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Neues erleben mit der Tinder-Swipe-NightDie Frau retten oder den Hund?

Abstand halten ist im digitalen Leben kein Problem. Das nutzt die Dating-App Tinder für ein neues Produkt, eine gemeinsam verbrachte Nacht.

Wenn der Weltuntergang kommt, ist der Partner wichtig Foto: imago images / Winfried Rothermel

T inder, die Dating-App, die seit ihrer Gründung 2012 von einem Swipe pro Tag auf eine Milliarde Swipes kletterte, verzeichnet täglich weltweit 26 Millionen Matches. Eigentlich, denkt man in Anbetracht solcher Zahlen, müssten die Straßen Funken sprühen.

Die Sache hat bloß einen Haken: Vielen der Verbandelten gelänge es nicht, über die positive Reaktion auf mühsam weichgezeichnete Fotos hinaus ein Gespräch in Gang zu setzen. Doch Tinder wäre nicht Tinder, würde es nicht, praktischerweise in Zeiten räumlicher Distanzierung, mit einer interaktiven Serie namens Swipe-Night Abhilfe schaffen.

Immerhin habe Covid, so Chief Communications Officer Jenny Mccabe auf dem gestrigen virtuellen Launch-Event, den Unterschied zwischen digitalem und realem Leben ein für alle Mal nichtig gemacht. Nun müsse auch der letzte Realitätsromantiker akzeptieren, was die genzys, die Generation Z der Achtzehn- bis Fünfundzwanzigjährigen schon lange wisse: Es existiere kein Unterschied zwischen sozialem und digitalem Leben. Es existiere bloß Leben.

Der will sich einschleimen

„Hallo“, ploppt es aus der Chat-Box, während ich auf den Startschuss meines ersten virtuellen Events warte, „ich bin Tee, dein virtueller Host. Stell dir mich vor wie den Kumpel, dem du während eines Dates schreiben würdest, wie es läuft.“ Tee, denke ich, will sich bei mir einschleimen. „Alles, was du in die Chat-Box schreibst“, fährt er fort, „bleibt unter uns. Wenn du irgendwas brauchst: ich bin die ganze Nacht hier.“

Also beginne ich ein Gespräch mit meiner virtuellen Realität: „Hast du eine Freundin?“ „Dabei hat unser Swipe-Night-Date doch noch nicht mal angefangen …’’, weicht das Schlitzohr meinen Nachforschungen aus.

Die große Frage hinter der Swipe-Night, verklickert mir Tinders Vize-Präsident Paul Boukadakis, laute: Wenn die Welt in drei Stunden enden würde, mit wem möchtest du diese Zeit verbringen? Wo? Wie weit würdest du kommen?

Im zweiten Schritt wird das Weltuntergangsszenario präsentiert, das mir helfen soll, in gemeinsamen Erlebniswelten mit potenziellen Partner*innen auf moralisch-ethische Tuchfühlung zu gehen und ihre ungefähre Werteskala abzugrasen: Komplimentieren oder kritisieren sie das scheußliche Outfit der Freundin? Steigen Sie in den dreckigen Wagen der Rapperin? Liefern Sie den untreuen Kumpel ans Messer?

Binnen sieben Sekunden

Via wischen (Sie ahnen es: nach links oder rechts) müssen Nutzer*innen binnen sieben Sekunden ihren Entschluss fassen, der das Fundament für den weiteren Handlungsverlauf ebnet, und bekommen dank cleverer Algorithmen andere, ebenso altruistisch oder egoistisch eingestellte Menschen wie sie selbst dargeboten. Man möchte schließlich wissen, ob der zukünftige Ehemann am Ende die nette Frau oder den süßen Hund rettet.

Die Antwort liegt doch auf der Hand?! Ich war mal in einer Beziehung, in der ich diese Frage mit Blick auf einen Ratonero Bodeguero Andaluz lieber nicht gestellt habe.

Tinders Produktentwickler hoffen indessen, dass die Swipe-Night jungen, nach Worte ringenden Menschen, die rund die Hälfte der Tinder-Nutzer*innen stellen, als potenzielle Gesprächsanfänge dienen: Du hattest Angst vor dem grimmigen Schlägertypen? Cool, ich auch! Wer weiß: Vielleicht bringt die berühmt-berüchtigte Single-Plattform ja auch das ein oder andere bereits erloschene Feuer wieder zum Lodern?! Sie haben Ihrem Partner nichts mehr zu sagen? Tinder runterladen, Swipe-Night starten, was erleben, drüber reden.

Abrufbar ist das virtuelle, Covid-19-freundliche Cruisen immer am Wochenende: da hätten die genzys besonders viel Zeit und das Bedürfnis nach Cliffhangern wüchse proportional zum Nichtstun.

Der Herr mit Hund und ich sind heute übrigens nicht mehr zusammen. Er hat mittlerweile zwei weitere Hunde.

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