Ökonom Flassbeck über Schwellenländer: „Spekulationsblasen platzen“
Der Ökonom Heiner Flassbeck sorgt sich wegen des Sinkflugs vieler Währungen und fragt sich, wie eine Andeutung des US-Notenbankchefs Panik verbreiten kann.
taz: Herr Flassbeck, die Spekulanten weltweit sind nervös, weil US-Notenbankchef Ben Bernanke angedeutet hat, dass die Zinsen in den USA wieder steigen könnten. Wie wahrscheinlich ist dieses Szenario?
Heiner Flassbeck: Irgendwann werden die Zinsen wieder steigen, dann platzen die ganzen Spekulationsblasen. Das versuchen Spekulanten vorherzusehen - deswegen sind sie nervös.
Die Fed tagt das nächste Mal im September. Droht uns im Herbst ein Crash?
Es ist schwer zu sagen, wann genau die Fed die Zinsen erhöht. Aber sobald der Aufschwung in den USA stärker wird, wird sich auch die Geldpolitik normalisieren. Die Phase der absoluten Niedrigzinsen ist dann vorbei.
Wenn höhere Zinsen normal sind - warum lösen sie Alarm auf den Finanzmärkten aus?
Weil sich dann zum Beispiel die „Carry Trades“ nicht mehr lohnen. Dabei nehmen Spekulanten Kredite in einer Währung auf, deren Zinsen niedrig liegen – wie jetzt beim Dollar. Dieses Geld wird dann in Ländern investiert, die höhere Zinsen bieten, weil dort auch die Inflation höher ist. Dies waren zuletzt Schwellenländer wie Indien, Brasilien, die Türkei. Wenn viele Spekulanten diesen Carry Trade betreiben, werten die Währungen dieser Länder stark auf – was Extraprofit verspricht. Aber der Carry Trade funktioniert nur, solange alle Spekulanten fest an die Stabilität der Zinsdifferenz glauben. Sobald die US-Zinsen steigen, kehren sich die Zahlungsströme um.
62, war Finanzstaatssekretär und Chefökonom der UNO-Organisation für Welthandel und Entwicklung Unctad. Mehr von ihm unter flassbeck-economics.de.
Schlaue Anleger ziehen also Geld aus Schwellenländern ab?
Jeder versucht jetzt, seine Gewinne rechtzeitig mitzunehmen. Eine riesige Herde von Spekulanten versucht noch schnell von der Straßenbahn zu springen, bevor es klingelt.
Rupie, Real und Lira werten bereits ab, weil Anleger aussteigen. Was bedeutet die Abwertung für Indien, Brasilien oder die Türkei?
Sie ist eigentlich richtig, denn durch den Carry Trade wurden die Rupie oder der Real ja extrem aufge- und überbewertet. Aber die Anpassung verläuft viel zu schnell und zu spekulativ. Jetzt werden die Schwellenländer zu verrückten Maßnahmen gezwungen: Sie müssen die Zinsen hochsetzen, um zu starke Abwertung zu vermeiden – aber damit schaden sie ihrer Wirtschaft. Es könnte auch sein, dass sie den Internationalen Währungsfonds anrufen, wenn sie nicht mehr genug Devisen haben, um ihre Währung zu stützen. Dann wird es besonders schlimm.
Mitte Juni ängstigte Ben Bernanke Investoren auf der ganzen Welt: Der Chef der US-Notenbank Fed kündigte an, die Fed werde ab Herbst ihr Anleiheprogramm auslaufen lassen. Derzeit kauft sie jeden Monat für 85 Milliarden Dollar Staats- und Immobilienpapiere, um die Wirtschaft anzukurbeln. Ein Teil des Geldes floss in Schwellenländer.
Jetzt geht es retour: Brasiliens Real wackelt, in Indien erlitt die Rupie am Mittwoch den größten Tagesverlust seit 20 Jahren. Auch philippinische Pesos und thailändische Bath gaben nach. Die türkische Lira fiel, auch wegen der Syrienkrise, auf ein Rekordtief zu Dollar und Euro.
Die Asienkrise 1997/98 begann damit, dass Anleger aus Thailand oder Indonesien abzogen. Wiederholt sich die Geschichte?
Ja. Die jetzige Aufregung der Spekulanten zeigt, dass die Finanz- inklusive der Aktienmärkte noch überdrehter als damals sind. Eine Andeutung von Bernanke reicht, um Panik zu verbreiten. Die Aktienkurse sind gestiegen, obwohl die Wirtschaft kaum wächst. Es ist ein Alarmzeichen ersten Ranges, wie schwach sich die Weltkonjunktur entwickelt – obwohl die Zinsen bei null liegen. Die Lage in den Schwellenländern verursacht eine zusätzliche Unsicherheit. Dies könnte reichen, um erneut eine Finanzkrise auszulösen, auch wenn sie nicht so schwer ausfallen dürfte wie 2008.
Gerät auch die Eurozone in Turbulenzen, wenn die USA ihre Zinsen erhöhen?
Wahrscheinlich würde der Euro etwas abwerten. Dies wäre noch keine Katastrophe, sondern würde den Krisenländern in der Eurozone sogar ein bisschen helfen, weil sie Waren leichter auf dem Weltmarkt verkaufen könnten. Aber indirekt würden auch die Euroländer getroffen, wenn es zu einer weiteren Finanzkrise kommt.
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