Lucy Redler über Die Linke und die EU: „Für das Recht auszutreten“
Linken-Bundesvorstandsmitglied Lucy Redler hätte sich eine deutliche Anti-EU-Position ihrer Partei gewünscht. Die EU-Verträge seien neoliberal und undemokratisch.
taz: Frau Redler, der Antrag Ihrer Antikapitalistischen Linken (AKL) für eine deutlichere EU-Kritik ist abgelehnt worden. Wie zufrieden sind Sie mit den Ergebnissen des Parteitags?
Lucy Redler: Der Antrag ist nicht abgelehnt worden. Eine Mehrheit wollte eine Passage des Europawahlprogramms nicht noch einmal verhandeln, zu der es den AKL-Antrag und einen EU-freundlichen des Forum Demokratischer Sozialismus gab. Der Parteitag hat knapp entschieden, bei den bisherigen Positionen zu bleiben. Daher wird es ein Geheimnis bleiben, wieviele Stimmen wir bekommen hätten. Aber ein deutlicherer Anti-EU-Kurs ist damit ebenso abgelehnt worden wie ein deutlicherer Pro-EU-Kurs.
Ist es nicht sinnvoll, einen Konsens zu suchen, weil die Linke über die EU-Frage ähnlich gespalten ist wie die Briten über den Brexit?
Der Programmentwurf der Linken ist ein Spagat. Die Partei versucht, es allen recht zu machen, kann damit aber die Frage, ob sie für mehr oder weniger EU-Integration ist, nicht klar beantworten. Es wäre besser gewesen, wenn die Linke eine deutlich EU-kritischere Position bezogen hätte, ohne den Eindruck zu erwecken, dass wir zurück zum Nationalstaat wollen. Unsere Alternative ist der europaweite Kampf gegen Rassismus und für ein sozialistisches Europa.
Die EU-Anhänger in der Linkspartei verweisen auf eine Umfrage, dass die Mehrheit der Linkspartei-Anhänger EU-freundlich sei. Muss die Linke das nicht in ihrer Ausrichtung berücksichtigen?
Wenn es keine linke Partei gibt, die eine oppositionelle Position zur EU stark macht, ist es nicht verwunderlich, dass die Umfrage so ausfällt. Außerdem verwechseln viele Menschen heute Europa und die EU. Es ist wichtig, dass die Linke einen internationalistischen Bezug hat, aber trotzdem klar macht, dass die EU nicht im Interesse der einfachen Leute ist. In die DNA der EU-Verträge ist Neoliberalismus und mangelnde Demokratie eingeschrieben worden.
Es gab in Ihrem Antrag eine Formulierung: „Die EU ist nicht zu reformieren.“ Die Konsequenzen bleiben unklar: Wollen Sie die EU zerschlagen? Sollen Deutschland oder andere Länder austreten?
Ich bin für das Recht von Ländern, aus der EU auszutreten. Es ist jetzt nicht der Zeitpunkt, in Deutschland die Auflösung der EU zu propagieren. Aber sollte es in einem Land der EU eine sozialistische Veränderung geben, ist das ohne Bruch mit der EU nicht möglich.
39, ist Mitglied im Bundesvorstand der Linkspartei und eine der SprecherInnen der Parteiströmung Antikapitalistische Linke (AKL)
Warum?
Weil sonst 27 Staaten zustimmen müssten, die EU-Verträge grundlegend zu ändern. Niemand kann mir erklären, wie das gehen soll. Natürlich kann man kleinere Korrekturen an der EU machen. Ich habe in meiner Rede auf dem Parteitag ein Bild verwandt: das der EU als ein Haus, das auf einem schiefen Fundament errichtet ist. Es ist richtig, Schönheitsreparaturen vorzunehmen, solange wir gezwungen sind, in diesem Haus zu wohnen. Aber das sollte man tun, ohne den Eindruck zu erwecken, in einem stabilen Haus zu wohnen.
Ein Delegierter sagte der taz, nach dem Parteitag sei das Wahlprogramm, das hier so umstritten ist, vergessen. Welche Rolle spielt es noch im Wahlkampf?
Innerparteilich ist die Debatte wichtig. Was hier entschieden wird, ist ein Referenzpunkt, welche Aussagen die Partei in Zukunft trifft. Die Menschen außerhalb der Linken werden das aber nur in groben Linien wahrnehmen. Deshalb ist wichtig, wie der Wahlkampf geführt wird. Wir müssen im Europawahlkampf soziale Themen und Kämpfe stark machen, die die Menschen vor Ort betreffen.
Ende März steht – möglicherweise – der Brexit an. Finden Sie es richtig, dass der Labour-Chef Jeremy Corbyn sich nicht eindeutig pro oder contra Brexit geäußert hat?
Ich hätte es gut gefunden, wenn Corbyn seine Position aus den 70er Jahren vertreten und sich für einen linken Brexit ausgesprochen hätte. Weil er das nicht gemacht hat, hat Labour die Brexit-Kampagne den Konservativen überlassen. Wir hätten eine linke Pro-Brexit-Stimme gebraucht, die nicht für ein Zurück zum Nationalstaat eingetreten wäre, sondern für eine Systemalternative.
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