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Nach dem 1. Mai in BerlinAufrüstung gegen Abrüstung

Trotz friedlicher Demonstrationen will die Innensenatorin weitere Investitionen in die Sicherheit. Die Polizei erdrückte die Demos teilweise geradezu.

Die Reste der Revolutionären 1. Mai-Demo am Kotti Foto: Kay Nietfeld

Die Relevanz des 1. Mai in Kreuzberg ist in der Öffentlichkeit 35 Jahre lang vor allem anhand zweier Zahlen gemessen worden: die der festgenommenen De­mons­tran­t:in­nen und der verletzten Polizist:innen. Angesichts einer Revolutionären Demo, aus der keine Flasche und kein Stein flog, hat sich die Fixierung auf diese Polizeizahlen erledigt. Wer sie noch braucht: 56 Festgenommene, 9 leicht verletzte Beamt:innen. Tatsächlich aber gilt es nun sich andere Kriterien für die Bewertung zu suchen.

Da wäre zunächst eine dritte Zahl, jene der Teilnehmer:innen: 15.000 bis 20.000 Menschen drängten sich zwischen Boddinstraße und Kottbusser Tor; damit bewegte sich die Demo auf dem Niveau der Rekordbeteiligungen der vergangenen Jahre. An Anziehungskraft hat sie also trotz der ausbleibenden Krawalle nicht verloren; das Schlendern mit Bier und revolutionärem Gestus ist weiter „in“. In den Massen jener, die womöglich keine Freunde dieser kapitalistischen Ordnung sind, aber es mit der Revolution nicht ganz so ernst meinen, muss man die organisierten Polit-Checker fast schon suchen.

Ebenso der politische Ausdruck: Berlins größter linksradikaler Demo gelingt es nicht wirklich, eine Aussage zu machen, die das Floskelhafte und die grundsätzliche Gegnerschaft zum herrschenden System übersteigt. War es eine Demo gegen den Krieg, und wenn ja, wofür dann? Ging es um den Kapitalismus, aber wie sieht die Vision für danach aus?

Den zentralen ersten Block der Demo dominieren kommunistische Gruppen, anarchistisch ist an diesem 1. Mai kaum mehr etwas. Eine Zukunftsversion des Kommunismus aber, die Hoffnung auf positive Veränderungen erzeugen kann, sucht man bei den roten Gruppen vergebens. Zudem überbetonen sie ihre Palästina-Solidarität. Von der bürgernahen Strategie der KPÖ Plus, zuletzt mit großem Wahlerfolg in Salzburg, sind die dogmatisch, straffen Kleingruppen weit entfernt.

Neues im Grunewald

Wer politische Relevanz suchte, wurde im Grunewald bei der Demo der Hedonistischen Internationalen mit etwa 7.000 Menschen eher fündig. Dort kam es zum Schulterschluss kapitalismuskritischer Gruppen mit der Klimaszene; mit viel Witz und Kreativität spießten sie die fatale Rolle fehlender Umverteilungspolitik, die Macht fossiler Konzerne und den klimaschädlichen Lebensstil der Reichen auf. Die Demo hat sich damit in ihrem fünften Jahr neu erfunden und thematisch weiterentwickelt.

Wichtig an diesem Tag, geradezu als Gradmesser für das Freiheitsverständnis dieser Gesellschaft und ihre Fähigkeit dissidente Positionen zu schützen, ist auch der Blick auf die Polizei. Das Revolutionäre 1. Mai-Bündnis beendete die Demo selbstbestimmt vor dem Ziel Oranienplatz, um nicht in einen hermetisch abgeriegelten Platz zu laufen. Im Nachgang schrieben sie: „Ist es euer Verständnis von ‚Rechtstaatlichkeit‘, Zehntausende für die Ausübung ihrer Grundrechte in einem Wanderkessel durch die Stadt zu führen?“

Die Überbetonung polizeilicher Stärke – 7.100 Beamte waren eingesetzt – zog sich durch. Schon die Flinta-Demo in der Walpurgisnacht wurde polizeilich nahezu erdrückt und in ihrer Außenwahrnehmung auf ihre pure Lautstärke beschränkt. Im Grunewald wurde eine Rednerin festgesetzt, weil sie auf den jahrelangen Leerstand der Villa Noelle hingewiesen hatte – worin die Polizei einen Aufruf zu Straftaten sah.

Die politischen Blöcke der 18 Uhr-Demo wurden im Spalier begleitet und abgefilmt; zudem führte der Weg ab dem Kottbusser Tor in eine durch Zäune und Wannen abgeriegelte Zone, sodass ein Abfluss nach dem Ende nur schwer möglich war. Erst in diesem Gedränge und durch umherschweifende Polizeieinheiten kam es überhaupt zu Rangeleien und Festnahmen.

Seine Kreise zog ein Video, das wie ein Symbol für die Arroganz der polizeilichen Übermacht wirkt: Es zeigt eine Polizeikette, die schnell durch die Oranienstraße zieht, um diese zu räumen. Einem Mann, der sich noch auf der Straße befindet, wird erst Pfefferspray ins Gesicht gesprüht, bevor er zu Boden gestoßen und dann einfach über ihn hinweg gegangen wird. Polizeipräsidentin Barbara Slowik sagte am Dienstag: „Wir nehmen solche Hinweise sehr, sehr ernst.“ Eine Bewertung wollte sie nicht abgeben, kündigte aber an: „Wir werden den Vorfall sehr gründlich aufarbeiten.“

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Der neue Regierende Kai Wegner (CDU) freute sich über einen „erfolgreichen 1. Mai“ und eine „taktische Meisterleistung der Polizei“. Dem sich aufdrängenden Gedanken, dass angesichts der Friedfertigkeit der Versammlungen ein Abrüsten des Großaufgebots auf der Tagesordnung stehen müsste, widersprach Innensenatorin Iris Spranger (SPD): „Auch wenn wir auf einen friedlichen 1. Mai zurückblicken, sollte klar sein, dass wir weiter in die Polizei investieren müssen. (…) Sicherheit hat ihren Preis.“ In diesem Zusammenhang sprach sie auch erneut von der Anschaffung von Tasern.

Die Abrüstung auf Seiten der Demonstrant:innen, beantwortet Schwarz-Rot mit weiterer Aufrüstung.

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