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Nachruf auf Peter Scholl-LatourDer Fremdenlegionär

Der Journalist Peter Scholl-Latour hat stets polarisiert. Nun ist der Rechthaber, der leider oft Recht behalten sollte, mit 90 Jahren gestorben.

Er hatte die ganz Großen vor der Kamera: Peter Scholl-Latour interviewt 1983 DDR-Boss Erich Honecker. Bild: dpa

Alle anderen Gäste standen Spalier, und das Publikum bedachte ihn mit stehenden Ovationen, als Peter Scholl-Latour im Dezember 2001 den „Deutschen Fernsehpreis“ für sein Lebenswerk entgegennahm. Diese Auszeichnung sei so etwas „wie die letzte Ölung, ein Sakrament“, scherzte der damals 77-Jährige. Wenig bescheiden, verglich er sich in seiner Dankesrede mit einem dienstältesten Soldaten im alten Rom und warnte spöttisch mit einem Zitat von Bernard Shaw: „Beware of old men, they have nothing to lose“ („Vorsicht vor alten Männern, sie haben nichts zu verlieren“).

Er sollte, wie so oft, Recht behalten. Die Anschläge vom 11. September 2001 hatten Scholl-Latour ein unerwartetes Comeback beschert, das über eine Dekade anhalten sollte. Das war auch deswegen überraschend, weil er in den Neunzigerjahren weitgehend abgemeldet gewesen war, für viele ein Relikt aus einer anderen Zeit. Aber als die Türme des World Trade Centers in sich zusammenstürzten und der Bedarf nach Araber- und Islam-Experten auch im deutschen Fernsehen sprunghaft anstieg, rückte der Veteran der Krisenberichterstattung wieder ins Rampenlicht.

Dabei waren seine pessimistischen Prognosen, etwa zu den Aussichten des Afghanistan-Kriegs, die er mit lakonisch-schnarrender Stimme, zunehmendem Nuscheln und arroganter Entschiedenheit vortrug, nicht immer populär. Seinen Ruf als „Islam-Experte“ hatte sich Scholl-Latour vor allem dadurch erworben, im Flugzeug mit Ayatollah Chomeini gesessen zu haben, als dieser 1978 von Paris nach Teheran zurück kehrte und der Revolution gegen das Schah-Regime im Iran eine islamische Wende beibrachte. Zuvor hatte er den iranischen Geistlichen und späteren „Revolutionsführer“ mehrfach in seinem Pariser Exil interviewt.

Früh ahnte er, dass der Umsturz im Iran eine Zeitenwende für die ganze Region einläuten würde. Scholl-Latour inszenierte sich gerne als Welterklärer, der mit raunendem Unterton die ganz großen Linien zog und dabei mit gewagten historischen Vergleichen nicht sparte. Diese Rolle hatte er während seiner Zeit als Auslandskorrespondent kultiviert, in der er das Bild der Deutschen von der Welt – vor allem Afrikas, Asiens und des Nahen Ostens –, maßgeblich prägte. Seine zur Schau gestellte Weltläufigkeit verlieh ihm dabei einen besonderen Nimbus.

Geboren am 9. März 1924 in Bochum, war Scholl-Latour im schweizerischen Fribourg an einem Jesuitenkolleg zur Schule gegangen. Dorthin hatten ihn seine Eltern geschickt - zu seiner Sicherheit. Sein Vater war ein Arzt aus dem Sauerland, seine Mutter stammte aus dem Elsass und entkam als Jüdin nur knapp der Deportation durch die Nazis. Mit 20 wollte sich der junge Scholl-Latour der Résistance anschließen, geriet aber in Gestapo-Haft. Dafür kämpfte er nach dem Krieg als Freiwilliger als Fallschirmjäger mit der französischen Armee in Indochina.

Bestseller über Indochina

Später studierte er in Paris und Beirut, wo er sich rudimentäre Arabischkenntnisse aneignete. Nach 1950 begann seine Karriere als Journalist, erst als ARD-Korrespondent in Afrika, dann in Paris, bevor er zum ZDF wechselte. Als er 1973 für das ZDF aus Vietnam berichtete, wurden er und sein Team von Vietcong-Rebellen entführt, dafür konnte er nach seiner Freilassung mit spektakulären Aufnahmen glänzen. „Der Tod im Reisfeld“, sein Beststeller über die Kriege in Indochina, erschien 1979 und verkaufte sich mehr als eine Million Mal.

In den 80ern wurde er Herausgeber des Magazins Stern, doch das blieb eine Episode. Anschließend verlegte er sich ganz auf ein Dasein als freier Publizist, der durch Fernsehfeatures, Buch-Bestseller und Talkshow-Auftritte sein Auskommen fand. Zwei Regionen sollen noch in seinem Portfolio gefehlt haben, Ost-Timor und die Antarktis, dann hätte er die ganze Welt gesehen, behauptete Scholl-Latour stolz.

