen könnt; auch Nerds brauchen ihren Schwanzvergleich. Aber in der äußeren Welt gibt es keinen Grund (mehr), einen solchen Titel herumzutragen und einzusetzen.
Die stolz getragene Narbe
Der Doktortitel ist ein Relikt aus einer Beziehung zwischen einer Klasse, die es nicht mehr gibt, und einer Institution, der Universität, die es nicht mehr gibt. Der einzig unserer Realität angemessene Doktortitel ist ein gekaufter Doktortitel.
Zu den Problematiken, die wir mit einem so zugleich relikthaften und aktualisierten Mythos haben, gehören gewiss die Beziehungen zu den „Doktorvätern“ bzw. „Doktormüttern“. (Das Ganze ist nur in Deutschland so familiär modelliert.) Er (oder sie) soll helfen, das richtige Thema zu finden, die Arbeit zu begleiten, und wird am Ende als Erstgutachter die Arbeit auch benoten. Das schafft eine bemerkenswerte Mischung aus Abhängigkeit und Vertrauen.
Als wissenschaftliches Kind von Doktoreltern wiederholt man offensichtlich die familiäre Ordnung der bürgerlichen Welt, es ist eine Art Psychodrama mit Stadien der Unterwerfung und der Initiation. Die meisten Doktorarbeiten dokumentieren weniger etwas, was man geschafft hat, als das, was man überstanden hat. Vielleicht ist ein Doktortitel für die Seele das, was für den schneidigen Studenten in der schlagenden Verbindung von einst der „Schmiss“ war, eine stolz getragene Narbe aus einer geschlossenen sadomasochistischen Anstalt?
Der Doktortitel ist zu einem Fetisch geworden; und paradoxerweise ist er gerade darin Ausdruck und Abwehr einer längst wieder verlorenen Demokratisierung der Universitäten. Als diese sich nämlich in den sechziger Jahren sozial öffneten, entwerteten sie sogleich, karriere- und prestigemäßig, vom Klassenbewusstsein ganz zu schweigen, das bloße Studium; man musste es, wenn man höher hinauswollte, wieder aufwerten. Durch den Doktor, zum Beispiel.
Die soziale Krankheit
In den Zentren der „echten“ Macht, in der Politik, in der Juristik und in der Wirtschaft wird naturgemäß dieser Titel, der nun nichts mehr mit dem Nachweis von wissenschaftlichem Arbeiten zu tun hat, interessanterweise besonders karrierefördernd eingesetzt. Nirgendwo kann man eine bewusste Konstruktion der „kleinen Unterschiede“ besser studieren, nirgendwo die soziale Umwertung eines schlichten Ausbildungsnachweises. Es geht hier eben nicht darum, was der Doktortitel über das Wissen und gar die Erkenntnis des Doktors aussagt, es geht vielmehr um seine oder ihre Fähigkeit, den Unterschied zu anderen Studierenden zu konstruieren.
Vielen Dr.-Menschen ist er daher ein wenig peinlich, sie müssen ihn noch in den Berufskämpfen der prekärsten kulturellen Arbeit zum Überleben einsetzen, und sie möchten ihn sozial eher verbergen. Für andere bleibt er ein letztes Instrument der Selbstaufwertung in einem Prozess allfälliger Abwertungen. Wir müssen den Doktortitel und die Art, wie er erworben werden muss, am ehesten als eine soziale Krankheit behandeln.
In jedem Augenblick arbeiten in Deutschland etwa 200.000 Menschen an einer Dissertation. Und was haben wir ihnen aufgebürdet: In einer Welt, in der man alles kaufen, fälschen und simulieren kann, sollen ausgerechnet sie Herz, Hirn und Hintern opfern für ein Schauspiel des Nichtgekauften, Nichtgefälschten, Nichtsimulierten.
Und dann haben wir noch einen Verdacht. Doktoranden sind erste symbolische Opfer für kommende Copyright Wars. An ihnen wird etwas verhandelt, was mit wissenschaftlicher Arbeit wenig zu tun hat; es ist wieder einmal eine Sündenbocksuche. Schaffen wir den außerakademischen Gebrauch des Doktortitels also ab! Und zwar echt.
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