piwik no script img

Nazi-Heft jubelte schon 2002 über NSU„Es hat Früchte getragen“

In einem Szeneheft bedankten sich Neonazis nach Antifa-Recherchen schon vor zehn Jahren bei einem „NSU“. Hatten die Rechtsterroristen frühe Mitwisser?

Im Schutt der Zwickauer Nazis wurde ein Brief an die Sympathisanten gefunden. Bild: dapd

BERLIN taz | Womöglich waren die Morde des „Nationalsozialistischen Untergrunds“ (NSU) schon vor zehn Jahren in der rechtsextremen Szene bekannt: Das Antifaschistische Pressearchiv und Bildungszentrum (apabiz) in Berlin hat in einem Nazi-Heft namens „Der Weisse Wolf“ von Anfang 2002 einen Satz gefunden, der genau das nahelegt: „Vielen Dank an den NSU, es hat Früchte getragen“, heißt es dort. „Der Kampf geht weiter …“.

Damals hatte der NSU bereits vier Menschen erschossen, sechs weitere Morde sollten folgen. Öffentlich bekannt geworden war der NSU aber erst im November 2011, als die Taten zufällig aufflogen und an mehreren Stellen ein Bekennervideo auftauchte.

Dass die Terroristen sich im Jahr 2002 schon intern an die Szene gewandt haben könnten, erscheint auch durch die bisherigen Ermittlungen zumindest plausibel. Aus den Akten geht hervor, dass der NSU just Anfang dieses Jahres an einem Brief für Sympathisanten arbeitete.

Briefentwurf im Schutt gefunden

Ein entsprechender Entwurf fand sich auf einer Festplatte im Schutt der abgebrannten Wohnung des Trios in Zwickau. „Die Aufgaben des NSU bestehen in der energischen Bekämpfung der Feinde des deutschen Volkes“, heißt es in dem Briefentwurf von 2002 unter anderem. Bisher waren die Ermittler allerdings davon ausgegangen, dass dieser nie abgeschickt wurde.

Laut apabiz ist der „Weisse Wolf“ 1996 als „Rundbrief inhaftierter Kameraden der Justizvollzugsanstalt Brandenburg" entstanden und hat sich zu einem wichtigen Szeneheft für Mecklenburg-Vorpommern entwickelt.

David Petereit, ehemaliger führender Kader der inzwischen verbotenen „Mecklenburgischen Aktionsfront“ wurde in einer Ausgabe des Heftes aus dem Jahre 2005 als Hersteller genannt. Entsprechende Auszüge liegen vor, das apabiz hat auch diese auf seinem NSU-Watchblog im Internet öffentlich gemacht. Seit 2011 sitzt Petereit für die NPD in Mecklenburg-Vorpommern im Landtag.

Für eine Stellungnahme war Petereit nicht zu erreichen. Am Abend teilte er schließlich schriftlich mit: Der Textabschnitt von 2002, in dem der Begriff "NSU" auftauche, sei ihm "weder bekannt noch erinnerlich". Er sei erst später presserechtlich für das Heft verantwortlich gewesen. Zu der Aussage des apabiz, dass Petereit schon im Jahr 2000 als Anmelder für die Homepage des "Weissen Wolfs" aufgetreten sei, sagte er dagegen nichts.

Die Bundesanwaltschaft sagte zu der Jubelmeldung über den NSU aus dem Jahr 2002 am Mittwoch lediglich: „Wir gehen dem nach.“

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

7 Kommentare

 / 
  • M
    Mabank

    Woher stammt das "Bekenner-Video" eigentlich?

    Ich weiss nur, dass der Spiegel die "Exklusivrechte"(!) von der AntiFa ("Antifaschistisches Pressearchiv") hat.

    Und die nächsten Beweise kommen wieder von der AntiFa.

    Die AntiFa scheint ja mehr zu wissen als der Staatsschutz.

    Was sagt uns das? Arbeiten beim Staatsschutz nur Dilettanten? Hat die AntiFa so gute Kontakte zur Nazi-Szene? Oder hat die Antifa - was natürlich VÖLLIG ABWEGIG wäre - vielleicht geflunkert und z.B. das Video selbst produziert?

    Wir werden es vermutlich niemals erfahren, denn das läge wohl kaum im Interesse des Staates.

    Schließlich sind alle Mittel und Wege legitim im "Kampf gegen Rechts"

    Ansonsten stünde nämlich schon lange das 4. Reich vor der Tür, denn 80% der Deutschen sind Nazis!

    Das wird nur immer verheimlicht, aber die AntiFa weiss das doch schon lange.

    Es gibt auch gar keine gewalttätigen Islamisten, das ist eine Erfindung des VS.

    Ich werde jetzt als aufrechter Bürger meinen Nachbarn ausspionieren, denn ich bin mir Sicher, dass der ein Nazi ist. Oder seine Großeltern waren Nazis. Oder er kennt einen, dessen Großeltern Nazis waren. Jedenfalls ist er ein Rassist, er hat letztens am Handy was von "Negerküssen" gesagt!

