Protest in Nordirland: Kampf um die britische Flagge
Auf dem Rathaus von Belfast soll nur noch an Feiertagen der Union Jack aufgezogen werden. Die Folge ist Dauerrabatz für den Verbleib im Vereinigten Königreich.
27 verletzte Polizisten, mehrere ausgebrannte Häuser und Autos, 12 Verhaftete, darunter ein 13-jähriger Junge – alles wegen einer Flagge. Der Stadtrat von Belfast hat vor einer Woche beschlossen, die britische Fahne nur noch an 17 Tagen im Jahr über dem Rathaus der nordirischen Hauptstadt zu hissen. Der „Union Jack“ wehte seit Eröffnung des Rathauses 1906 ständig über dem Gebäude.
Die Entscheidung löste eine spontane Demonstration aus. Rund tausend protestantische Loyalisten, die für den Verbleib Nordirlands im Vereinigten Königreich eintreten, versuchten, das Rathaus durch den Hintereingang zu stürmen, während auf dem Platz vor dem Haupteingang ebenso viele Menschen auf dem deutschen Weihnachtsmarkt überteuerte Bratwürste verzehrten.
Die Demonstranten griffen die Polizei mit Steinen, Flaschen und Golfbällen an, schafften es aber nicht, ins Gebäude einzudringen. Die Auseinandersetzungen haben sich seitdem auf andere Stadtteile verlagert, täglich kommt es dort zu Straßenkämpfen. Die Beamten beschuldigen die paramilitärischen loyalistischen Organisationen, die Situation anzuheizen.
Jackie McDonald, Chef der Ulster Defence Association (UDA), bestreitet das. Auf einer Protestkundgebung vor dem Rathaus, am Samstag sagte er vor rund 1.500 Menschen: „Der Polizeichef behauptet das, aber in Wahrheit ist es eine spontane Bewegung der Basis, und niemand weiß, wohin das führen wird.“ Nach der Kundgebung kam es erneut zu einer Straßenschlacht.
Die Katholiken in der Überzahl
Die Wut der Loyalisten richtet sich vor allem gegen die kleine Alliance Party, die mehr oder weniger neutral ist. In Belfast stellten die Protestanten früher die Mehrheit, und das hat sich erst in den vergangenen 20 Jahren geändert. Im Stadtrat sitzen nun 24 Abgeordnete der katholisch-nationalistischen Parteien und nur noch 21 protestantische Abgeordnete.
Die sechs Stadtverordneten der Alliance Party sind das Zünglein an der Waage, und sie stimmten dafür, die britische Fahne nur noch an besonderen Tagen wie dem Geburtstag der Königin über dem Rathaus zu hissen, wie es seit Jahren auch im Stormont, dem Sitz der nordirischen Regionalregierung, und anderen Regierungsgebäuden üblich ist.
Aus Rache dafür wurde das Parteibüro der Alliance Party abgefackelt, zwei Stadträte mussten aus ihren Häusern fliehen und untertauchen, die einzige Abgeordnete der Partei, Naomi Long, erhielt Morddrohungen. Am Freitag kam US-Außenministerin Hillary Clinton nach Belfast. Sie sei schockiert über die Gewalt, sagte sie und fügte hinzu: „Eine Demokratie benötigt Dialog, Kompromisse und die ständige Bereitschaft, die Rechte aller zu schützen.“
Seit dem Friedensabkommen vom Karfreitag 1998 ist es um Nordirland zwar relativ ruhig geworden, doch an der Basis ist man sich kaum nähergekommen. Hohe Mauern grenzen die katholischen und protestantischen Arbeiterviertel voneinander ab, nachts werden die Verbindungsstraßen noch durch vergitterte Tore geschlossen.
Die Flagge als Symbol
Der Flaggenstreit erscheint Außenstehenden absurd, doch die Sache hat für viele Protestanten eine hohe Symbolkraft. Sie haben mit dem Karfreitagsabkommen ihre Vormachtstellung verloren und fürchten sich vor einem vereinigten Irland, obwohl das angesichts der irischen Finanzmisere in weite Ferne gerückt ist.
Doch so gewinnen scheinbare Kleinigkeiten an Bedeutung, man klammert sich an Symbole, weil von den Privilegien nicht viel übrig ist, da auch Großbritannien und Nordirland tief in der Rezession stecken. Die nordirische Regionalregierung hat für heute eine Sondersitzung zum Flaggenstreit einberufen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Exklusiv: RAF-Verdächtiger Garweg
Meldung aus dem Untergrund
Anschlag in Magdeburg
Auto rast in eine Menschenmenge auf dem Weihnachtsmarkt
Anschlag auf Magdeburger Weihnachtsmarkt
Vieles deutet auf radikal-islamfeindlichen Hintergrund hin
Fragestunde mit Wladimir Putin
Ein Krieg aus Langeweile?
Einigung über die Zukunft von VW
Die Sozialpartnerschaft ist vorerst gerettet
Streit um Russland in der AfD
Chrupalla hat Ärger wegen Anti-Nato-Aussagen