Politologe über Korruption in Berlin: „Jährlich ein Millionenschaden“
Korruption in Berlin? Bei richtiger Kontrolle würden die Fallzahlen durch die Decke gehen, sagt Jiri Kandeler vom Antikorruptionsverein Berlin.
taz: Herr Kandeler, Sie haben vor zwei Jahren einen Verein gegründet, der sich gegen Korruption engagiert. Hat Berlin denn da ein so großes Problem?
Jiri Kandeler: Letztes Jahr wurde ein EU-Korruptionsbericht veröffentlicht, nach dem Korruption in Deutschland jährlich einen Schaden von über 100 Milliarden Euro verursacht. Wir müssen annehmen, dass auch in Berlin jährlich ein Millionenschaden durch Korruption entsteht. Das Problem ist, dass Korruption nicht entdeckt wird, weil kaum kontrolliert wird, daher die geringe Zahl von Anklagen. Wenn man richtig kontrollieren würde, würden die Fallzahlen durch die Decke gehen.
Gab es Fälle in der Vergangenheit, die Sie als exemplarisch sehen?
Im letzten Jahr gab es zum Beispiel mehrere mutmaßliche Korruptionsfälle bei der Polizei sowie im Zusammenhang mit Kfz-Zulassungen und TÜV-Plaketten. Es scheint, dass Personalmangel und Überlastung in der Verwaltung Korruption begünstigen, unter anderem vermutlich, weil für Kontrollen Personal und Zeit fehlt. In Anbetracht des anhaltenden Fachkräftemangels müssen wir daher davon ausgehen, dass die Korruption zunehmen wird, wenn nicht gegengesteuert wird.
2018 machten vor allem zwei Fälle in der Berliner Polizei Schlagzeilen. Im März wurde ein Beamter verhaftet, der Gastwirte vor Drogenrazzien gewarnt haben soll, im Dezember flog ein Autoschieberring auf, an dem ein Polizist beteiligt gewesen sein soll. Ist die Polizei besonders korruptionsanfällig, oder werden dort solche Fälle schneller entdeckt?
Beamte, die beruflich mit Kriminellen zu tun haben, bekommen vielleicht auch öfter mal ein unmoralisches Angebot. Insofern gibt es bei der Polizei vermutlich schon ein erhöhtes Korruptionsrisiko. Ob innerhalb der Polizei besser kontrolliert wird als anderswo, kann ich nicht sagen. Personalmangel und Überlastung sind aber überall gleich.
Bestechungen, Vorteilsnahme, Vetternwirtschaft – Korruption tritt in vielen Formen auf. Wie lässt sich der Begriff eingrenzen?
Korruption lässt sich nicht abschließend definieren. Es gibt die strafrechtliche Definition, die reicht aber überhaupt nicht aus, weil viele korrupte Handlungen gar nicht verboten sind. Deswegen gibt es eine behelfsmäßige Definition, die besagt: Korruption ist der Missbrauch anvertrauter Macht zum eigenen Vorteil. Aber uns geht das nicht weit genug. Wo Partizipation und Transparenz nicht mehr gegeben sind, wo Entscheidungsträger in Hinterzimmern geheime Absprachen treffen können, da fängt Korruption an.
Justizsenator Dirk Behrendt (Grüne) sagte bei der Vorstellung des letzten Korruptionsberichts, Berlin sei „bei der Korruptionsbekämpfung gut aufgestellt“. Tatsächlich gibt es eine Zentralstelle für Korruptionsbekämpfung, einen Vertrauensanwalt, sowie Korruptionsbeauftragte und Prüfgruppen in den Senats- und Bezirksverwaltungen.
Dasselbe hat der vorige Justizsenator Thomas Heilmann (CDU) auch schon gesagt, aber es ist falsch. Diese ganzen Maßnahmen, die Sie genannt haben, funktionieren nicht. Nehmen wir etwa die Prüfgruppen: Die meisten machen überhaupt keine Stichprobenkontrollen, obwohl sie dazu verpflichtet wären. Es gibt nur anlassbezogene Prüfverfahren, aber die werden fast immer eingestellt. Und die meisten Verfahren, die an die Staatsanwaltschaft weitergeleitet werden, werden eben ein bisschen später eingestellt. Und wir haben ein strukturelles Problem: Jede Verwaltung, also die Senatsverwaltungen und die Bezirksverwaltungen, kontrolliert sich selbst. Es gibt keinerlei externe Kontrollen. Das kann gar nicht funktionieren.
Wie korrupt Verwaltung, Politik und Wirtschaft in Berlin wirklich sind, kann niemand genau sagen. Der jährlichen Bericht der Zentralstelle für Korruptionsbekämpfung, die direkt der Generalstaatsanwaltschaft unterstellt ist, spricht von 114 Verfahren, von denen die meisten eingestellt worden sind. In nur 12 Fällen wurde Anklage erhoben. Expert*innen gehen von einer deutlich höheren Dunkelziffer aus.
Der Antikorruptionsverein Berlin e. V. wurde 2017 gegründet, um auf die mangelhafte Korruptionsbekämpfung aufmerksam zu machen; er nimmt vertraulich Hinweise entgegen und berät in Verdachtsfällen: antikorruptionsvereinberlin.de.
Jiri Kandelers Studie über Korruptionsbekämpfung in Berlin: kurzlink.de/akv. (jw)
Wie werden Korruptionsfälle derzeit überhaupt aufgedeckt?
Korruptionsfälle werden fast nie durch Kontrollen aufgedeckt, sondern fast ausschließlich durch Hinweisgeber, was auch ein Beleg dafür ist, dass die Kontrollsysteme nicht funktionieren. Da muss man einerseits den Hinweisgeberschutz optimieren, aber viel mehr muss man an den Kontrollsystemen arbeiten. Wenn die Kontrollen funktionieren würden, dann bräuchte man keine Hinweisgeber.
Warum dieses persönliche Engagement gegen behördliche Korruption?
Ich habe eine Arbeit über Korruptionsbekämpfung auf kommunaler Ebene in Berlin geschrieben. Und ich war total verblüfft, dass ich der Erste war, der die Antikorruptionsmaßnahmen in Berlin überhaupt jemals evaluiert hat. Und dann war ich schockiert über das Ergebnis, dass es praktisch gar keine wirksamen Kontrollen gibt. Dass die Korruptionsbekämpfung in Berlin überhaupt nicht funktioniert, das ärgert mich als Bürger und Steuerzahler.
Was schlägt Ihr Verein vor, wie man die Korruptionsbekämpfung in Berlin verbessern könnte?
Für mich kristallisiert sich immer mehr heraus, dass Korruption ein Demokratieproblem ist. Korruption ist nicht die Krankheit, die wir bekämpfen müssen, sie ist nur ein Symptom – die eigentliche Krankheit ist der Mangel an demokratischer Kontrolle. Korruption gibt es nur dort, wo keine demokratische Kontrolle möglich ist. Wo Transparenz und Partizipation gegeben sind, kann es keine Korruption geben. Darum brauchen wir unter anderem ein Transparenzgesetz, wie es in den Koalitionsvereinbarungen ja schon beschlossen ist. Wir als Verein wollen vor allem aufklären und Öffentlichkeit schaffen. Dass die Korruptionsbekämpfung in Berlin völlig unwirksam ist, ist ja bisher überhaupt nicht bekannt gewesen. Übrigens: Hinweisgeber können sich auch an uns wenden, die öffentlichen Anlaufstellen für Hinweisgeber sind nämlich oft Sackgassen.
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