    Vielleicht ist er sogar Mitglied in einer Nazi-Terror-Organisation. Er hat jedenfalls Zutaten für eine Bombe gekauft: Salz, Spülmittel, Brokkoli.

    Ich werde ihn schon überführen!

  • AH
    anton hell

    franz josef strauss deckte schon die attentaeter des münchner oktoberfestes. der BND wurde vom nazi general gehlen aufgebaut. das blinde rechte auge ist eine deutsche spezialitaet. was soll also das heuchlerische getue? ist ja fast so wie der daemliche gesichtsausdruck der deutschen im 2. weltkrieg als man sie auf die KZs aufmerksam machte und keiner etwas davon gewusst haben wollte. der gleiche mechanismus findet hier im kleinen sein wirkungsfeld.

  • E
    EinervonVielen

    @Aha

    "War da was in Toulouse? Man hört ja gar nichts mehr."

     

    In Lüttich war auch was.

    Interessiert nicht weiter. Einige Redaktionen scheinen es für total normal zu halten, wenn einer mit dem MG in die Menge schießt.

    Jedenfalls dann, wenn es nicht möglich ist, Broder und Sarrazin als "geistige Verursacher" zu denunzieren.

     

    @Hajü

    Genial diese Satire. Wie Du das hinkriegst, den absurden Naziwahn zu persiflieren, ins Lächerliche zu ziehen, das ist Spitze. Ich möchte das auch so gut können.

    Und das war doch eine Satire. Oder?

  • H
    Hajü

    Der Szene war unter dem Schutz der Verfassung stehend völlig klar, wer für die "Dönermorde" verantwortlich war. Bekennerschreiben, Gründe für diese Morde an- bzw. abzugeben, hätte nur bedeutet, dass ihr Schutz nicht mehr funkioniert hätte, wenn eine aufmerksam gemachte Öffentlichkeit die Strafverfolgungsbehörden zur Tätigkeit gezwungen hätte.

    Der Zweck, speziell türkisch-stämmige Deutsche, und gerade diejenigen mit dem Willen, sich dauerhaft in Deutschland als Heimat niederzulassen, in Angst und Schrecken zu versetzen, wurde auch so erreicht.

    Zusammengefasst bedeuteten diese Morde: kommt bloß nicht in "national befreite Zonen" und da, wo ihr jetzt seid, im urbanen, zivilen, multikulturellen Bereichen Westdeutschlands, seid ihr nicht eures Lebens sicher, und seht zu, dass ihr schnellstens eure Zelte abbaut.

    Die politische Verantwortung dafür nur beim Verfassungsschutz zu suchen, greift zu kurz. Kommunisten-, Sozialisten- und Islamophobie , speziell seit 9-11 2001 (andere Gründe), waren beherrschende Themen seit Gründung der BRD 1949. Rechtsradikalismus wurde nie als Bedrohung für die Machtstrukturen der BRD angesehen.

  • DP
    das Paulchen-Video

    sieht auch nicht so aus wie man sich ein Bekennervideo vorstellt, das öffentlich verbreitet werden soll.

    Das war wohl eher eine Notlösung, ein weiteres Video das eher danach aussieht soll ja in Arbeit gewesen sein.

    Es steckt aber zu viel Mühe drin als das es keine Funktion gehabt haben könnte.

    Ein Publikum dafür könnte es schon gegeben haben.

  • A
    Aha

    Über die RAF war die gesammte linke Szene und die SED gut informiert, half dieser, sympatiserte mit dieser und verherrlicht sie teils heute noch. Das NPD-verbot geht in Ordnung. Nur muß man jetzt logischerweise die Grünen, die taz und die SED alias Linkspartei verbieten. Dann sollte Ströbele und andere Unterstützer in den Knast. Ach Moment, das waren ja Morde für "die gute Sache. Irgendwie so der gleiche Unterschied ob man im Gulag oder im KZ verreckte. Das ist natürlich etwas ganz anderes.

     

    P.S.: War da was in Toulouse? Man hört ja gar nichts mehr.

  • D
    drehmstz

    Man muss angesichts dieser in einer Nazi-Postille entdeckten "Botschaft" annehmen, dass bei genauer Durchforstung von ähnlichen Schriftstücken weitere Hinweise auftauchen, deren Tragweite noch nicht ganz ermessen werden kann. Aber man muss mutmaßen, dass Eingeweihte der Szene damals die Nachricht sehr wohl kapiert haben, denn sonst wäre sie nicht platziert worden. Andere Überlegung:

    Da sich Verfassungsschützer einen beachtlichen Teil ihrer Versorgungssansprüche durch die Lektüre von derlei Schriftstücken erwerben - man sollte nicht alles gleich mit dem Titel "arbeiten" adeln -, kann man erahnen, mit wie wenig detektivischem Sachverstand solche Experten diese Sachen betrachtet haben: Sicherlich müssten sich die Untersuchungsausschüsse von den VfS-Ämtern mal die komplette Sammlung der Nazi-Hefte vorlegen lassen. Oder sollten die dumm-/zufälligerweise im Reißwolf gelandet sein? Wen würde denn so etwas noch wundern?