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Regierungskrise in KanadaJustin Trudeau erklärt Rücktritt

Kanadas einstiger progressiver Hoffnungsträger ist nicht nur in den Umfragen zutiefst unbeliebt. Auch in seiner eigenen Partei wächst der Widerstand.

Zeigte sich bei seinem Rücktritt vor dem Regierungssitz in Ottawa ergriffen vom Ende seiner Zeit als Premier: Justin Trudeau Foto: Patrick Doyle/reuters

Berlin taz | Kanadas Justin Trudeau hat seinen Rücktritt vom Amt des Premierministers und des Vorsitzenden der Liberalen Partei erklärt, will aber beide Ämter noch ausführen, bis die Partei – vermutlich in einer landesweiten Urwahl – einen Nachfolger bestimmt. Wahlen müssen regulär spätestens am 20. Oktober dieses Jahres stattfinden – könnten aber auch vorgezogen werden.

Das seit Monaten blockierte Parlament, in dem Trudeau keine Mehrheit mehr hatte, pausiere bis Ende März, kündigte Trudeau an. Er hoffe, dass sein Rückzug dazu führen werde, die Temperaturen herunterzukühlen. Seine Person habe offensichtlich zur Polarisierung beigetragen, und mit einem neuen Premier werde es hoffentlich möglich, Einigung und Verständigung zu finden.

Gleichzeitig eröffnete Trudeau auch mit Seitenhieben auf den konservativen Oppositionsführer Pierre Poilievre. Der hatte Trudeau bereits Mitte Dezember zum Rücktritt aufgerufen und sofortige Neuwahlen gefordert, als Trudeaus langjährige Vizepremierministerin und Finanzministerin Chrystia Freeland unter Berufung auf heftige Meinungsverschiedenheiten mit Trudeau ihren Hut genommen hatte.

Seit 2015 regiert Trudeau mit seiner Liberalen Partei das Land, ist zuletzt im Jahr 2021 zum dritten Mal gewählt worden. Aber der heute 53-Jährige, der als progressiver Hoffnungsträger begonnen hatte und zunächst im In- und Ausland große Beliebtheit genoss, hat diese Popularität seit geraumer Zeit verloren. Bei Umfragen sagten jetzt 73 Prozent der Kanadier*innen, Trudeau solle sich zurückziehen. Auch über 40 Prozent der Wäh­le­r*in­nen der Liberalen Partei stimmen dem zu.

Bange Blicke auf den Nachbarn im Süden

Und auch innerhalb der Partei rumort es heftig. Dafür war der Rücktritt Chrystia Freelands im Streit um Trump und um Steuerfragen nur das sichtbarste Symptom. Mit seiner Erklärung vom Montag kommt Trudeau auch einer Gremiensitzung seiner Liberalen Partei am kommenden Mittwoch zuvor. Nicht wenige Be­ob­ach­te­r*in­nen hatten vermutet, dort würde der Bruch der Partei mit Trudeau in drastischer Form deutlich werden.

Aktueller Hintergrund der politischen Krise ist auch der bevorstehende Amtsantritt Donald Trumps in den USA. Trump hat angekündigt, gegen beide US-Nachbarländer, Kanada und Mexiko, an Tag 1 seiner Amtszeit 25-prozentige Strafzölle verhängen zu wollen, weil sie seiner Ansicht nach zu wenig tun, um illegale Grenzübertritte aus ihren Ländern in die USA zu verhindern. Die USA und Kanada sind jeweils gegenseitig wichtigste Handelspartner.

Trudeau war im November zu Trump in dessen Residenz in Florida gereist, um das Thema mit ihm zu besprechen – offensichtlich ohne Erfolg. Auf Nachfrage der Journalist*innen, ob die Regierung mit Trudeaus angekündigtem Rückzug nun noch schlechter aufgestellt sei, um mit der Herausforderung einer zweiten Trump-Amtszeit umzugehen, erklärte Trudeau lediglich, er und die 2021 gewählte Regierung würden mit voller Kraft daran weiterarbeiten, die Interessen der Ka­na­die­r*in­nen zu vertreten.

Vor den frierenden Jour­na­lis­t*in­nen, die er bei Minusgraden vor seinem Amtssitz in Ottawa einbestellt hatte, ließ Trudeau Meilensteine seiner langen Amtszeit passieren: vom Umgang mit der Corona-Pandemie bis zur Unterstützung der Ukraine. Darauf sei er stolz und freue sich, nunmehr den progressiven Staffelstab, auch für den kommenden Wahlkampf, an eine Nachfolge übergeben zu können.

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10 Kommentare

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  • Wo ist das Problem? Es dankt ja kein Alleinherrscher ab, kein Diktator wird gestürzt, sondern einfach der nächste Demokratische Chef auf Zeit gewählt.

