Neue Ausstellung im ZKM Karlsruhe: Nie mehr Opfer sein!
Die Ausstellung „Feministische Avantgarde der 1970er Jahre“ aus der Sammlung Verbund überzeugt mit ungebrochener Aktualität.
Seit sieben Jahren tourt die „Feministische Avantgarde der 1970er Jahre“ durch Europa und ruft in Erinnerung, wie in diesem Jahrzehnt sich Künstlerinnen gegen Patriarchat und Geschlechternormative zur Wehr setzten. Um diesem künstlerischen Aufbruch seine eigene Terminologie zu geben, prägte Gabriele Schor den Begriff der „Feministischen Avantgarde“.
„In der ausschließlich männlich besetzten Geschichte der künstlerischen Avantgarde tauchen Frauen kaum auf. Die Zeit ist gekommen, den Kanon der Kunstgeschichte zu erweitern und die Künstlerinnen der 1970er Jahre in die Museen und auf den Markt zu bringen“ so die Leiterin der Sammlung Verbund.
Seit 2004 baut Schor die Kunstsammlung des größten österreichischen Stromunternehmens mit dem Schwerpunkt zeitgenössischer internationaler Kunst auf und hat im Rahmen ihrer Recherche zu den feministischen Positionen in den Ausstellungskatalogen der 1970er Jahre viele Arbeiten gefunden.
Damals gab es eine lebendige und vernetzte Szene, doch als Schor die Künstlerinnen nach ihren frühen Arbeiten fragte, wussten einige nicht einmal, wo sich diese befinden. Seit vierzig Jahren hat niemand danach gefragt, meinte Ulrike Rosenbach, um dann ihre Fotoserie „Hauben für eine verheiratete Frau“ (1970) vom Dachboden zu holen.
Frühe Arbeiten im Schuhkarton
Selbst eine international gefeierte Künstlerin wie Cindy Sherman, mit der Schor 2012 einen Catalogue raisonné publizierte, bewahrte ihre früheren Arbeiten, wie zum Beispiel „Doll Clothes“ (1975), in Schuhkartons auf. Schor schaffte es, all diese Arbeiten für die Sammlung zu akquirieren und sie überzeugte manch eine Künstlerin davon, wie bedeutsam ihre frühen Kunstwerke für eine internationale Sammlung sind.
"Feministische Avantgarde der 1970er Jahre" aus der Sammlung Verbund, Wien, läuft im ZKM Karlsruhe bis 8. April 2018
Im ZKM Karlsruhe wird die „Feministische Avantgarde“ in ihrer bisher größten Ausdehnung präsentiert – 400 Werke von 50 Künstlerinnen lassen unmittelbar spüren, wie relevant die Themen von damals, weibliche Sexualität, gesellschaftliche Stereotypen und das Diktat der Schönheit, auch heute noch sind.
Der erste Themenbereich konfrontiert den Betrachter unmittelbar mit neuen weiblichen Denkansätzen: „Das Private ist politisch!“ war die Losung einer Dekonstruktion stereotyper gesellschaftlicher Erwartungen an die Frau als Mutter und Hausfrau. Birgit Jürgenssen zeigt in ihren Zeichnungen ein Bild des Alltags als einen wiederkehrenden Schrecken und die Sisyphusarbeit in „Bodenschrubben“ (1975) ist eine Persiflage der Geschlechterverhältnisse, indem der Mann als Waschlappen von der Frau benutzt wird.
Annegret Soltau dagegen hadert in der Videoarbeit „Erinnerung (Schwanger-Sein II)“ von 1979 mit dem eigenen Körper und der Doppelbelastung von künstlerischem Schaffen und unbezahlter Reproduktionsarbeit. Muttersein ist ein wichtiger Aspekt in der Selbstbefragung der Künstlerinnen, interessanterweise fehlen Arbeiten, die das Recht auf Abtreibung thematisieren.
Der weibliche Körper als Chiffre
Bis heute bleibt der weibliche Körper als Chiffre ein unausweichliches Thema, an dem gesellschaftliche Funktionen und Fragen verhandelt werden: Orlan wird in einer Fotoserie von der Jungfrau Maria in einer dynamischen Metamorphose zur nackten Venus nach Botticelli, um im letzten Bild komplett zu verschwinden. Ähnlich in Hannah Wilkes „Super-T-Art“ (1974), wo sie ikonografisch von der Maria Magdalena zum gekreuzigten Jesus mutiert.
Die Ausstellung belegt, wie Künstlerinnen aus unterschiedlichen Ländern, ohne sich zu kennen, zu erstaunlich ähnlichen Ausdrucksformen gefunden haben. Ana Mendietas berühmte Arbeit „Untitled (Glass on Body Imprints)“ von 1972, die von ihren Erben erst 1997 öffentlich gemacht wurde, unterscheidet sich kaum von Katalin Ladiks „Poemim (Series A)“ von 1978.
In beiden Arbeiten wird die weibliche Schönheit, das Spiegelbild, ironisch durch das Drücken einer Glasscheibe auf das eigene Gesicht entstellt. Solchen überraschenden Ähnlichkeiten begegnet man in der Ausstellung oft und merkt, wie universal die feministischen Fragen der 1970er Jahre waren.
Auffällig ist das Fehlen der Malerei, die Künstlerinnen arbeiten vorzugsweise mit Fotografie, Video und Performance. Es ist eine Hinwendung zu kunsthistorisch unbelasteten Medien und gleichzeitig das geeignete Mittel, um Performances und Aktionen festzuhalten, wie Valie Exports berühmtes „Tapp- und Tastkino“ (1969) oder Hannah Wilkes „Through the Large Glass“ (1976), einem Striptease vor Marcel Duchamps Jahrhundertwerk.
Die großen Künstlerinnen sind im Kommen
Die Kampfansage an die Rolle der Muse und des Models formuliert Linda Nochlin in ihrem Essay „Why Have There Been No Great Woman Artists?“ von 1971, also zu einem Zeitpunkt, zu dem man sagen konnte: Sie sind im Anmarsch. Und Gabriele Schor ist es gelungen, sie im Nachhinein zusammenzubringen und die existenzielle Notwendigkeit dieser Arbeiten spürbar zu machen.
Der große Aufbruch war wild – die Künstlerinnen reflektieren Momente, in denen sie auf sich selbst geworfen waren. Der Weg führte aus der Opferrolle heraus in den radikalen Nonkonformismus hinein, der heute so aktuell ist wie nie.
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