Pro-Erdoğan Anzeige in der SZ: Ein Geschenk an alle kritischen Geister

Am Jahrestag des türkischen Putschversuchs druckt die Süddeutsche Zeitung eine Erdoğan-freundliche Anzeige – und erntet zu Unrecht heftige Kritik.

Menschenmenge mit türkischen Flaggen

Foto, Foto, Flagge, Flagge Foto: dpa

BERLIN taz | Am Samstag erscheint in der Süddeutschen Zeitung eine ganzseitige Anzeige mit Türkei-PR. Es folgt: ein Shitstorm. In den Branchenportalen hagelt es Kritik und in den sozialen Medien Unterstellungen: Ist die SZ käuflich für Diktatoren? In den Chefredaktionen von Bild und Spiegel empört man sich. Aber warum eigentlich?

Rot und weiß, in den Farben der türkischen Fahne wirbt die Anzeige für den „Sieg der Demokratie über den Terror“, der die Niederschlagung des Putschversuchs vor einem Jahr angeblich gewesen ist. Es ist zweifellos die regierungsnahe Sicht der Dinge, wie sie da in der SZ beworben wird.

Und so ergoss sich am Wochenende die Wut der Kritiker*innen gegen die SZ-Anzeigenabteilung, einzelne SZ-Redakteur*innen distanzierten sich – und Bild-Chefredakteurin Tanit Koch sowie Spiegel-Chefredakteur Klaus Brinkbäumer priesen sich auf Twitter dafür, dass ihre Medien die Anzeige nicht angenommen hatten. Man möchte kaum glauben, dass alle Anzeigen bei Spiegel und Bild durch die Chefredaktionen abgenickt werden müssen – arbeiten laut presserechtlicher Bestimmungen Verlage und Redaktionen der Qualitätsmedien doch normalerweise unabhängig voneinander.

Genau das betonte dann auch die Geschäftsführung der SZ gegenüber dem Branchenportal Horizont: Die Haltung des Verlags zur Message der Anzeige sei nicht relevant, man drucke, was „nicht gegen den Geist der Verfassung oder sonstiges Recht und Gesetz“ verstoße.

Schon früher natürlich, aber vor allem nach dem Putschversuch versucht die türkische Regierung, ihre Position mit der Hilfe von PR-Organisationen darstellen zu lassen. Laut PR Weekly, einem amerikanischen Fachmagazin, kaufte die Türkei im Mai dieses Jahres zu diesem Zweck die Dienste des weltweit operierenden PR-Agentur Burston-Marsellers.

Was allerdings viele im ersten Schäumen über die Anzeige nicht bemerkten: Hier spricht nicht die türkische Regierung, sondern die „Union of Chambers and Commodity Exchanges of Turkey“ – eine privatwirtschaftliche Organisation, die sich unter anderem um Handelsbeziehungen zur EU bemüht.

Der Leserschaft zumutbar

Und deren Anzeige ist in sich schon so entlarvend, dass sich eigentlich niemand aufzuregen bräuchte. Zitat: „Jetzt, wo es [das türkische Volk, Anm. d. A.] versucht, die tiefen Wunden des blutigen Putschversuchs zu heilen, wünscht es sich im ersten Jahr der schwersten Prüfung für die türkische Demokratie alle Freunde und Verbündete an seiner Seite.“ Das einzuordnen soll der SZ-Leser*in nicht zuzumuten sein?

Es ist doch ein Geschenk an alle kritischen Geister, das diese Lobbyarbeit so deutlich und plump daherkommt. Ganz genau wie der jüngste Werbespot auf NTV mit Fußballleuchte Lukas Podolski („Turkey: Discover the potential“).

Die Anzeige ist in sich schon so entlarvend, dass sich eigentlich niemand aufzuregen bräuchte

Aber anstatt sich darüber zu amüsieren und erleichtert eine Flasche Sekt aufzumachen, wird das bisherige Engagement von SZ-Journalist*innen für den inhaftierten Welt-Korrespondenten Deniz Yücel wegen einer einzigen Anzeige infrage gestellt. Wohlgemerkt: Auf den redaktionellen Seiten der SZ wird ja weiter kritisch über die Türkei berichtet.

Übrigens: Während wir uns hier über eine Anzeige in der SZ empören, brachte der Guardian einen Gastkommentar des türkischen Staatspräsidenten.

Deshalb besser: Anzeigen der Lobbyorganisationen abdrucken. Knapp 86.000 Euro kostet eine Anzeige in der Wochenendausgabe der SZ. Wunderbar, wenn davon Redakteur*innen und Reporter*innen bezahlt werden, die weiter unabhängig über die Türkei berichten.

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