  • Naja… Der Vollständigkeit halber: Trudeaus Liberale (samt Koalitionspartner) haben im Unterhaus seit 2019 keine Mehrheit mehr und regieren schon 5 Jahre als Minderheitsregierung vor sich hin. Angesichts der aktuelleren Umfragewerte dürfte es auch damit bald vorbei sein.

    Wer Premier sein will, der muss halt auch ab und zu ne Wahle gewinnen…

  • Sicher können PolitikerInnen kritisiert werden.



    "Die Liberalen" gehörten, üblicherweise, nicht zu meinem Wahlparteien.



    Doch ihr Misserfolg, wie gerade in Frankreich zu beobachten, scheint mit einem Rechtsruck einher zu gehen.



    Gerade wollen die Neos in Österreich nicht mitregieren, schon steht ein rechtsextremer Kanzler vor der Tür.



    Nach dem, durch die Liberalen verursachten Koalitionsende, meldet sich ein neuer Möchtegern Kanzler mit rechtsextremen Positionen zu Wort.



    Da braucht nicht vor morgen gewarnt werden, unsere Demokratie steht HEUTE auf dem Spiel!



    Der Rücktritt Trudeaus ist ein schlechtes Zeichen einer Negativentwicklung.



    Wer für Demokratie steht, darf heute nicht nach Kompromissen mit Rechtsextremen suchen.



    Merz hat sich gerade rechtsextrem geäußert und das nicht zum ersten Mal!



    Seine Positionen zum Einbürgerungsrecht, Flüchtlingen und Asyl, widersprechen europäischen Recht und sind verfassungswidrig.



    Eine solche Person darf nicht Bundeskanzler werden!



    Wir müssen die Entwicklung, wie in Österreich, als Warnung betrachten!



    Es geht bei dieser Wahl nicht nur um Wirtschaftsfragen, es geht in aller Klarheit um den Erhalt einer liberalen Gesellschaft oder deren Zerstörung .

  • Trudeau hat einiges vorzuweisen, und Kanada ist in ganz vielen Punkten gegenüber den USA das attraktivere Land.



    Dass er sich nun einen Machtkampf und Trump nicht antut, ist verständlich.



    Vielleicht nimmt jetzt Freeman die vermutliche Machtabgabe auf sich.

  • Trudeau ist bereits jetzt in die Geschichte eingegangen mit der global ersten wirksamen Umsetzung einer landesweiten effizienten CO2 Besteuerung (mit auf 10 Jahre festgelegten CO2-Preis Anstiegen= Planungssicherheit!) bei voller Rückzahlung aller Einnahmen.

    Daher keine sozialen Verwerfungen und bürokratischen Monster sondern sofortige Lenkungswirkung auf Kauf- und Investitionsentscheidungen.

    www.canada.ca/en/d...s-for-2024-25.html

    Warum die Grünen das nicht 1:1 kopiert haben kapier ich nicht.

    Danke, Justin.



    Aber warum haben Progressive immer so wenig Kraft an der Macht zu bleiben?

    Poilievre wird alle Fortschritte wieder zurückdrehen, ist korrupt und hat keine security clearance.

    Aber die reaktionäre Presse, kanadische Magas, Öl & Gas Industrie und russischer Einfluss waren wohl mal wieder stärker.

    Schade für ein tolles Land.

    • @So,so:

      „Warum die Grünen das nicht 1:1 kopiert haben“ Was die Grünen in der Ampel sehr schlecht hinbekommen haben, war die (stimmt der Begriff?) dialektische Argumentation: Dieses (z.B. Klimageld) haben wir gewollt, das bestmögliche, auf das sich die Koalition einigen konnte, ist (z.B. Klimageld wird über Absenkung von XYZ ausgeschüttet). Denn im grünen Wahlprogramm stand ja die Ausschüttung der CO₂-Bepreisung drin, aber der damalige Finanzminister hat ja noch nie von einem Barscheck gehört und wusste darum nicht, wie er das Klimageld hätte auszahlen sollen.

  • War zu erwarten. Premier Trudeau war im Ausland weitaus beliebter als in seiner Heimat. Der Rücktritt der Vize-Premier- und Finanzministerin Chrystia Freeland war der letzte Nagel. Die Liberale Partei dürfte mit ihrer Migrationspolitik die Wahlen trotzdem mit Abstand verlieren.

  • Deutschland, Österreich, Kanada. Gerade jetzt sollten sich die Demokrat/innen zusammenraufen, nicht selbst zerlegen.

    • @Ciro:

      Verstehe ich nicht,warum sollen sich die Demokrat/innen zusammenraufen, wird duch Neuwahlen die Demokratie abgeschafft?

      • @maddinose:

        Gemeint war, dass mit (unsachlichem) Streit die Politikverdrossenheit wächst, die manche dazu veranlasst, extremistisch zu wählen. Allgemein gesprochen, nicht auf Kanada gemünzt.