Sachbuch über Ungarns Rechtsextreme: Herrscher ohne Grenzen
„Schöne Grüße aus dem Orbán-Land“: Ernst Gelegs zeichnet akribisch nach, mit welch fragwürdigen Mitteln Ungarns Premierminister regiert.
„Schöne Grüße aus dem Orbán-Land.“ Mit dieser Floskel pflegt Ernst Gelegs, der Ungarn-Korrespondent des ORF, seine privaten E-Mails zu schließen. Der ungarische Botschafter in Wien, der über wer weiß welche Quelle über den privaten Mailverkehr des Journalisten informiert war, hielt ihm diese flapsige Formulierung vor, um ihm nachzuweisen, dass er gegenüber der Regierung voreingenommen sei.
Für Gelegs, der seit dem Jahr 2000 das Büro des ORF in Budapest leitet, ist dieser Vorwurf ein weiterer Beweis für die Wehleidigkeit der Orbán-Regierung gegenüber jeder Art von Kritik. Ungarn hat sich in den vergangenen vier Jahren dramatisch verändert.
Seit Premier Viktor Orbán und seine rechtsnationalistische Fidesz durch die Wahlen 2010 an die Macht kamen, überschlagen sich die Ereignisse. Gelegs, unterstützt von Koautor Roland Adrowitzer aus Brüssel, zeichnet faktenreich nach, wie das Land nachhaltig nach den Vorstellungen des ehrgeizigen Regierungschefs umgestaltet wird.
Das Mediengesetz, das kritischen Stimmen immer weniger Freiraum gibt; die Verfassung, die Wertvorstellungen des 19. Jahrhunderts als Leitbilder der Gesellschaft einzementiert; die Sanierung der Staatsfinanzen auf dem Rücken ausländischer Banken, Konzerne und Landwirte. Orbán, der dank einer Zweidrittelmehrheit im Parlament über praktisch unbeschränkte Macht verfügt, lässt keinen Bereich aus, um dem Land für viele Jahre seinen Stempel aufzudrücken.
Dank der „heute-show“ interessieren sich junge Menschen für Politik, sagen die Macher. Im Gegenteil, meinen Kritiker: Es gehe nicht um Aufklärung, sondern um Verachtung. Ob TV-Humor politisch sein kann, lesen Sie in der taz.am wochenende vom 22./23. März 2014 . Außerdem: Was passiert, wenn sich die Erde erwärmt? Der neue UN-Klimabericht exklusiv in der taz. Und: Warum bekriegt sich die Opposition gerade in der Krim-Krise? Gregor Gysi streitet mit Katrin Göring-Eckardt über den Umgang mit Russland, der Ukraine und der Großen Koalition. Am Kiosk, eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo.
Er hievt Vertrauensleute in Schlüsselpositionen, die noch in der übernächsten Regierungsperiode im Amt sein werden, versucht in die Justiz einzugreifen und lenkt Profite seiner unorthodoxen Wirtschaftspolitik in die Taschen seiner Getreuen.
Der größte Profiteur von EU-Fördermitteln
Und wenn der Verfassungsgerichtshof gegen ein Gesetz einschreitet, lässt er die umstrittenen Passagen – ätsch! – in Verfassungsrang heben, um sie dem Zugriff der Verfassungshüter zu entziehen. Nur den Einspruch der EU gegen Gesetze, die dem europäischen Wertekanon widersprechen, kann er nicht immer parieren. Mehrmals musste Orbán zurückstecken und rächte sich für die Schmach mit wütenden Tiraden gegen die Eurokratie, die in Ungarn gerne mit der Zwangsjacke Moskaus im Kommunismus gleichgesetzt wird. Dass Ungarn, gemessen an seiner Wirtschaftskraft, der größte Profiteur von EU-Fördermitteln ist, erfahren die Ungarn nicht.
Gelegs hat auch schon die desaströsen acht Jahre unter den sozialdemokratischen Ministerpräsidenten Péter Medgyessy und Ferenc Gyurcsány beobachtet. Den Vorwurf, die Verfehlungen dieser Zeit zu beschönigen, muss er sich nicht gefallen lassen. Es ist ihm aber auch nicht entgangen, wie Orbán aus der Opposition durch gezielte Sabotage der Regierungspolitik den Machtwechsel strategisch vorbereitete.
All die Mittel, die Orbán gegen die sozialistische MSZP in Stellung brachte, stehen einer Opposition heute nicht mehr zur Verfügung. Sie wurden abgeschafft oder so eingeschränkt, dass sie nun unpraktikabel sind. Etwa das Erzwingen von Volksabstimmungen gegen unpopuläre Maßnahmen der Regierung. Und das Wahlgesetz wurde inzwischen so hingetrimmt, dass bei den bevorstehenden Wahlen vom 6. April nichts schiefgehen kann, auch wenn die regierende Fidesz die Stimmenmehrheit verlieren sollte.
Roland Adrowitzer, Ernst Gelegs: „Schöne Grüße aus dem Orbán-Land“. Verlag Styria Premium, Wien 2013, 205 Seiten, 24,99 Euro.
Wer an einer kompakten Darstellung der Ereignisse interessiert ist und die Auseinandersetzungen, die Ungarn noch bevorstehen, verstehen will, sollte dieses Buch lesen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind
Verein „Hand in Hand für unser Land“
Wenig Menschen und Traktoren bei Rechtspopulisten-Demo
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Scholz und Pistorius
Journalismus oder Pferdewette?