Er war bei den Vietcong, bei den Mudschaheddin in Afghanistan, bei den kurdischen Peschmerga, im Kongo und in Zentralasien. Auf den Titeln seiner vielen Sachbücher, meist Mischungen aus Reportagen, Anekdoten und politischen Analysen, sieht man ihn vor wechselnden Kulissen posieren, anfangs eher hemdsärmelig, später stets mit elegantem Halstuch, aber immer mit dem Gesichtsausdruck eines Mannes, der schon alles gesehen hat. Diesen Fremdenlegionärs-Gestus des ewigen Abenteurers legte er nie ganz ab.

Die Inhalte seiner Bücher waren umstritten. Wissenschaftler warfen ihm vor, dass er ein klischeehaftes und falsches Bild des Orients und Afrikas zeichnete und auch die Ängste vor der muslimischen Einwanderung nach Europa nährte. Schon seine alarmistischen Buchtitel wie „Afrikanische Totenklage“, „Das Schlachtfeld der Zukunft“ oder „Die Angst des weißen Mannes“ ließen ahnen, dass von ihm wenig Trost zu erwarten war.

Wohliger Grusel

In „Welt aus den Fugen“ – so der Titel seines letzten Werks –, verbreitete er wohligen Grusel angesichts des offenbar unausweichlichen Abstiegs Europas in einer zunehmend multipolaren Welt. „Illusionslos“ war eine seiner Lieblingsvokabeln. Mit seinen sprachlichen Klischees und rassistischen Stereotypen war er oft näher an Ian Fleming als an seriösem Journalismus. In seinen Büchern wimmelt es nur so von „verschlagenen Orientalen“ und „archaischen Afrikanern“.

Immerhin aber konnte er zwischen den einzelnen muslimischen Gruppen und Völkern des Nahen Ostens unterscheiden, was ihn wohltuend von vielen „Islam-Kritikern“ der heutigen Zeit abhebt. Angesichts eines entfesselten Kapitalismus', den er in vielen Regionen der Welt erblickte, trauerte er ganz offen der Kolonialzeit nach, als die europäischen Mächte immerhin noch „Schulen, Spitäler und Straßen“ gebaut hätten, und in seinen pauschalen Plattitüden wie „Afrika ist schlimmer als Afghanistan“ schwang viel kolonialer Dünkel mit.

Doch trotz dieser Arroganz, die aus seinen Texten triefte, begegnete er seinen Gesprächspartnern in anderen Teilen der Welt mit mehr Respekt und auf Augenhöhe als so mancher Weltverbesserer von links oder jene Neokonservative, die unter George W. Bush die Demokratie im Nahen Osten herbeibomben wollten. Er lehnte die Auffassung ab, dass sich das westliche Demokratiemodell auf die ganze Welt übertragen lasse. Seine Kritiker hielt er im besten Fall für naiv und idealistisch, im schlechtesten Fall für verblendet und verbohrt. Mit seinem konservativen Pessimismus war er oft näher an der Realität als andere, die sich von ihrem Wunschdenken leiten ließen.

Scholl-Latour hatte das Scheitern der Franzosen in Indochina aus der Nähe erlebt und als Reporter schon früh die Niederlage der USA in Vietnam vorher gesagt – was ihn beinahe seinen Job gekostet hatte. Entsprechend skeptisch sah er die Chancen der amerikanischen Kriege in Afghanistan oder im Irak. Er wandte sich gegen die simple Dämonisierung des Iran und islamistischer Gruppen wie der Hamas und der Hisbollah, in denen er nicht einfach nur Terroristen, sondern eben auch populäre Widerstandsbewegungen sah.

Die Hoffnungen, die in den „Frühling“ und die Aufständen gegen Assad und Gaddafi gesetzt wurden, hielt er dagegen für maßlos übertrieben. Scholl-Latour war ein Rechthaber, der leider oft Recht behalten sollte. Am Samstag ist Scholl-Latour in seinem Haus in Rhöndorf gestorben. Er wolle dort auf dem Waldfriedhof begraben werden, wo auch schon Konrad Adenauer liege, verriet er in einem seiner letzten Interviews. Ein Grab habe er schon gekauft: „Von dort hat man einen tollen Blick auf den Rhein“, sagte er. So bleibt er auch nach seinem Tod noch auf dem Feldherrnhügel.

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8 Kommentare

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  • Baxens Neid, niemals nur auch nur annähernd PSLs Sachkenntnis, Sprachkunst oder politische Weitsicht heranzureichen, triefen aus jeder Zeile.

    Das ist kein Nachruf, das ist Nachtreten.

    • @Rotbarsch:

      Komisch, ein Nachtreten (bzw. "Runtermachen"(@Muttiversteher) kann ich aus dem Text gar nicht herauslesen.

      Herr Bax würdigt PSL durchaus auch wenn dieser als Konservativer von ihm aus gesehen "auf dem anderen Ufer stand".

