Satiriker Horst Tomayer ist tot: Jeder Fleck Natur eine Bühne
Horst Tomayer hätte es verdient, in einem Atemzug mit der Neuen Frankfurter Schule genannt zu werden. Doch berühmt werden konnte er nicht.
Der Satz „Die Welt ist seine Bühne" ist schon vielen Menschen angeheftet worden, manchen vielleicht sogar nicht völlig zu Unrecht. Es gibt aber niemanden, der die Behauptung, die in dieser Formulierung enthalten ist, mit derartiger Bravour und Grandezza gelebt hat, wie der Schriftsteller, Satiriker und Schauspieler Horst Tomayer, der am Freitag im Alter von 75 Jahren in Hamburg an den Folgen einer Krebserkrankung gestorben ist.
Zu seiner Bühne machte Tomayer, Autor von Büchern wie „German Poems“, Darsteller in diversen Otto-Filmen und einem ganz anderen Publikum bekannt als Dr. Binder in der ZDF-Serie „Tierarzt Dr. Engel“, jede Kneipe, jede Supermarktkassenschlange, ja, letztlich jeden Flecken Natur, auf dem der Fahrradmarathonmann, Pilzexperte und passionierte Apfelklauer einer anderen Menschenseele begegnete.
Und wenn er dann einmal auf einer herkömmlichen Bühne stand, war es äußerst schwer, ihn dazu bewegen, sie wieder zu verlassen. Wer jemals erlebt hat, wie er einen seiner Evergreens, etwa das nach der Melodie der „Moorsoldaten“ zu singende „Lied der deutschen Rüstungsarbeiter“ darbot („Tag für Tag stehn wir an der Drehbank / Drehn Granaten früh bis spät / Wir sind vom Granatendrehen / Bald schon richtig durchgedreht / Ihr Bosse, hört, Ihr Kunden / Fünfundreißig Stunden / Sind genug“) – der weiß, dass es ein für alle Beteiligten unguter Einfall war, ihn von der Bühne zu holen.
Tomayer schrieb mehr als 30 Jahre (bis kurz vor seinem Tod) sein „Ehrliches Tagebuch“ für das Magazin „konkret“, und in dieser Zeitschrift erschien einst auch einer der Klassiker der hiesigen Humorproduktion: die Rubrik „Deutsche Gespräche", die in den 80er Jahren auch in Buchform erschien. Unter falschen Namen telefonierte Tomayer seinerzeit mit Gestalten, die es verdienten, hinter jedes Licht geführt zu werden.
Das berühmteste Gespräch führte er 1982 als Luis Trenker mit dem damals noch unter den Lebenden weilenden Ernst Jünger. Dieser nahm darauf rund zehn Jahre später Bezug in „Siebzig verweht III - Eine Auswahl aus den Tagebüchern 1981 bis 1985". Jünger hatte bis dahin nicht gemerkt, dass er nicht mit Trenker telefoniert hatte, sondern mit Tomayer. Diese Episode brachte Tomayer eine Erwähnung im Spiegel ein.
Horst Tomayer hätte es verdient, in einem Atemzug mit der Neuen Frankfurter Schule genannt zu werden, und wahrscheinlich würden das deren noch lebende Vertreter nicht bestreiten. Berühmt werden konnte Horst Tomayer aber schon deshalb nicht, weil er nicht korrumpierbar war. Er hat zwar Tausende von Komposita erfunden – etwa „Fahrraddiebhalsgerichtsordnung“ –, und viele davon sind nur in SMS-Nachrichten und auf Faxpapier erhalten geblieben, aber das Wort Karriereplanung kannte er nicht.
Das lässt sich nicht für alle seiner einstigen Weggefährten sagen. In der Frühzeit seiner Autorenlaufbahn schrieb Horst Tomayer unter dem Pseudonym Fietje für die linksradikale Boulevardzeitung St. Pauli Nachrichten – gemeinsam mit einem etwas jüngeren Kollegen füllte er täglich die Rubrik „Hein und Fietjes Kommentar“.
Hein wird, wie wenige Tage vor Horst Tomayers Tod bekannt wurde, demnächst Herausgeber der Springer-Zeitung Die Welt. Die meisten Menschen kennen ihn unter dem Namen Stefan Aust.
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