       

      Nicht jede Kritik an PSL ist Gotteslästerrei er war eben auch nur ein Mensch.

       

      Ich habe neben dem "Tod im Reisfeld" auch noch etliche jüngere Bücher von ihm gelesen.

      Abgesehen davon, dass die Lektüre immer superspannend und lehrreich war finden sich auf jeder Seite Sätze die den Punkt genau treffen oder aber vollkommen und absurd daneben lagen oder reines schwadronieren waren.

       

      Die Zwangsläufigkeit mit der jeder Mensch irgendwann abtreten muss ist tragisch, ein so volles und reiches Leben wie das von PSL ist dennoch beneidenswert!

      • @Waage69:

        Eine Würdigung kann ich allenfalls dahingehend erkennen, dass Bax mehr als zähneknirschend einräumen muss, dass PSL mit seinen Einschätzungen und Prognosen meistens richtig lag (etwas, das Bax aus eigener Erfahrung kaum zu kennen scheint).

        Um dann aber klar zu machen, wer auf der "richtigen Seite" steht bzw. stand, wird PSL mit durchweg negativ konnotierten Attributen wie "Fremdenlegionär", "rassistisch", "unseriöser Journalismus" etc. belegt.

        Das in Gänsefüßchen setzen von "Islam-Experte" sowie PSLs angeblich nur "rudimentäre" Arabischkenntnisse sollen diesen zusätzlich posthum desavouieren. Bax ist weder das eine noch hat er das andere, was ihn aber nicht davon abhält, über den Islam zu schreiben.

        Ich bleibe dabei, hier will ein kleiner Neidhammel ein letztes Mal einem anderen, dessen Größe er nie erreichen wird, ans Bein pinkeln.

  • Äußerst kleinlicher Runtermachkommentar eines Inlandsredakteurs.. ja, für neidlose Anerkennung braucht es dann doch wenigstens etwas von Scholl.Latour... wie er theoretischen Dummquatschern immer ganz schnell die Luft rausliess, war einfach immer herrlich mitanzusehen... schlimm, daß er Ahnung und dadurch so oft Recht hatte, was? ,-)... Mein Gott, dabei gilt - nicht nur - bei uns doch politisch korrekt schon seit langem nur das genau Gegenteil: Null Ahnung von Nichts haben, und das aber bitte mondän mit stillem Stil schick aussehen lassen.. nicht was wissen und das dann auch noch sagen!! Da werden nicht nur alle Illusionen eines TAZ-Inlandsredakteurs freigelegt.. ,-).. ei, was für ein scheußlicher kolonialgeiler Macho, der Scholl-Latour...

  • Danke Herr Bax,

    Ihr kritischer aber fairer Nachruf wird dem alten Herrn gerecht!

  • Danke, Herr Scholl-Latour, für all die erhellenden Momente!

     

    Herr Scholl-Latour, sie haben nie kluggeschissen,

    sie wussten es wirklich besser!

     

    Ich muss nicht restlos alles für gut befinden, was Sie bisweilen so für persönliche Schlüsse gezogen haben, um dennoch schmerzvoll festzustellen, dass mit Ihnen ein großer Mann von dieser Welt abberufen wurde, denn Sie waren einer der weinigen sehenden, unter all den blinden bzw.blindgekauften Journalisten!

     

    Sie waren ein Mensch mit Verstand, der noch dazu Rückgrat besaß und weit, weit vor all den aktuell agierenden Außenpolitikerclowns, Politikern im Allgemeinen, lief, eben weil sie nur von Dingen sprachen, in die sie auch wirklich einen Einblick hatten und natürlich beinahe alle Länder kannten, viele ihrer Probleme, ihrer kulturellen Befindlichkeiten, ihrer Nöte und deren verhängnisvolles Zusammenspiel bei der Entstehung diverser kultureller und geopolitischer Konflikte. Sie waren ein Mensch, jemand, der seinen "Arsch" bewegte, in beinahe jedem Land gewesen ist, und uns versuchte die reale Welt ungeschönt aufzuzeigen, mit all ihren zumeist oft ignorant übergangen, aber zum wirklichen Verständnis wichtigen kulturellen Nuancen und zwar ohne die heute allgegenwärtigen politischen Heuchelein. Einblicke, die man aber eben nur dann bekommt, wenn man auch den entsprechenden Willen und die nötigen Charakterzüge mitbringt.

    Für all diese, von Ihnen in all den Jahren geleistete aufklärerische Arbeit, sei an der Stelle herzlichst gedankt - Rest in peace!

    • @DDHecht:

      Sehe ich auch so.

  • 8G
    849 (Profil gelöscht)

    Habt ihr bei der TAZ eigentlich ein Link(s)schreibprogramm? "Zurückkehren" und "vorhersagen" werden auch in der neuen Recht(s)schreibung zusammengeschrieben.